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Migration im bildungspolitischen Kontext

In diesem Eintrag sollte die Problematik im Umgang mit SchülerInnen (seitens Bildungssystem), die migrantischen Background aufweisen, aufgezeigt werden.

Dabei ist es gleich zu Beginn entscheidend den Begriff „Migration“ zu definieren. Obwohl ich mir dessen bewusst bin, dass viele Personen die ursprüngliche Bedeutung kennen, ist es meines Erachtens nicht unwichtig die originelle Begriffsdefinition von der gesellschaftlichen missverstandenen Neuinterpretation zu differenzieren. „migrare“ stammt aus dem Lateinischen und wird ins Deutsche mit „wandern“ übersetzt. Demnach ist eine Migration eine Wanderung in ein anderes Gebiet, in einen anderen Ort, et cetera. Genauer gesagt handelt es sich bei einem Migrant/ einer Migrantin um eine Person, die sich ohne der jeweiligen Staatsangehörigkeit in diesem Land aufhält. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass wir als österreichische Staatsangehörige Migranten sind, sobald wir die Grenze zu Deutschland überqueren. Wie und wieso interpretiert die breite Masse diesen Begriff nun anders? Der Begriff wird fälschlicherweise mit dem Wort „Flüchtling“ gleichgesetzt und gelangt durch Stereotype und Vorurteile zu seiner negativen Konnotation. So werden Personen aus dem arabischen oder asiatischen Raum eher als Migranten angesehen, als solche, die ursprünglich aus Skandinavien, Frankreich usw. stammen. Verantwortlich für diese falsche Annahme sind Vorurteile und Stereotype.

Wie wird mit Migration nun in der Schule umgegangen?

Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund haben schlichtweg aus mehreren Gründen schlechtere Rahmenbedingungen für ihre schulische Ausbildung. Häufig stammen sie von „Arbeiter-Eltern“ ab, die nur einen geringen soziökonomischen Status vorzeigen können. Dadurch fehlt es diesen Kindern an finanziellen und bildungstechnischen Ressourcen, welche sie somit automatisch benachteiligen. Dennoch weißen Kinder mit Migrationshintergrund eine höhere Beschaffenheit an kulturellen Ressourcen auf, die jedoch kaum gefördert werden. Dazu zählt die Mehrsprachigkeit, welche SchülerInnen mit migrantischen Wurzeln aufweisen. Man könnte so viel Potential daraus schlagen, aber durch Normen der Gesellschaft werden arabische Sprachen als negativ angesehen und eher weniger bis gar nicht gefördert. Dabei könnte man einen regelrechten Kulturaustausch innerhalb von Schulklassen initiieren, wenn man anderen Sprachen (auch arabischen) mehr Bedeutung im Schulsystem zukommen lässt. 

Stattdessen werden Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, in der ersten Klasse der Volksschule einem Test unterzogen werden, der prüft, ob die Schülerin/ der Schüler die deutsche Sprache ordnungsgemäß beherrscht. Die Rede ist vom BESK-DaZ Einstufungstest, der sowohl schriftliche als auch sprachliche Sprachkompetenzen überprüft. Erreicht ein Schulkind nicht genügend Punkte, um diesen Test zu bestehen, wird es in Förderklassen untergebracht. Natürlich sollte bei Problemen bzw. Schwierigkeiten individuell gefördert werden, doch meines Erachtens ist es nicht besonders förderlich, wenn alle leistungsschwächeren SchülerInnen in dem selben Förderkurs sind. Denn somit würde man sie von den guten Schulkindern isolieren, was bei den zu Fördernden Resignation hervorrufen kann. Eine Testung per se halte ich persönlich nur dann für sinnvoll, wenn für alle Schüler und Schülerinnen, egal welche Muttersprache sie sprechen, die gleichen Rahmenbedingungen gegeben sind.




Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in der Schule

2019/20 gab es laut Statistik Austria 1.135.519 Schülerinnen und Schüler in Österreich, in Volksschulen waren es zuletzt 344.282. Diese Zahl steigt seit 2016 an und wird auf die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zurückgeführt (Statistik Austria, 2021a). Alle Schultypen und -stufen zusammengefasst gibt es 299.852 Schülerinnen und Schüler mit nicht-deutscher Umgangssprache (Statistik Austria, 2021b). Dieses Aufeinandertreffen vieler verschiedener Sprachen wirft die Frage auf: Stellt die Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in der Schule eine Chance oder ein Problem für die Schülerinnen und Schüler und für das Lernen in der Klasse dar und wie könnte man diese unterschiedlichen Sprachen und Kulturen effektiv in den Unterricht miteinbeziehen?

Die Chance. Mehrsprachigkeit ist ein wichtiges Gut in der heutigen Welt. Vor allem in Kontinenten wie Europa, wo es viele flächenmäßig kleine Länder mit ihren jeweils eigenen Sprachen gibt und (Völker-)Wanderungen geschichtlich gesehen der Normalzustand sind, ist es förderlich mehr als nur eine Sprache zu sprechen und verschiedene Kulturen kennenzulernen. In der Klasse Schüler und Schülerinnen zu haben, die aus verschiedenen Ländern kommen und unterschiedliche Sprachen sprechen, kann eine Chance für alle Kolleginnen und Kollegen darstellen, da so Kontakt zu anderen Kulturen und Traditionen hergestellt wird und der Horizont eines jeden erweitert werden kann. Die Lernenden sind mit verschiedenen Situationen konfrontiert und lernen wichtige soziale Fähigkeiten kennen – sich mit anderen Nationen und deren Kulturen vertraut zu machen, nicht aufgrund von Ethnizität voreilig zu urteilen oder auch „nur“ wie verschieden Sprachen und Kulturen sein können. Zudem kann auch das sprachübergreifende Lernen hilfreich sein, indem beispielsweise Vokabular in mehrere Sprachen übersetzt wird oder über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier oder mehrerer Sprachen zu diskutieren. Dadurch werden die Schülerinnen und Schüler dazu ermutigt, sich mit verschiedenen Sprachen auseinanderzusetzen und es wird die Authentizität dieser Begegnung mit einer anderen Kultur gestärkt, da die Lernenden eher Interesse daran zeigen, so Dausend und Lohe (2016).

Das Problem. Jedoch ist das österreichische Schulsystem defizitorientiert, die Mehrsprachigkeit und Multikulturalität wird wenig wertgeschätzt und es wird versucht, Schülerinnen und Schüler nach einem Schema zu erziehen, welches sich seit Zeiten Maria Theresias nicht grundlegend verändert hat. Seit Jahren wird davon gesprochen, Chancengleichheit für alle Kinder zu schaffen, trotzdem hat die deutsche Sprache und die Vermittlung mitteleuropäischer Werte und Normen die Priorität #1 in der Schule. Es kommt zu Regelungen, um die Benutzung fremder Muttersprachen im Unterricht einzuschränken und ausschließlich Deutsch zur Kommunikation im Unterricht (teilweise sogar in den Fremdsprachen) zu verwenden. Nicht-deutsche Kultur und Herkunft der Schülerinnen und Schüler wird dabei eher als Störung angesehen und sie werden „deutsch“ erzogen. So wurde der Begriff „illegitimes kulturelles Kapital“ von Bourdieu geprägt. Kulturelles Kapital bezeichnet dabei die sowohl kulturelle Güter der Schülerinnen und Schüler, als auch verinnerlichte Zustände (Bourdieu, 1983). Obwohl zahlreiche Studien zeigen, dass Mehrsprachigkeit förderlich ist, wird in der Schule starr auf Monolingualität beruht, bedingt zum Beispiel durch das fehlende Verständnis mancher Lehrpersonen. Gogolin (1994) spricht vom sogenannten monolingualen Habitus in einer multilingualen Schulumgebung. So kommt es, dass sogar in der heutigen, global vernetzten Zeit und Welt Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in der Schule oft als Herausforderungen und Probleme, die es zu bewältigen gibt, angesehen werden, anstatt der Chancen, die sie eigentlich für alle Involvierten darstellen könnten.

Die Möglichkeiten. Aber wie können Mehrsprachigkeit und Multikulturalität auch positiv in den Unterricht miteinbezogen werden, wenn die Schule so träge an ihren alten Formen festhält? Positiv wäre es jedenfalls die verschiedenen Umgangssprachen der Schülerinnen und Schüler in den Unterricht miteinzubeziehen. Das kann als Lehrperson, die beispielsweise nur eine oder zwei Sprachen spricht und keine persönliche Erfahrung mit anderen Kulturen hat, durchaus herausfordernd wirken, doch kann es meines Erachtens trotzdem auf verschiedene Arten umgesetzt werden. Schülerinnen und Schülern, denen mit Respekt begegnet wird, werden auch selbst mehr Respekt für die Lehrperson aufbringen und so können auch Fremdsprachen behandelt werden. Kleine Maßnahmen, wie beispielsweise das Grüßen am Morgen in allen Sprachen, die in der Klasse gesprochen werden, stellt schon einen ersten Schritt dar, die Herkunft der Lernenden zu würdigen. Es wird den Schülerinnen und Schülern vermittelt, man kenne und respektiere ihre Herkunft und Sprache. Auch mehrsprachiges Vorlesen von Aufgaben oder Texten durch Lernende oder Lehrende kann dem weiterhelfen. Die Schülerinnen und Schüler würden so lernen, mehrere Sprachen miteinander zu kombinieren und das könnte auch das Verständnis für Linguistik und Sprachgebrauch allgemein fördern. Größere Maßnahmen wären beispielsweise das Einführen von Fremdsprachenunterricht in eben jenen stärker vertretenen Muttersprachen, zum Beispiel türkisch oder kroatisch anstelle von oder (besser noch) zusätzlich zu Spanisch oder italienisch. Die Kultur und Sprache von Kindern mit Migrationshintergrund kann nicht nur im Sprachunterricht selbst eingebaut werden, es kann auch im Rahmen des Geografie- oder Geschichteunterrichts darauf eingegangen werden. Die Schülerinnen und Schüler könnten zum Beispiel die Möglichkeit bekommen über ihre Heimat zu erzählen und es kann ein Lehrervortrag oder ein Ausschnitt aus einem Lehrbuch durch persönliche Erfahrungen der Kinder erweitert werden. Sollen Brücken zwischen verschiedenen Fremdsprachen geschlagen werden, müssen sich auch die jeweiligen Lehrpersonen besser untereinander absprechen, um zu klären, welche Themen wie und wann im Unterricht behandelt werden.

Deutsch zu lernen ist in einer Schule in einem deutschsprachigen Land mit deutschsprachigen Tests keinesfalls zu vernachlässigen, aber die Art und Weise, wie deutsch gelernt wird und wie fremde Umgangssprachen und Kulturen behandelt werden, kann und muss in der heutigen Zeit verbessert werden.

(Elena Schüssling)

Literatur:

Bourdieu, P. (1983). Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: R. Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt Sonderband 2. Originalbeitrag, übersetzt von R. Kreckel. (S.183-198). Göttingen.

Dausend, H., & Lohe, V. (2016). Die Studie „Fundament mehrsprachiger Unterricht“ (FuMU) – Was Schülerinnen und Schüler zum Einsatz ihrer Familiensprache im Fremdsprachenunterricht sagen. In: A. Wegner, & I. Dirim (Hrsg.), Mehrsprachigkeit und Bildungsgerechtigkeit: Erkundungen einer didaktischen Perspektive. (S.224-238). Opladen: Barbara Budrich. Doi: 10.2307.

Gogolin, I. (1994). Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster u.a.: Waxmann. ISBN: 3-89325-219-3.

Statistik Austria (2021a). Schulbesuch. Zugriff am 16.10.2021. Verfügbar unter https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bildung/schulen/schulbesuch/index.html   

Statistik Austria (2021b). Schülerinnen und Schüler mit nicht-deutscher Umgangssprache im Schuljahr 2019/20. Zugriff am 16.10.2021. Verfügbar unter https://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=029650