Girlsʼ Toys VS Boysʼ Toys: Verfestigung der Geschlechterstereotypen
Ich kann mich an viele Ereignisse aus meiner Kindheit erinnern, besonders an die, die mich emotional berührt oder getroffen haben. Es gibt auch Ereignisse, die einem auf den ersten Blick ganz unbedeutsam vorkommen, aber sich trotzdem ganz stark in die Erinnerung eingeprägt haben. Dann frage ich mich oft wieso, bzw. was dem jeweiligen Ereignis die Kraft zum Beeindrucken gab und manchmal bekomme ich sogar eine Antwort auf ganz unerwartete Weise, wie zum Beispiel beim Lesen dieses Absatzes in Teaching Gender:
„Ebenso werden […] Spielzeuge farblich getrennt und von Stereotypen gelenkt nach Geschlechtern angeboten. Konstruktionsspielzeug, welches noch in den 1970er-Jahren unisex bunt war, wird von der gleichen Firma heute geschlechtergetrennt vertrieben: technische Baukästen […] zum Konstruieren und Umbauen für Jungen, dagegen rosa gehaltene Ensembles für Mädchen, mit vorgegebenen Figuren und fertigen Bauteilen, die – im Vergleich zu den Bausätzen – kaum für andere Konstruktionen verwendet werden können. Damit verbunden sind Rollenangebote, die angeblich typische weibliche Lebenssituationen darstellen: in Familie, in helfenden Berufen, als Prinzessin,“ etc. (Bartsch/Wedl, S.14).
Vor 20 Jahren ging ich mit meinem etwas älteren Cousin zu einem Spielzeugstand auf dem großen Markt, um das hartverdiente Geld für ein paar Spielzeuge auszugeben. (Keine Sorge, wir waren keine Opfer von Kinderarbeit)) Wir kümmerten uns nur ganz brav um die Kühe unserer Großeltern, während Oma im Krankenhaus lag.) Am Spielzeugstand gab es alles was sich ein Mädchen und ein Junge wünschen könnten: hübsche Barbies und bunte Autos… und ein paar andere Sachen, wie z.B. Sprungseile.
Ich war 10 und wollte ein Sprungseil. Mein Cousin war 14 und fest überzeugt, dass Barbies das Spielzeug für Mädchen seien. Eine Weile probierte er mich zu überreden eine Barbie, anstatt dem Seil zu nehmen (zum Glück nicht erfolgreich)).
Ich glaube, ich muss dieses real life Beispiel nicht erläutern, da jeder von uns ähnliche Erfahrungen im Leben gemacht hat. Wenn nein, dann seid ihr glückliche Kinder gewesen, die ohne Geschlechterstereotypen (zumindest in Bezug auf Spielzeuge)) aufgewachsen sind. Ich persönlich hatte nur bei meinen Cousins die Gelegenheit mit bunten Autos zu spielen.
Wie stark Geschlechterstereotypen noch immer in unserer Gesellschaft vorhanden sind und wie früh sie uns „beigebracht“ werden, zeigt sehr gut das Video Girl toys vs boy toys: The experiment – BBC Stories.
Das Geschlecht ist die zentrale Achse in unserer Gesellschaft. Sobald das Geschlechtsmerkmal des Babys im Ultraschall erkennbar ist, fangen die meisten Eltern und deren Angehörige an, geschlechterspezifische Babysachen, Klamotten und Spielzeuge in passenden Farben und Mustern zu besorgen. Von Geburt an sind „Kinder nicht einfach Mädchen oder Jungen, sondern werden es” (Bartsch/Wedl, S.10).
Wie?
Ganz einfach: symbolisch durch Kleidung, Accessoires, Spielzeuge, Frisur … und sprachlich durch tägliche zwischenmenschliche Interaktionen (und nicht durch die geschlechterspezifischen Merkmale, weil diese eigentlich fast immer mit Kleidung bedeckt sind).
Das „Vergeschlechtlichung“ von Kinderzubehör und Spielzeugen passiert aufgrund der Annahme, dass anatomische Unterschiede der zwei Geschlechter natürliche Merkmale sind. Diese Annahme ist wissenschaftlich aber nicht bewiesen, sondern umgekehrt: „psychologische Studien [zeigen] immer wieder die Ähnlichkeit der Geschlechter auf“ (Bartsch/Wedl, S.14).
Diese Annahme basiert eigentlich auf dem gesellschaftlichen Verständnis des Geschlechtes als eine „naturhafte [biologisch eindeutig festgelegte], konstante [sich im Laufe des Lebens nicht veränderbare] und dichotome [weiblich und männlich] Kategorie“ (Bartsch/Wedl, S.15).
Aber ist es wirklich so?
Ich glaubte persönlich, dass es in Bezug auf das „biologische Geschlecht“, alias sex, tatsächlich so war bis ich den Roman Middlesex von Jeffrey Augenides aus dem Jahr 2002 gelesen habe.
Heute gebe ich auf die obige Frage ein klares „Nein.“
Laut Judith Lorber, eine Professorin der Soziologie und Frauenforschung, welche zur Entwicklung des Konzepts des Geschlechts als soziale Konstruktion maßgeblich beigetragen hat, gibt es sogar 5 sexes, wenn von Genitalien ausgegangen wird: „unzweideutig männlich, unzweideutig weiblich, hermaphroditisch, weiblich-zu-männlich transsexuell und männlich-zu-weiblich transsexuell; geht man von der Objektwahl aus, drei sexuelle Orientierungen: heterosexuell, homosexuell und bisexuell […]; geht man von der Erscheinung aus, fünf gender-Repräsentationen: weiblich, männlich, uneindeutig, als Mann gekleidete Frau, als Frau gekleideter Mann […]“ (Bartsch/Wedl, S.16).
Das sind keine Konstrukte des 21. Jahrhunderts. Ich würde mir sogar erlauben zu sagen, dass sie so alt wie die Welt sind, vielleicht nur anders benannt wurden. Zum Beispiel, wie das dritte Geschlecht berdache bei amerikanischen Ureinwohnern. Ein Berdache hatte das männliche biologische Geschlecht und homosexuelle Orientierung, aber erfüllte weibliche oder beide Geschlechterrollen und war sozial hochgeschätzt.
Die obige Kategorien erscheinen nur als zeitgenössische „Erfindungen“ oder Marotte der Mode, weil die jahrhundertelange Herrschaft von zahlreichen sozialen Normen (weil in unserer Gesellschaft alles normiert sein muss(te)) und die Zwei-Geschlechter-Ordnung, alles Nonkonforme als nicht existierend betrachtete. Das heißt aber nicht, dass wir weiter in Ignoranz leben und Kinderzubehör und Spielzeuge nach Geschlechtern kaufen und schenken sollen. Alles was laut der Norm passend ist, trägt zum Verfestigen der Geschlechterstereotypen bei, sogar so eine „unschuldige“ Annahme, dass Puppen für Mädchen und Autos für Buben die richtigen Spielzeuge sind.
Quelle:
Bartsch, Annette/Wedl, Juliette (2015) Zum Reflektierten Umgang mit Geschlecht im Schulunterricht und in der Lehramtsausbildung, in: Bartsch, Annette/Wedl, Juliette (Hrsg.) Teaching Gender? Transkript Verlag: Bielefeld, 9-31.