Schubladen in der Beziehungskiste
Verfasst von Lena Lesslhumer & Sarah Hammelmüller
In einem Schuljahr war Geschichte und politische Bildung mein Lieblingsfach und im nächsten war ich froh, wenn die Schulglocke das Ende der Stunde ankündigte. Meinen Schulkolleginnen ging es dabei ähnlich. Der ausschlaggebende Unterschied zum Vorjahr? Der neue Geschichte-Lehrer, mit ihm fiel mein Interesse und gleichzeitig mein Lernerfolg für mein einstiges Lieblingsfach in den Keller. Lehrkräfte befinden sich im ständigen Kontakt mit anderen Individuen, man könnte fast sagen der Beruf des Lehrers ist ein Beziehungsberuf. Aber hängt guter Unterricht tatsächlich nur von der Lehrperson ab? Und, ist eine gute Lehrerinnen-Schüler*innen-Beziehung wirklich eine Voraussetzung für einen gelingenden und spannenden Unterricht?
Laut dem Artikel Die Bedeutung der Lehrer-Schüler-Beziehung für die Lern- und Leistungsmotivation von Schülern von Dölf Looser sind die zwei Faktoren, nämlich schulisches Lernen und qualitativ wertvolle Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung eng miteinander verbunden. Besonders wenn die Lern- sowie die Leistungsmotivation dadurch beeinflusst werden. (Looser, 2017, Seite 5). Genau diese erwähnten Werte werden am besten mit der Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan gefördert. Im Prinzip hat jede Person drei grundlegende psychologische Bedürfnisse: (Deci / Ryan, 1993, Seite 229):
Das Bedürfnis nach Eingebundenheit oder sozialer Zugehörigkeit, das Bedürfnis nach Kompetenz oder Wirksamkeit und das Bedürfnis nach Autonomie oder Selbstbestimmung.
Mit dem gezielten Einsatz der Theorie von Lehrkräften steigert es nicht nur die Lern- und Motivationswerte, sondern auch die Beziehung zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen.
Dennoch ist gerade diese Beziehung, die von so zentraler Bedeutung ist, oftmals schon von vorneherein mit Vorurteilen belastet.
Hierzu fällt mir sofort ein weiteres Beispiel aus der eigenen Schulzeit ein. Jedoch auf der Seite der Vorurteile, die Schüler*innen gegenüber Lehrer*innen haben und so scheint es mir, dass diese weitaus weniger oft in dem Kontext dieser komplexen zwischenmenschlichen Beziehung genannt wird.
In den Sommerferien ging unsere damalige Spanisch-Lehrerin in Karenz, weshalb wir pünktlich zu Schulbeginn eine neue Lehrperson begrüßen dürften. Doch es kam anders. Als wir voller Neugierde auf „den*die neue*n“ warteten, wurde unsere Vorfreude mit dem Öffnen der Klassenzimmertür zerstört: Es stand kein*e Junglehrer*in im Klassenzimmer, sondern genau die, vor der die Schwester eines Mitschülers schon gewarnt hatte. Laut Erzählungen war sie „der Horror“, man würde in der Stunde nichts lernen, und ihre Schularbeiten seien so schwierig, man bräuchte es nicht mal probieren sich darauf vorzubereiten, weil es „bestenfalls, wenn du richtig gut bist, ein 3er wird“. Aber einen 4er gäbe sie dir, weil sie keine Nachschularbeit schreiben wollen würde.
Nach einer kurzen Schockstarre, in der es in unserer Klasse mucksmäuschenstill war, begannen die ersten zu tuscheln. Wir waren uns alle in unserer Unsicherheit einig, wussten nicht genau, was wir jetzt „davon“ halten sollten. Würden wir es mit „der“ überhaupt bis zur 5. Klasse schaffen?
Hier sei kurz erwähnt, dass wir eine relativ gute Klassendynamik aufwiesen und für unser Alter teilweise schon sehr reflektiert handeln konnten. So berief unsere Klassensprecherin eine „Intervention“ ein, in der wir gemeinsam beschlossen, dieser Lehrerin eine Chance zu geben.
Und nein, das war kein Zuckerschlecken. Vor allem dann nicht, wenn mal etwas schief ging, man nicht die Note bekam, die man sich erhofft hatte. Dann musste man sich nämlich aktiv an der Nase nehmen, und sich selbst eingestehen: „Das hat nichts mit ihrer Lehrqualität zu tun.“ Natürlich, war sie nicht perfekt, aber welcher Mensch ist das schon? Wir sind die restlichen drei Jahre unseres Schüler*innen-Daseins sehr gut mit dieser Lehrkraft ausgekommen, weil wir ihr eine Chance gegeben haben und ich denke, das wusste sie und deshalb hat sie sie auch genutzt.
Noch heute denke ich oft an dieses Beispiel zurück, um mich daran zu erinnern, mir zuerst selbst ein Bild meines Gegenübers bzw. seines Verhaltens zu machen, bevor ich entscheide welche Gefühle ich ihr*ihm entgegenbringe. Denn wenn wir nicht aufpassen, wird unsere voreingenommene Haltung zur selbsterfüllenden Prophezeiung.
Was sollte man also aus diesen Zeilen mitnehmen: Eine Chance ist besser als keine. Außerdem ist klar, dass Vorurteile, jede einzelne zwischenmenschliche Beziehung beeinflussen. Egal, ob es um generelle Stereotypen oder aber um subjektive Vorurteile geht, durch sie entsteht in gewisser Weise eine Mauer zwischen den Menschen und es ist klar, dass es eine gewisse Anstrengung kostet, diese zu überwinden. Aber kann man „Chancen geben“ lernen? Wie schwierig ist es, sich eine offene Haltung „anzueignen“? Oder geht es hier um Persönlichkeitsmerkmale, die nur schwer zu ändern sind? Diesen und weiteren Fragen gehen wir in unserem nächsten Artikel auf dem Grund.
Literaturverzeichnis:
Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39 (2), S. 229.
Looser, Dölf (2017). Die Bedeutung der Lehrer-Schüler-Beziehung für die Lern- und Leistungsmotivation von Schülern, Erziehungskompetente Lehrer aus der Perspektive der Selbstbestimmungs- und Erziehungsstiltheorie. in Lehren & lernen 43 (3), S. 3–10.