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Die Zukunftsfrage der Gesellschaft

(von Michaela Rudinger)

Ich habe mich entschlossen auf diesem Blog einen Beitrag zum Thema Klimaschutz zu verfassen, weil ich der Meinung bin, dass dieser Stoff nicht nur so brisant wie noch nie ist, sondern auch mit der Bewegung Fridays for future bereits in unseren Schulen Einzug gehalten hat.  

Die Zukunftsfrage der Gesellschaft wurde auch bereits 2015 von Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si‘ angesprochen. In diesem Schreiben bezieht Papst Franziskus klare und deutliche Position zur rücksichtlosen Ausbeutung der Natur. Unsere Form von Wohlstand auf Kosten von Mensch und Natur ist nicht zukunftsfähig und geht zu Lasten zukünftiger Generationen. Der Papst sieht die dringende Notwendigkeit Umzusteuern und ruft zu einem internationalen Dialog auf.

Die Enzyklika Laudato si‘ ist ein umweltpolitisches Diskussionspapier, dass an Hand von konkreten Punkten den Leser einlädt, nachzudenken wie Nachhaltigkeit in einer Zeit von “ Mehr, mehr, immer mehr“ aussehen kann. 

Es bedarf ein zurücknehmen, ein mit weniger zufrieden zu sein. Laut Papst Franziskus könnte der Glaube die Basis sein, auf der dieses Umdenken gelingen kann. 

Ich lade meine Leser herzlich ein die Enzyklika von Papst Franziskus zu lesen und sich mit der Zukunftsfrage unserer Gesellschaft auseinander zu setzten.

 

Literaturverzeichnis

Papst Franziskus (2015). Enzyklika Laudato si‘ Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Ante-Matiere. 




Mädchen rosa, Jungs blau – Geschlechtsstereotype im (Schul-)Alltag

Als eine von vier Mädchen habe ich mich mit elf Jahren im Werkunterricht unter zwanzig Burschen zunächst falsch am Platz gefühlt. In der Schule konnten wir es uns damals aussuchen, ob wir textiles oder technisches Werken besuchen wollten und da mein Opa zu Hause eine große Werkstatt hatte, wollte ich natürlich lernen, wie ich ihm beim Holz Verarbeiten helfen kann. Die restlichen Mädchen in meiner Klasse hatten sich allerdings für textiles Werken entschieden, denn „Technisches Werken ist doch was für Burschen!“ – nicht nur von Mitschüler*innen, sondern auch von Lehrkräften habe ich dies mehrmals zu hören bekommen.

Aber woher kommt das? Warum sind Geschlechtsstereotype in unserer westlichen und, ich möchte doch behaupten, relativ aufgeklärten Gesellschaft immer noch so präsent? Um diese Fragen zu klären, muss zunächst deutlich gemacht werden, was mit Geschlechtsstereotype im Allgemeinen gemeint ist und wie diese überhaupt entstehen. In ihrem Werk „Gender-Sprache-Stereotype: Geschlechtersensibilität im Alltag und Unterricht“ (2020) schreibt Prof. Dr. Hilke Elsen dazu folgendes:

Geschlechtsstereotype setzen sich aus Informationen zu Person, Aussehen, Kleidung, Verhalten und Interessen (Freizeit, Spiele), Charakterzügen, Beruf, Namen und sprachlichem Verhalten zusammen. Sie werden in einem komplexen Netzwerk miteinander assoziiert und im Laufe des Lebens unterschiedlich gewichtet. […] Die Kinder nehmen andere in ihrem Verhalten und Aussehen wahr und erhalten Reaktionen auf eigenes Aussehen und Verhalten: Je mehr Frauen mit langen Haaren und Kleidern auftreten, desto stärker wird die Korrelation für das Konzept ‚Frau‘. Je häufiger und stärker ein Junge reglementiert wird, wenn er einmal einen Rock anziehen möchte, desto stärker wird die Korrelation ,Mann‘ – ‚kein Rock. (S.109)

Geschlechtsstereotype sind also kulturabhängig und werden großteils erlernt. Allseits bekannte Auffassungen wie etwa „Mädchen sind sprachbegabter als Burschen, dafür sind diese handwerklich geschickter“ werden in der Regel aber auch nicht hinterfragt, sondern blindlinks angenommen und weitervermittelt. Aber steckt man die Schüler*innen somit nicht direkt in eine Schublade? Meiner Meinung nach ist dies sehr wohl der Fall. Auch Elsen (2020, S. 110) findet, dass obwohl vermutet wird, dass Kinder (bedingt durch Hormone und Gehirnstruktur) bis zu einem gewissen Grad ein vorgefertigtes, geschlechtsspezifisches Denken haben, das „soziale Umfeld“ eine wesentliche Rolle spielt. Sie meint: „[…] das soziale Umfeld lenkt von Anfang an das Augenmerk auf entsprechende Sollvorgaben. Kinder lernen in der Familie im Alter von wenigen Monaten, was von ihnen erwartet wird.“ (Elsen, 2020, S.110)

Also bereits vom Elternhaus aus werden häufig geschlechtsstereotypische Werte vermittelt. Elsen (2020, S. 110) führt hierbei das Spielen mit Puppen an, welches stereotypisch Mädchen zugeschrieben wird. Ein weiteres Beispiel dafür sind sogenannte „Baby showers“, also Partys auf denen werdende Eltern das Geschlecht ihres Babys bekannt geben. Diese sind momentan stark im Trend und ein hervorragendes Beispiel, wie Kinder bereits vor ihrer Geburt an geschlechtsspezifische Vorurteile gebunden werden. Um das jeweilige Geschlecht bekannt zu geben, werden nämlich meist die Farben rosa und blau verwendet, wobei rosa für ein Mädchen und blau für einen Jungen steht. Diese zwei Farben sind in unserer Gesellschaft heutzutage, aufgrund der starken Konnotation, quasi ein Symbol für die zwei traditionellen Geschlechter geworden. Selbst in Schulbüchern finden sich, neben anderen geschlechtsstereotypischen Äußerungen, Beispielen und Abbildungen, immer wieder diese zwei Farben als Kennzeichnung für die Geschlechter Frau und Mann. Dass ein Junge aber beispielsweise rosa lieber mögen kann als blau, scheint dabei egal zu sein. Aus Erfahrung kann ich leider sagen, dass so ein Junge in der Schule dafür vermutlich schräg angeschaut oder womöglich sogar dafür gemobbt würde. Der Grund dafür wäre einzig und allein, dass er nicht der Geschlechtsstereotype entspricht.

In der Schule ist hinsichtlich des Themas also offensichtlich noch reichlich Aufklärungsbedarf und Veränderung nötig. Die Personen, welche in diesem Bereich (neben den Eltern und Kindergartenpädagog*innen) viel Einfluss haben und folglich auch etwas bewirken können sind die Lehrkräfte. Aufgrund dessen ist es ausschlaggebend, dass im Unterricht diese Geschlechtsstereotype direkt angesprochen und auch besprochen werden. Zudem sehe ich es als Lehrauftrag einer jeden Lehrperson, die im Unterricht verwendete Sprache dahingehend anzupassen, dass Geschlechtsstereotype (zumindest weitgehend) vermieden werden. „Denn Kinder nehmen Stereotype anders wahr als Erwachsene, sie können die Verallgemeinerungen und Verzerrungen noch nicht erkennen und binden die Stereotype aktiv in ihre Wirklichkeitskonstruktionen ein. Sie konstruieren Geschlecht anhand der Geschlechtsstereotype und Verhaltenstypisierungen.“ (Elsen, 2020, S. 110) Was die Kinder also im Schulalltag an Geschlechtsstereotypen hören und lernen, nehmen sie in der Regel ohne weiteres Hinterfragen auf und halten es für wahr. Auch Studien (Hilliard und Liben, 2010 und Liben, 2001) an Volksschulkindern haben gezeigt, dass dies der Fall ist. Im Vergleich zu den Kontrollgruppen, haben die Kinder der Versuchsgruppen ein stark verändertes, geschlechtsstereotypes Verhalten aufgewiesen, nachdem diese einige Wochen lang im Unterricht mit Geschlechtsstereotypen konfrontiert wurden. (Elsen, 2020, S. 110)

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Geschlechtsstereotype leider immer noch der Regel angehören. Im Alltag zu Hause und auch im Schullalltag ist dies der Fall und es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder dabei keine Chance haben, objektiv zu bleiben da sie nicht erkennen können, dass Geschlechtsstereotype bloß Vorurteile sind und nicht der Realität entsprechen. Es ist daher also der Auftrag der Eltern und vor allem auch der Pädagogen im Bildungsbereich, dieses Thema aktiv anzugehen, die Schüler*innen aufzuklären und mit ihnen darüber zu diskutieren. Denn um nochmals auf die anfängliche Frage, weshalb Geschlechtsstereotype in unserer heutigen Gesellschaft immer noch so präsent sind, zurückzukommen: es liegt an unserer Gesellschaft selbst. Trotzdem wir relativ aufgeklärt sind in unserem westlichen Lebensstil, gibt es immer noch verankerte Annahmen und Prinzipien, die zwar längst überholt sind, jedoch weitervermittelt und praktiziert werden. Aber wollen wir den jüngeren Generationen nicht doch lieber zeigen, dass ihnen die Welt offen steht? Dass sie die Farben mögen können, die sie wollen, dass sie den Beruf ausüben können, den sie wollen und dass sie sein können, wie und wer sie wollen – alles, ohne dabei aufgrund veralteter Geschlechtsstereotype verurteilt, sondern im Gegenteil, in ihren Vorhaben bekräftigt zu werden?

 

Bibliographie:

Elsen, H. (2020). Gender-Sprache-Stereotype: Geschlechtersensibilität in Alltag und Unterricht. Tübingen: utb GmbH.




„Die eine erblüht, die andere verwelkt“

Halten Sie einen kurzen Augenblick inne. Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich ein wunderschön buntes Blumenbeet mit Sonnenblumen, Tulpen, Rosen und Mohnblumen vor. Manch ein/e Leser/in wird sich nun vielleicht fragen, was ein Blumenbeet mit uns Menschen zu tun hat? Wenn man genau überlegt, ziemlich viel.

Jede Blume ist anders. Keine Blume ist exakt gleich, wie ihre Beet-Nachbarin. Bei der einen ist die Blüte größer, die andere besitzt weniger Blätter, wieder eine andere ist kleiner, die andere schmäler. Dies kann man hervorragend mit den Menschen vergleichen. Dazu kommt, dass wir Menschen, zusätzlich zum Aussehen oder zur Größe, genetisch bedingt alle unterschiedlich sind.

Blumen sind meist keine Einzelgänger, sie gedeihen in Gruppen, denn jede einzelne Blütenpflanze benötigt Schutz vor Wind und Wetter. Wir Menschen sind beim Heranwachsen genauso auf andere angewiesen, wie eine Blume. Wir Menschen benötigen den Schutz einer Familie, um überhaupt gedeihen und reifen zu können. Gäbe es unsere Eltern nicht, würden wir nicht existieren. Gäbe es den Wind nicht, der die Blumensamen in die Ferne an neue Orte treibt, würde dies auf den Menschen übertragen bedeuten, dass neues Leben überhaupt gar nicht möglich wäre.

In einem Blumenbeet wachsen und gedeihen einerseits die mit Lebensenergie erfüllten Sprießlinge, die es vor lauter Vorfreude kaum mehr erwarten können, das Licht der Erde zu erblicken. Nebenan verabschiedet sich eine wunderschöne Sonnenblume langsam von ihrer Familie. Man erkennt, dass die Blüten und die Blätter zu einer für sie immer größeren Last werden, bis diese schließlich abfallen und wieder eins mit der Erde werden. Wir Menschen werden geboren. Wir Menschen müssen sterben.

Im Laufe der Evolution entstanden immer wieder neue Spezies auf der Erde. Die bereits bestehenden Pflanzen und Tiere entwickelten sich weiter und vermehrten sich. Sie mussten sich an die sich stetig ändernden Lebensbedingungen anpassen und einen Weg finden, um ihre Existenz aufrecht zu erhalten. Von Homo Erectus und Homo Neanderthalensis zu Homo sapiens sapiens, dem weisen Menschen.

Wie eine Blume sich im Laufe ihrer Existenz entwickelt, so entwickelt sich der Mensch im Laufe seines Lebens. Er erblickt das Licht der Welt, lernt, pflanzt sich fort. Hier wird die Verbindung zwischen Pflanzen/Blumen und dem Menschen deutlich. Das Wort Fortpflanzung lautet nicht grundlos Fortpflanzung.

Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass eine Blume sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsorgane besitzt. Eine Aussage über eine eindeutige Geschlechtszugehörigkeit kann somit nicht getroffen werden. Es gibt also bei einer Blume sowie beim Menschen weit mehr als nur zwei Möglichkeiten; Geschlecht hat mehr Ausprägungen als nur Frau oder Mann. Jeder darf somit über sein (nicht natürliches) Geschlecht entscheiden.

Jede Blume ist wunderschön einzigartig sowie jeder Mensch wunderschön einzigartig ist. Und doch gibt es unzählige Gemeinsamkeiten, die uns schlussendlich alle verbinden.

Autorin: Sonja Harrer




Der Mensch als Produkt – Teil 5: Spannungsfeld Schule – Wirtschaft – Politik

Bildung als „Infrastruktur“

Bei Fend, H. (20082) zeigt sich, dass sich unsere Gesellschaft durch drei Subsysteme charakterisieren lässt:

  • Politisches System (hier findet einerseits die Regulierung des gemeinschaftlichen Zusammenlebens statt, andererseits werden Entscheidungsprozesse organisiert sowie Rahmenbedingungen für andere Subsysteme gesetzt)
  • Wirtschaftssystem (organisiert in gesellschaftlicher Dimension die Arbeit, produziert lebenswichtige Güter und verteilt sie)
  • Bildungssystem (hier werden gesellschaftlich benötigte Qualifikationen und mentale Infrastrukturen hergestellt)

Bei Betrachtung des letztgenannten Punktes fällt die Formulierung „mentale Infrastrukturen“ auf. Dem Duden ist hierbei folgende Definition von „Infrastruktur“ zu entnehmen:

„Notwendiger, wirtschaftlicher und organisatorischer Unterbau als Voraussetzung für die Versorgung und die Nutzung eines bestimmten Gebiets für die gesamte Wirtschaft eines Landes“.

Diese Begrifflichkeit steht hier meiner Meinung nach sehr anschaulich für eine funktionelle Engführung des Bildungsbegriffs – Bildung als stark zweckgebundenes System: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand eine Sichtweise auf das Bildungssystem, die sich dadurch auszeichnete, dass sich gegenüber einer ganzheitlichen Bildung des Menschen im Medium herausragender abendländischer Kulturwerke eine ökonomische Betrachtungsweise durchsetzte. Schule und Lernen wurden so Instrumente für eine möglichst effektive Erzeugung von Qualifikationen, die von zentraler Bedeutung für das Wirtschaftssystem hinsichtlich der Behauptung im internationalen Wettstreit der Volkswirtschaften sind.

Die enge Beziehung zwischen Erziehungssystem und dem ökonomischen System einer Gesellschaft zeigt folgende Visualisierung der bereits angesprochenen gesellschaftlichen Subsysteme:

 

Standardisierung – eine neue Notwendigkeit, die aus der Verschränkung von Wirtschaft mit Bildung resultiert

Anhand der obigen Grafik stellt sich der Sachverhalt sehr eingängig dar: Sowohl das ökonomische System, als auch das Erziehungssystem werden in ihren Freiheiten von durch das politische System gesetzten Rahmenbedingungen reglementiert und es ist erkennbar, dass Bildungssysteme in den modernen Gesellschaften eng im Austausch mit den anderen Subsystemen stehen. Betrachtet man die Achse zwischen Erziehungs- und ökonomischem System genauer, so zeigt sich eine fundamentale Abhängigkeit: Hinsichtlich der Wandlung von einer ganzheitlicher Bildung hin zur konkreten Erzeugung von Qualifikationen in den Schulen wird deutlich, dass durch den intensiven Austausch von Qualifikationen mit finanzieller Sicherung seitens der Wirtschaft sich eine neue Notwendigkeit einstellt: Der Input an finanziellen Mitteln erfordert im Zuge einer Qualitätssicherung die Überprüfung der Rendite und damit des Outputs an Leistungen und Qualifikationen!

Aus diesem Sachverhalt heraus kann man die jüngere Entwicklung von Standardisierung und Kompetenzorientierung in einen wirtschaftlichen Kontext setzen. Die Überprüfbarkeit von Bildung wird zum Hauptmerkmal des Umgangs mit Schulentwicklung. Hier kommen die Standards und die Kompetenzmodelle ins Spiel:

Die Standards:

Standards (die „Lebensretter“ des Bildungssystems nach dem „PISA-Schock“) haben drei zentrale Anforderungen: Erfüllbarkeit, Möglichkeit zur Beschränkung (zB. zeitliche Begrenzung des Lernens, welche Inhalte werden ein- bzw. ausgeschlossen, etc.) sowie die Überprüfbarkeit. Dies ermöglicht eine exakte inhaltliche Festlegung im Sinne wirtschaftlicher Qualifikationsanforderungen sowie Kontrolle und Vergleichbarkeit (und damit das Entstehen von Wettbewerbsbedingungen).

Die Kompetenzmodelle:

Im Zusammenhang mit Standardisierungsprozesse und Überprüfbarkeit spielen die „Kompetenzmodelle“ eine wichtige Rolle: Ihre Schlüsselfunktion ist die Bereitstellung der Grundlage für eine Operationalisierung, mit deren Hilfe der Output des Bildungssystems schließlich empirisch überprüft werden kann. Beschäftigt man sich beispielsweise näher mit den Inhalten von Curricula an der Uni, so kann man in den einzelnen Modulbeschreibungen unter „Learning Outcomes“ exakt diese strenge Ausrichtung der Bildungskonzeption hin zur Überprüfbarkeit ihrer Inhalte ablesen – es finden sich fast ausschließlich Formulierungen wie „Die Studierenden können …“, „Die Studierenden kennen …“, „Die Studierenden sind bereit … zu …“, deren Umsetzung seitens der Studierenden in Beurteilungsverfahren gut zu erheben sind. Dazu sind Angaben über den dafür veranschlagten Arbeitsaufwand mit angeführt.

Diese beinahe an industrielle Prozessoptimierung erinnernde Entwicklung hin in Richtung Normierung und Effizienzsteigerung hat ihren Grund eventuell in einer gleichartigen Entwicklung der Gesellschaftsstrukturen: Menschliche Gesellschaften haben sich im Laufe der Vergangenheit immer stärker ausdifferenziert und ihre Subsysteme haben sich immer stärker miteinander verflochten. Dadurch sind sie zu äußerst effizienten Instrumenten der Existenzbewältigung geworden. Dieser Drang nach Effizienz macht sich auf diese Weise auch in unserem Bildungssystem bemerkbar. Dabei muss man aber differenzieren: Auch das Bildungssystem soll effizient arbeiten – doch wie verträgt sich eine übermäßig aus der Wirtschaft erwachsenden Effizienzvorstellung mit mit dem Anspruch, Bildung für jeden Menschen und seinen Bedürfnissen entsprechend bereitzustellen? Welche Schranken bietet uns letztlich unser eigenes Menschsein, das sich in letzter Instanz gegen die Eingliederung des Menschen in eine von der Wirtschaft diktierten Produktionskette stellen muss – will es nicht zum bloßen Produkt verkommen.

Viele Fragen stellen sich, nur wenige können wohl eindeutig beantwortet werden. Mit dem nächsten und damit letzten Beitrag dieser Reihe soll aber zumindest versucht werden, all diese Aspekte zu einem Faden zu verbinden, unsere kurze, textliche Reise zu reflektieren und in einem zusammenfassenden Ende zu beschließen.

 

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Literatur (sämtlicher Artikel dieser Reihe):

Bohnsack, F. (2008). Schule – Verlust oder Stärkung der Person? Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Fend, H. (20082). Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Grimm G. (2011). Uniformierung und (Sozial-)Disziplinierung als pädagogisch-bildungs-politische Leitprinzipien bei der Grundlegung des öffentlich-staatlichen Pflichtschulwesens in Österreich im 18. Jahrhundert. In S. Sting, & V. Wakounig (Hrsg.), Bildung zwischen Standardisierung, Ausgrenzung und Anerkennung von Diversität, Band 12. (S. 101-113). Wien: LIT Verlag.

Klein, R. (2010). Fest-Stellungen: zur Entsorgung von Reflexivität durch Kultur- und Bildungsstandards. In S. Dungs (Hrsg.), & R. Klein, Standardisierung der Bildung. Zwischen Subjekt und Kultur. (S. 29-54). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Oelkers, J. (2003). Wie man Schule entwickelt. Eine bildungspolitische Analyse nach PISA. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz Verlag.

Tauscher, A. (1968). Die Stellung des Lehrers in der Gesellschaft von heute oder Die Begegnung von Wirtschaft und Schule. In Sozial- und Wirtschaftskundliche Schriftenreihe, Heft 5. Wien: Sparkassenverlag Gesellschaft m.b.H.

Winter, F. (2006). Leistungsbewertung. Eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schülerleistungen. In J. Bennack, A. Kaiser, & R. Winkel (Hrsg.), Grundlagen der Schulpädagogik, Band 49. Stuttgard: Schneider Verlag.




Der Mensch als Produkt – Teil 3: Von der Ungleichheit in unserer Gesellschaft

Das Leistungsprinzip

Wie bereits am Ende des vorhergehenden Artikels angesprochen, erfüllt das Bildungswesen hinsichtlich der Sozialisation von heranwachsenden Menschen eine ganz wesentliche Funktion. In diesem Zusammenhang sei die sogenannte Leistungsideologie bzw. das Leistungsprinzip erwähnt. Grundlage hierfür ist es, ein Bild einer Leistungsgesellschaft zu vermitteln, der nach es erforderlich ist, im Gegenzug zum Bezug wichtiger Güter Leistungen zu erbringen. Die schulische Leistungsbeurteilung erfüllt hier eine wesentliche Rolle der Einprägung dieser Sichtweise in die Köpfe der Jugendlichen. Grundsätzlich ist die Durchsetzung des Leistungsprinzip ein durchaus sehr wertvoller Sieg der Demokratie über die früheren feudalen Privilegien. Doch abgesehen davon kann man die Leistungsideologie durchaus auch kritisch betrachten: Denn in ihrem Sinne soll Schule die Anerkennung von Besitzverteilungen und Machtverhältnisse sicherstellen. Dies gelingt mit folgender, der Leistungsideologie entspringender, Argumentation: „Ungleichheit ist das Ergebnis individuell unterschiedlicher Anstrengung“. Das bedeutet, dass demnach jeder gleichermaßen Chancen auf Erfolg hat und diese lediglich durch die eigene Bereitschaft zur Anstrengung zur Entfaltung bringen kann. Somit hätte jemand, der den sozialen Aufstieg nicht schafft, sich das seiner eigenen mangelnden Leistungsbereitschaft zuzuschreiben. Dass dieses Leistungsprinzip im Sinne einer inklusiven Gesellschaft nicht fair ist, liegt auf der Hand: Nicht jeder Mensch verfügt über die gleichen Startvoraussetzungen und Anstrengung wird nicht in allen gesellschaftlichen Gruppierungen gleich mit Erfolg „entlohnt“. Zudem kommt, dass in der Gesellschaft auch noch andere Prinzipien Anwendung finden:

  • Bekannheitsprinzip (Hier besteht eine Bevorzugung durch direkte bzw. indirekte Beziehung zu den Auswählenden)
  • Ideologieprinzip (Parteizugehörigkeit und/oder Gesinnungsnähe als Auswahlkriterium)
  • Anciennitätsprinzip (Vorziehen altgedienter Personen)
  • Sozialprinzip (Bevorzugung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen bei ansonsten gleicher Qualifikation)

Mit dem Etablieren des Leistungsprinzips in Bildungsinstitutionen könnte man diese gewissermaßen als Herrschaftsinstrument im Dienste der Interessen einer kapitalistischen Gesellschaft sehen, das den in ihr mächtigen Gruppen in die Karten spielt, indem es die materielle Ungleichheit zwischen den Menschen auf diese Weise legitimiert.

In der Schule findet das Leistungsprinzip in der Vergabe von Schulnoten symbolisch Anwendung. Problematisch ist, gerade auch hinsichtlich des Themas „Diversität und Inklusion“, dass hier im Endeffekt Menschen als Summe ihrer Effizienz gesehen werden und Leistung zu einem Hauptkriterium in der Feststellung des Wertes eines Menschen wird.

Leistungszielorientierung vs. Lernzielorientierung

Hinsichtlich eines Schulalltags, der sich zunehmend stärker auf SchülerInnenleistung fokussiert, zeigt sich, dass eine leistungszielorientiere Haltung seitens der SchülerInnen mit extrinsischer Motivation einhergeht, da Handlungen aufgrund positiver Folgen (Belohnung, beispielsweise durch das Notensystem) oder auch Vermeidung von Bestrafung (Konsequenzen schlechter Benotung) vollzogen werden. Dies steht im Gegensatz zu einer Lernzielorientierung, bei der die SchülerInnen eher um der Sache selbst willen aufgabenorientiert und intrinsisch motiviert arbeiten. Letztere Einstellung zeichnet eine nachhaltige und menschliche Herangehensweise in der Bildungsarbeit aus. Sie weist bei den Kindern auch signifikant höhere Lernraten auf, als bei Leistungszielorientierung. Dennoch tritt Leistungszielorientierung bei mehr als der Hälfte aller Schüler, nämlich zu 53,4% auf. Eine Aufgabenorientierung findet sich zu nur 13,7%!

Als Lehrkraft wird es demnach wichtig sein, Gegenerfahrungen zur üblichen Leistungskontrolle anzubieten, um damit einen menschlicheren, motivationsförderlichen und langfristigeren Zugang zum Lernen zu schaffen. Vielleicht sollte sich in den einzelnen Fächernd der Fokus ein wenig verschieben: Nicht nur darauf schauen, wie man das Fach am besten vermittelt und die Effizienz dieser Vermittlung erhebt, sondern vielmehr die Frage stellen, was man mit dem Fach dazu beitragen kann, dass es dem Schüler, der Schülerin bei seiner/ihrer Menschwerdung hilft! So geschieht Lernen letztlich nicht für die Note, sondern für wesentlich höhere Werte – wenn wir die Persönlichkeitsbildung der Einzelnen in all unseren Handlungen als Lehrperson im Blick haben.

In den folgenden Beiträgen werden wir uns dem Spannungsfeld von Schule und Wirtschaft widmen, dem schlussendlich auch die aktuelle Debatte über Standardisierung und Vereinheitlichung entspringt.

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Literatur (sämtlicher Artikel dieser Reihe):

Bohnsack, F. (2008). Schule – Verlust oder Stärkung der Person? Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Fend, H. (20082). Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Grimm G. (2011). Uniformierung und (Sozial-)Disziplinierung als pädagogisch-bildungs-politische Leitprinzipien bei der Grundlegung des öffentlich-staatlichen Pflichtschulwesens in Österreich im 18. Jahrhundert. In S. Sting, & V. Wakounig (Hrsg.), Bildung zwischen Standardisierung, Ausgrenzung und Anerkennung von Diversität, Band 12. (S. 101-113). Wien: LIT Verlag.

Klein, R. (2010). Fest-Stellungen: zur Entsorgung von Reflexivität durch Kultur- und Bildungsstandards. In S. Dungs (Hrsg.), & R. Klein, Standardisierung der Bildung. Zwischen Subjekt und Kultur. (S. 29-54). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Oelkers, J. (2003). Wie man Schule entwickelt. Eine bildungspolitische Analyse nach PISA. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz Verlag.

Tauscher, A. (1968). Die Stellung des Lehrers in der Gesellschaft von heute oder Die Begegnung von Wirtschaft und Schule. In. Sozial- und Wirtschaftskundliche Schriftenreihe, Heft 5. Wien: Sparkassenverlag Gesellschaft m.b.H.

Winter, F. (2006). Leistungsbewertung. Eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schülerleistungen. In J. Bennack, A. Kaiser, & R. Winkel (Hrsg.), Grundlagen der Schulpädagogik, Band 49. Stuttgard: Schneider Verlag.




Diversität in der Schule – wie begegnen wir ihr?

Diversität im Unterricht bzw. in der Schule äußert sich auf vielen unterschiedlichen Ebenen wie Sprache, Geschlecht, Religion, kognitive Grundvoraussetzungen, ökonomische Lebenslage, ethnische sowie kulturelle Herkunft und vielen mehr. Dabei stellt eine diverse Schülerschaft besondere Ansprüche an die Lehrperson – es gilt, die Verschiedenheit der Individuen trotz systembedingter Restriktion zu bewahren, sie zu stärken und dennoch einem gemeinsamen Konsens zuzuführen. Dass dies eine idealistische Vorstellung ist, zeigt der durchschnittliche Schulalltag – der Graben zwischen Idealismus und Realismus ist ein breiter.

Die große Vielfalt an unterschiedlichen SchülerInnen erfordert eine ebenso reichhaltige Vielfalt an Unterrichtsmethoden, Themenbereichen und nicht zuletzt Bewertungssystemen. Letztere sind dabei entscheidend dafür, ob es gelingt, dieser Vielfalt trotz der Transformation der Schülerleistung in abstrakte Noten angemessen zu begegnen. Diversität in der Schule bedeutet, die Schülerin/den Schüler als Mensch mit jeweils eigener Geschichte, Voraussetzungen und Vorlieben zu erkennen. Darum ist Diversität zu allererst eine Offenheit, die bei einem selbst anfängt: Schaffe ich es als Lehrperson, mich fortwährend innerhalb der Antinomie von geforderter Bewertung auf der einen Seite und ganzheitlichem, menschenwürdigem Wahrnehmen der/des Einzelnen auf der anderen Seite zu bewegen, ohne dabei zu ermüden? Und sehe ich in der Lehrerrolle nicht nur einen Wissensvermittler und Datensammler, sondern in erster Linie auch jemanden, der jungen Menschen dabei hilft, genau das in ihnen zu finden, was sie ausmacht – auch abseits des eigenen Unterrichtsfachs?

Diversität in der Schule bedeutet für mich daher letzten Endes auch, ein besonders vielfältiges Bild von der Natur einer Lehrperson im Kopf zu haben. Das wirft die Frage auf, welche Parameter schulischen Lehrens und Lernens innerhalb der rechtlich-politisch vorgegebenen Grenzen verändert werden können, um diesen Spagat mit Erfolg bewerkstelligen zu können. Die LehrerInnenbildung stellt mit Gewissheit einen wesentlichen Ansatzpunkt dar. Doch fasst man das Blickfeld weiter, so rückt letztlich ein alles bedingender Faktor in den Fokus der Betrachtung, mit welchem jegliche Konzeptualisierung institutioneller Wissensvermittlung untrennbar verbunden ist – unsere Gesellschaft, die wir Tag für Tag mit dem Leben unserer Werte und Normen neu schaffen. Aus ihr heraus entstand einst das Konzept Schule und mit ihrer Entwicklung muss man sich in letzter Konsequenz befassen, will man Werte und Grundsätze schulischer Bildung verstehen, erklären oder weiterentwickeln. Genau dieser gesellschaftliche Aspekt von Diversität und Schule wird Inhalt der folgenden Beiträge sein.