Chancen der aktuellen Demographie

 

Zwölf Vorschläge, wie die demographische Chance genutzt werden kann

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug bei der Geburt die Lebenserwartung der Frauen in Deutschland 48 und die der Männer 45 Jahre. Heute liegt sie bei 82 und 77 Jahren. Die demographische Entwicklung hat das Leben der Menschen im Durchschnitt erheblich verlängert. Gleichzeitig erreicht man das höhere Alter auch bei besserer Gesundheit. Und der Trend setzt sich fort: Zukünftige Generationen werden noch länger und gesünder leben.

Dieser demographische Wandel birgt demographische Chancen:

  • für die Gestaltungsmöglichkeiten des Einzelnen,
  • für die Entwicklung von Unternehmen und Arbeitswelt sowie
  • für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft.

Kurz: Der Gewinn an Lebenszeit stellt ein noch unausgeschöpftes Fortschrittspotenzial dar. Um dieses Potenzial zu nutzen, bedarf es allerdings des Muts und des Willens zur Veränderung. Insbesondere überkommene institutionelle, kulturelle und soziale Ordnungen, aber auch lange gewachsene Gewohnheiten müssen überdacht und angepasst werden. Jeder Einzelne ist genauso gefordert wie Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes.

Für den Einzelnen bedeutet dies …

  1. … die Möglichkeiten eines neuen Altersbildes zu erkennen und zu nutzen.
    Wann ist ein Mensch alt? Mit 60? Mit 65? Oder doch erst mit 75 oder 80? Tatsache ist: Das kalendarische Alter ist eine rein rechnerische Größe. Keine Lebensphase ist so individuell wie das Alter. Denn das Spektrum von Fähigkeiten in einer Gruppe von Gleichaltrigen wird zunehmend breiter. Der Stempel „Alt“, der Älteren von der Gesellschaft verpasst wird, taugt für die persönliche Entwicklung und Lebensgestaltung nicht mehr. Ein 60- Jähriger ist heute so fit wie ein 55-Jähriger der vorherigen Generation. Wenn wir uns von überkommenen Altersbildern lösen, haben wir die Chance auf ein vielfältigeres, zufriedeneres und erfüllteres Leben.
  2. … sich so oft wie möglich weiterzubilden.
    Die Voraussetzungen für ein erfülltes und produktives Leben im Alter entwickeln und erneuern wir im Verlauf unseres gesamten Lebens. Dies gilt besonders für die Weiterentwicklung unserer Kenntnisse und Fähigkeiten – Stichwort „Lebenslanges Lernen“. Nur wer die Ausbildungsphase vor dem Eintritt ins Berufsleben immer wieder durch Bildungsphasen während seines gesamten Berufslebens ergänzt, kann die eigene Entwicklung im Verlauf eines abwechslungsreichen Berufslebens befördern und sich auch in einer sich ständig verändernden Arbeitswelt behaupten. Statt „fünf Tage im Jahr“ sollten „fünf Jahre im Leben“ zum Richtwert bei der Gestaltung individueller Weiterbildungsbiografien werden. Denn ein Zusammenhang ist wissenschaftlich erwiesen: Wer lernt, lebt länger.
  3. … sich von einseitigen Erwerbsbildern zu lösen.
    Ruheständler wollen ihre Zeit nicht nur mit Ausruhen verbringen. Es gibt in den älteren Generationen ein starkes Bedürfnis, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Zugleich ist die verstärkte Erwerbsbeteiligung dieser Gruppe aus volkswirtschaftlichen Gründen unerlässlich. Die vielfach vorhandene Bereitschaft der älteren Generationen, sich an der gesellschaftlichen Wertschöpfung zu beteiligen, sollte genutzt werden. Beispielsweise durch einen gesonderten Arbeitsmarkt, der so genannte „zweite Karrieren“ in nicht angestammten Arbeitsbereichen oder Branchen und mit veränderten Arbeitszeiten ermöglicht.
  4. … die Mitverantwortung für die eigene Gesundheit zu stärken. Alter braucht Vorbereitung: Die Aussicht auf ein längeres Leben sollte so früh wie möglich in die persönliche Lebensgestaltung einfließen. Nur wer seine Gesundheit erhält, kann das längere Leben umfassend nutzen. Der Gesetzgeber sollte Bürgerinnen und Bürger deshalb bei der frühzeitigen Vorsorge unterstützen – etwa durch breit angelegte und möglichst früh einsetzende Bildungsprogramme und eine Stärkung der präventiven Medizin.

Für Unternehmen und Tarifparteien folgt daraus …

  1. … ältere Menschen länger zu beschäftigen – und neu einzustellen.
    Ältere Menschen können mit ihrer Erfahrung, ihrem Wissensschatz und ihrer sozialen Kompetenz maßgeblich zum Erfolg eines Unternehmens beitragen. Allerdings wird dieses Potenzial viel zu selten genutzt. Stigmatisierung und Fehlurteile versperren älteren Menschen allzu oft den Zugang zum Arbeitsmarkt. Fakt ist aber: Ein Rückgang in der Produktivität Älterer bis 65 Jahre lässt sich bisher in Untersuchungen nicht belegen.
  2. … die Arbeitsorganisation zu optimieren.
    Mit zunehmendem Alter lassen bestimmte Fähigkeiten nach, andere wiederum nehmen zu – Arbeitnehmer haben nicht nur unterschiedliche, sondern auch sich verändernde Leistungs- und Qualifikationsprofile. Um Mitarbeiter möglichst produktiv einzusetzen, müssen die Stärken und Schwächen verschiedener Altersgruppen bei der Arbeitsorganisation berücksichtigt werden. Die Kunst der Arbeitsteilung besteht gerade darin, Menschen diejenigen Aufgaben zuzuordnen, die sie im Zusammenspiel mit anderen Menschen – auch anderen Alters – am besten erfüllen können.
  3. … Tätigkeitswechsel zu erleichtern.
    Ältere Arbeitnehmer sind leistungsfähig. Leider werden Menschen zu selten dort eingesetzt, wo ihre Fähigkeiten am besten zum Zuge kommen. Um die Produktivitätsreserven älterer Arbeitnehmergenerationen zu aktivieren, müssen Tätigkeitswechsel erleichtert werden.
  4. … kontinuierlich in die Qualifikation der Mitarbeiter zu investieren.
    Die Gleichung ist einfach: Ein Betrieb, der unter den Bedingungen des demographischen Wandels Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität bewahren will, muss die Wettbewerbsfähigkeit und die Produktivität seiner Mitarbeiter erhalten. Dies gelingt vor allem durch kontinuierliche Investitionen in Qualifikation und Kompetenzentwicklung aller Beschäftigten. Lernfähigkeit ist eben keine Frage des Alters – und die Weiterbildung der Mitarbeiter eine zentrale Voraussetzung zur nachhaltigen Nutzung von Arbeitskraft. Bislang wird dieser Erkenntniszusammenhang noch zu selten in die Tat umgesetzt– gesetzgeberische Anreize für neue berufliche Chancen auch nach Vollendung des 50. Lebensjahres könnten die Situation verbessern.

Für Gesetzgeber, Verwaltungen, Medien und Verbände bedeutet das …

  1. … aktiv auf die Revision eines negativ geprägten Altersbildes hinzuwirken.
    Altern ist keine Krankheit. Tatsächlich bleiben wir länger gesund, in den letzten Jahren hat die Dauer der hochaltrigen Krankheits- und Abhängigkeitsphase abgenommen – und eben nicht zugenommen. Die Gesellschaft als Ganzes ist dazu aufgefordert, das einseitig negativ geprägte Altersbild zu revidieren.
  2. … das Konzept des streng dreigliedrigen Lebenslaufes zu überdenken.
    Die Zeit der Ausbildung fällt in die Jugend, die Berufstätigkeit prägt das Leben der Erwachsenen, und im Alter genießen wir den Ruhestand. Diese herkömmliche Dreiteilung prägt leider noch immer unsere Auffassung von einem typischen und idealen Lebensweg. Sie lässt die Möglichkeiten, die der demographische Wandel bietet, unberücksichtigt. Menschen werden aufgrund ihres Alters auf Rollen festgelegt und damit wird ihr Spielraum – auch ihr Leistungsspielraum – begrenzt. Wenn wir dagegen dieses unter den gegebenen demographischen Umständen zukunfts- und entwicklungsfeindliche Modell auflockern, lassen sich individuelle und gesellschaftliche Potenziale besser nutzen.
  3. … neue Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Partizipation zu schaffen.
    37 Prozent der 60- bis 69-Jährigen engagieren sich bereits heute zivilgesellschaftlich. Und weitere 25 Prozent – zwei Millionen Menschen – wollen es tun, wenn sich ihnen passende Gelegenheiten eröffnen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diese Möglichkeiten zu schaffen. Denn die bessere gesellschaftliche Teilhabe älterer Generationen schafft Mehrwert – für die Älteren selbst und für die Gesellschaft als Ganzes.
  4. … den Generationenvertrag zu erneuern.
    Der Krieg der Generationen fällt aus: Die Produktivität der gewonnenen Jahre bietet auch einer Gesellschaft mit alternder Bevölkerung die Chance auf Wachstum und Wohlstand. Die Nutzung dieses Potenzials geht nicht auf Kosten der jüngeren Generation. Vielmehr kann es nur einer Gesellschaft für alle Lebensalter gelingen, den demographischen Wandel in eine Chance zu verwandeln. Eine notwendige Erneuerung des Generationenvertrags ist daher möglich, ohne dessen unbestrittene Errungenschaften in Frage zu stellen. Dazu bedarf es einer entsprechend ausgerichteten Arbeits-, Beschäftigungs- und Gesundheitspolitik.

Zitat verfügbar unter: http://www.altern-in-deutschland.de/de/empfehlungen/12_punkte_papier.html [Datum des Zugriffs: 26.10.09]

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