Funktion und Rolle sind in der sozialen Realität eng nebeneinander liegende Phänomene, die für sich genommen recht unterschiedliche Bedeutung haben. Dies zu veranschaulichen soll mit dem Begriff „Lehrer!n” getan werden (trifft jedoch sinngemäß im Prinzipiellen auf jede berufliche Funktion zu). Eine Lehrperson, die eine bestimmte Lehrfunktion ausfüllt, tut dies im Rahmen unterschied­licher sozialer Rollen. Diese können z. B. folgende sein, InitiatorIn, Führer!n, Coach, Koordinator!n, Verhandler!n, Mentor!n, Prüfer!n, Erzieher!n etc. Die Funktion als Lehrer!n, verbunden mit Leitungs­aufgaben erfordert eine hohe Rollenplastizität. Damit dies adäquat erfüllt werden kann, ist ein Kennen der eigenen Stärken und Kompetenzen, als auch das Erkennen möglicher Entwicklungsfenster, wichtig. Also, „Lehrer!n“ ist die Funktion, welche in verschiedenen sozialen Rollen real gelebt wird.

Unter Funktion ist eine erworbene, verliehene, vereinbarte oder fest­ge­legte Rah­men­bedingung in einer sozialen Gemeinschaft, die an beidseitig abge­sprochene Tätig­keiten gebunden ist, zu ver­stehen. Davon unterscheidet sich eine Rolle. Diese ist ein eigenes oder durch Fremdwahrnehm­ung ge­­wähltes Verhaltens­muster, das abgesprochen oder unabgesprochen in der sozialen Gemein­schaft ausgeübt wird (vgl. Pechtl, 1995). Veranschaulicht kann dies mit folgender Tabelle werden:

Funktion Tätigkeiten Rolle(n) Position
Lehrer!n (Klassenleitung)

Die Funktion definiert sich durch Aufgaben.

bewerten, beurteilen, entscheiden, anleiten, leiten, kontrollieren, animieren, initiieren, managen, unterstützen, … Initiator!n, Koordinator!n, Führer!n, Verhandler!n, Mentor!n, Manager!n, Erzieher!n,  Vorbild, Tröster!n, Kritiker!n, … Mitarbeiter!n (Klassenlehrer!n)
Was ist die Aufgabe?

z.B.: Stellenbeschreibungen oder wie hier bei einer Lehrer!n das SchOG, SchUG …

… mit der Aufgabe verknüpfte Tätigkeiten Welche sozialen Rollen werden eingenommen? Wie wird die Funktion gelebt? Welche Befugnisse sind mit der Funktion verbunden (Autorität, Macht)?

Für die Ausübung der Funktion Lehrer!n sind zahlreiche Bündel an Fertigkeiten und Fähigkeiten (Kompetenzen) vorauszusetzen. Exemplarisch sollen hier einige Kompetenzen angeführt werden, welche für die pädagogische Arbeit als zentral erscheinen: a) Kontakt herstellen und tragfähige Beziehungen gestalten; b) zielgerichtetes Einrichten und Betreuen einer förderlichen Lernumgebung; c) einen eigenen Standpunkt vertreten können ohne andere Mein­un­gen und Ansichten zu ignorieren (d.h. auch zu konstruktiver Auseinandersetzung fähig und bereit sein) und d) Konflikte so beeinflussen können, dass zielgerichtetes und produktives Lernen gewährleistet bleibt.

So gesehen ist für die Lehrtätigkeit nicht die fachliche Kompetenz allein entscheidend, es sind vor allem auch sozialpsychologische Kenntnisse, methodische Kenntnisse der Analyse und Plan­ung und das Geschick im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die eine entsprechende Qualifizierung aus­machen. Sinngemäß trifft dies für jede berufliche Aufgabe zu. Anstatt von Kindern kann dann äquivalent von Kolleg!nnen und Mitarbeiter!nnen gesprochen werden.

Funktion/Rolle/Position (ein theoretischer Exkurs)

Die Funktion: In metatheoretischen Abhandlungen zum Thema interaktiver Phänomene und Rolle (Schreyögg, 1992; Wiswede, 1977) wird Funktion nicht als explizites Konstrukt interaktiven Geschehens in sozialen Räumen beschrieben. Am ehesten wird dort Funktion erkennbar, wenn von normativen und institutionellen Rollencharakteristika die Rede ist. Eine explizite begriffliche Trennung unternimmt Thonhauser (2004), in dem er Funktion und Rolle als getrennte  Elemente des semantischen Raums rollentheoretischer Begriffe anführt. Pechtl (ebd.) versucht Funktion und Rolle mit einer definitorischen Differenzierung darzustellen. Dabei versteht Pechtl Funktion als „eine erworbene, verliehene, vereinbarte oder festgelegte Rahmenbedingung in einer sozialen Gemeinschaft, die an beidseitig abgesprochene Tätigkeiten gebunden ist“. Für eine Unterscheidung zwischen Funktion und Rolle spricht, dass funktionale Erwartungen in einem sozial/interaktiven Raum nicht an eine bestimmte Person im engeren Sinne gebunden sind. Eine Funktion kann von unterschiedlichen Personen wahrgenommen werden, wenn diese bereit und/oder verpflichtet sind, die damit gekoppelten Aufgaben auszuführen (z.B. Schüler, Lehrer, Schulpsychologe, Leitung, Vorstand, Buchalter, Maurer, …). Als eine Variation sind dabei Funktionen anzusehen, die nicht gewechselt oder abgelegt werden können. Als solche sind z.B. die Funktion Vater, Mutter, Kind o.ä. zu zählen. Diese Funktionen als Differenzierungselemente der primären Sozialstrukturen bleiben über die Lebensspanne bestehen, auch wenn sie mit dem Laufe der Zeit und je nach Situation im Rahmen unterschiedlicher Rollenmuster wahrgenommen werden.

Die Rolle: Geht man nach obiger Darstellung davon aus, dass sich Funktionen auf das ‚was’ beziehen, so fokussiert eine Rolle auf die Art und Weise ‚wie’ eine bestimmte Funktion ausgefüllt und gelebt wird. Die Rolle beschreibt den sozialen Vollzug des Individuums im sozialen Feld, mit dessen Interaktionspartnern oder mit Dingen.

Ausgehend vom Träger der Rolle, hier der Mensch, ist anzunehmen, dass die gelebte Rolle durch psychische und somatische Einflüsse sowie soziale Handlungen selbst bestimmt wird.

In der psychodramatischen Rollentheorie wird dies in drei aktionalen Rollenformen repräsentiert. Dort werden psychosomatische, psychodramatische und soziodramatische Rollen (Hochreiter, 2004;  Petzold & Mathias, 1982) unterschieden, welche zusammen das Rollenintegral bilden (Petzold & Mathias, ebd.).

Eine Rolle unterscheidet sich dahingehend, ob sie primär interaktionistisch betrachtet wird oder ob intrapsychische Aspekte in den Vordergrund rücken. Grundsätzlich werden alle drei oben zitierten Rollenformen aktiviert sein, die Frage allerdings ist, in welcher Intensität, Balance und Kongruenz dies jeweils der Fall ist.

Klassische soziale Rollen entstehen im interaktiven Geschehen zwischen Individuen und sind von wechselseitigen Erwartungen in Bezug auf Handlungen und Haltungen gekennzeichnet. Im theoretischen Konzept des symbolischen Interaktionismus (Mead, zit. n. Schreyögg, ebd.) ist dies vergleichbar mit externen (vermuteten) Rollenzuschreibungen, die das soziale Ich prägen und welches dort als „me“ bezeichnet wird. Auf eine ähnliche Grundlage reflektiert auch die Definition von Rolle bei Pechtl (ebd.) welche dieser als „ein eigenes oder durch Fremderwartung gewähltes Verhaltensmuster, das abgesprochen oder unabgesprochen in der sozialen Gemeinschaft ausgeübt wird“, beschreibt. Immer sind dabei sog. Zuschreibungsprozesse grundlegend (vgl. Schreyögg, ebd.).

Die soziale Rollenform stützt sich individuell gesehen auf psychische und somatische Muster mit spezifischen Typologien, die wiederum als Rollenerleben interpretiert werden können. Stark ausgeprägte (intra-)psychische Rollen entstehen beispielsweise in einem Zustand starker Fokussiertheit beim Spiel in einem digital virtualisierten Raum (Computerspiel). Dabei wird ein bestimmtes psychisches Rollenmuster (oder mehrere), eingenommen. Dieses Rollengeschehen unterscheidet sich von Rollen im dreidimensionalen sozialen Erlebensraum durch die Qualität des Feedbacks und den meist ausgeprägten tranceähnlichen Zustand der virtuell interagierenden Person.

In der Rollentheorie des Psychodramas werden die psychodramatischen Rollenformen im Wesentlichen in zwei Kategorien aufgeteilt (vgl. Hochreiter, ebd.;  Petzhold & Mathias, ebd.). Einmal die Rollen der reinen Fantasiewelt (wie z.B. Märchengestalten, Geister, Feen, etc.) und dann Rollen die imaginiert, quasi kognitiv repräsentativ realisiert werden (z.B. der Lehrer, ein(e) SpielgefährtIn, Vater, Mutter, etc.). Die Wurzel für die psychischen Rollenformen kann in dem, was Mead (zit. n. Schreyögg, ebd.) als „I“ versteht gesehen werden. In diesem „I“ fokussieren sich psychische und psychologisierte somatische Bedürfnisse als Vitalkraft.

Somit bleibt noch ein kurzer Blick auf die somatischen Rollen. Sie bilden gleichermaßen die Verhaltenskontur des Organismus und sind als Kontaktgrenze zwischen psychischen und sozialen Rollenformen im Sinne eines eigenen geschlossenen Systems zu verstehen. Als solches wiederum organisiert es Austauschprozesse mit den beiden anderen Rollenformen. Zur Verdeutlichung somatischer Rollen kann exemplarisch genannt werden: Der/die Sitzende, der/die Blickende, der/die Essende, der/die Schlafende, der/die Fühlende, usw.

(J. Eisner, 2019)