Der Mensch als Produkt – Teil 3: Von der Ungleichheit in unserer Gesellschaft
Das Leistungsprinzip
Wie bereits am Ende des vorhergehenden Artikels angesprochen, erfüllt das Bildungswesen hinsichtlich der Sozialisation von heranwachsenden Menschen eine ganz wesentliche Funktion. In diesem Zusammenhang sei die sogenannte Leistungsideologie bzw. das Leistungsprinzip erwähnt. Grundlage hierfür ist es, ein Bild einer Leistungsgesellschaft zu vermitteln, der nach es erforderlich ist, im Gegenzug zum Bezug wichtiger Güter Leistungen zu erbringen. Die schulische Leistungsbeurteilung erfüllt hier eine wesentliche Rolle der Einprägung dieser Sichtweise in die Köpfe der Jugendlichen. Grundsätzlich ist die Durchsetzung des Leistungsprinzip ein durchaus sehr wertvoller Sieg der Demokratie über die früheren feudalen Privilegien. Doch abgesehen davon kann man die Leistungsideologie durchaus auch kritisch betrachten: Denn in ihrem Sinne soll Schule die Anerkennung von Besitzverteilungen und Machtverhältnisse sicherstellen. Dies gelingt mit folgender, der Leistungsideologie entspringender, Argumentation: „Ungleichheit ist das Ergebnis individuell unterschiedlicher Anstrengung“. Das bedeutet, dass demnach jeder gleichermaßen Chancen auf Erfolg hat und diese lediglich durch die eigene Bereitschaft zur Anstrengung zur Entfaltung bringen kann. Somit hätte jemand, der den sozialen Aufstieg nicht schafft, sich das seiner eigenen mangelnden Leistungsbereitschaft zuzuschreiben. Dass dieses Leistungsprinzip im Sinne einer inklusiven Gesellschaft nicht fair ist, liegt auf der Hand: Nicht jeder Mensch verfügt über die gleichen Startvoraussetzungen und Anstrengung wird nicht in allen gesellschaftlichen Gruppierungen gleich mit Erfolg „entlohnt“. Zudem kommt, dass in der Gesellschaft auch noch andere Prinzipien Anwendung finden:
- Bekannheitsprinzip (Hier besteht eine Bevorzugung durch direkte bzw. indirekte Beziehung zu den Auswählenden)
- Ideologieprinzip (Parteizugehörigkeit und/oder Gesinnungsnähe als Auswahlkriterium)
- Anciennitätsprinzip (Vorziehen altgedienter Personen)
- Sozialprinzip (Bevorzugung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen bei ansonsten gleicher Qualifikation)
Mit dem Etablieren des Leistungsprinzips in Bildungsinstitutionen könnte man diese gewissermaßen als Herrschaftsinstrument im Dienste der Interessen einer kapitalistischen Gesellschaft sehen, das den in ihr mächtigen Gruppen in die Karten spielt, indem es die materielle Ungleichheit zwischen den Menschen auf diese Weise legitimiert.
In der Schule findet das Leistungsprinzip in der Vergabe von Schulnoten symbolisch Anwendung. Problematisch ist, gerade auch hinsichtlich des Themas „Diversität und Inklusion“, dass hier im Endeffekt Menschen als Summe ihrer Effizienz gesehen werden und Leistung zu einem Hauptkriterium in der Feststellung des Wertes eines Menschen wird.
Leistungszielorientierung vs. Lernzielorientierung
Hinsichtlich eines Schulalltags, der sich zunehmend stärker auf SchülerInnenleistung fokussiert, zeigt sich, dass eine leistungszielorientiere Haltung seitens der SchülerInnen mit extrinsischer Motivation einhergeht, da Handlungen aufgrund positiver Folgen (Belohnung, beispielsweise durch das Notensystem) oder auch Vermeidung von Bestrafung (Konsequenzen schlechter Benotung) vollzogen werden. Dies steht im Gegensatz zu einer Lernzielorientierung, bei der die SchülerInnen eher um der Sache selbst willen aufgabenorientiert und intrinsisch motiviert arbeiten. Letztere Einstellung zeichnet eine nachhaltige und menschliche Herangehensweise in der Bildungsarbeit aus. Sie weist bei den Kindern auch signifikant höhere Lernraten auf, als bei Leistungszielorientierung. Dennoch tritt Leistungszielorientierung bei mehr als der Hälfte aller Schüler, nämlich zu 53,4% auf. Eine Aufgabenorientierung findet sich zu nur 13,7%!
Als Lehrkraft wird es demnach wichtig sein, Gegenerfahrungen zur üblichen Leistungskontrolle anzubieten, um damit einen menschlicheren, motivationsförderlichen und langfristigeren Zugang zum Lernen zu schaffen. Vielleicht sollte sich in den einzelnen Fächernd der Fokus ein wenig verschieben: Nicht nur darauf schauen, wie man das Fach am besten vermittelt und die Effizienz dieser Vermittlung erhebt, sondern vielmehr die Frage stellen, was man mit dem Fach dazu beitragen kann, dass es dem Schüler, der Schülerin bei seiner/ihrer Menschwerdung hilft! So geschieht Lernen letztlich nicht für die Note, sondern für wesentlich höhere Werte – wenn wir die Persönlichkeitsbildung der Einzelnen in all unseren Handlungen als Lehrperson im Blick haben.
In den folgenden Beiträgen werden wir uns dem Spannungsfeld von Schule und Wirtschaft widmen, dem schlussendlich auch die aktuelle Debatte über Standardisierung und Vereinheitlichung entspringt.
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Literatur (sämtlicher Artikel dieser Reihe):
Bohnsack, F. (2008). Schule – Verlust oder Stärkung der Person? Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.
Fend, H. (20082). Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Grimm G. (2011). Uniformierung und (Sozial-)Disziplinierung als pädagogisch-bildungs-politische Leitprinzipien bei der Grundlegung des öffentlich-staatlichen Pflichtschulwesens in Österreich im 18. Jahrhundert. In S. Sting, & V. Wakounig (Hrsg.), Bildung zwischen Standardisierung, Ausgrenzung und Anerkennung von Diversität, Band 12. (S. 101-113). Wien: LIT Verlag.
Klein, R. (2010). Fest-Stellungen: zur Entsorgung von Reflexivität durch Kultur- und Bildungsstandards. In S. Dungs (Hrsg.), & R. Klein, Standardisierung der Bildung. Zwischen Subjekt und Kultur. (S. 29-54). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Oelkers, J. (2003). Wie man Schule entwickelt. Eine bildungspolitische Analyse nach PISA. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz Verlag.
Tauscher, A. (1968). Die Stellung des Lehrers in der Gesellschaft von heute oder Die Begegnung von Wirtschaft und Schule. In. Sozial- und Wirtschaftskundliche Schriftenreihe, Heft 5. Wien: Sparkassenverlag Gesellschaft m.b.H.
Winter, F. (2006). Leistungsbewertung. Eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schülerleistungen. In J. Bennack, A. Kaiser, & R. Winkel (Hrsg.), Grundlagen der Schulpädagogik, Band 49. Stuttgard: Schneider Verlag.