image_pdfimage_print

Es waren einmal zwei Säuglinge, auf den ersten Blick unterschied sie bis auf das Geschlecht rein gar nichts. „Gesunde Kinder“ bekundeten die Kinderärzte den jeweiligen Eltern, die sich – erleichtert ob der ebenso glücklichen wie erwarteten Nachricht (Warum sollte gerade unser Kind NICHT gesund sein?) – nun beruhigt in das Abenteuer Elternschaft stürzen konnten. Zum Glück nicht das erste Mal, man wusste ja jetzt, worauf zu achten sei, dass schon alles seinen gewohnten Gang nehmen werde, man müsse nur stillen und wickeln und lieben. Natürlich würde das eigene Kind schon groß und stark werden und den Widrigkeiten dieser Welt trotzen, schließlich werde man es nach Kräften dabei unterstützen.

Dann krachte die Realität wie ein Meteorit in die Idylle: Der Mutter des Mädchens, einer Ärztin, fiel nach zwei Monaten auf, dass das Kleine nur mit einer Seite Massenbewegungen ausführte und mit rechts nicht nach dem ausgestreckten Finger griff. Der mütterlichen Besorgnis Folge tragend wurde das Mädchen dem Kinderarzt vorgestellt, der die Mutter entnervt „als „typisch hysterische Ärztemutter“ abtat, „die die Flöhe husten höre“, was diese nicht davon abhielt, darauf zu beharren, dass etwas nicht stimme. In Eigenregie suchte die Mutter die Neuropädiatrie auf, war ja die Frau Kollegin, da geht das. Rasch stand die Diagnose fest – schlimmer als erwartet –: Spastische Halbseitenlähmung, selbständiges Gehen mehr als ungewiss. Für die Eltern des kleinen Mädchens brach eine Welt zusammen (Warum gerade das eigene Kind?), aber diese rafften sich schnell auf. Jahre voll Therapien – dreimal die Woche plus jeden Tag die Übungen, dabei das Geschwisterkind nicht vergessen – vergingen.

Die Eltern des Buben hingegen waren Gastarbeiter, einfache Menschen, der Sprache nicht hinreichend mächtig. Deshalb wurde die niederschmetternde Diagnose – spastische Halbseitenlähmung – erst gestellt, als der Kleine mit drei Jahren immer noch nicht imstande war zu laufen. Therapien ließ man dem Buben kaum angedeihen, geübt wurde nicht, wie auch, weitere Geschwister folgten rasch und die Mutter war mit der Aufzucht aller beschäftigt.

Im privaten Kindergarten (Der Junge war auf Intervention des Jugendamtes dort.) lernten sich die Kleinkinder kennen. Zwei Kinder, geeint durch ihre Diagnose, getrennt durch ihre Herkunft.

Das Mädchen konnte vielleicht nicht ihren Freundinnen kletternd auf Bäume folgen, es hatte aber tatsächlich das Laufen und die behinderte Hand als Hilfshand einzusetzen gelernt. Der Bub hingegen schleppte sich immer noch mühsam vorwärts und der gelähmte Arm war dabei, an den Oberkörper gepresst zu versteifen.

Die Kleinkinder wurden älter und der „Ernst des Lebens“ rückte unaufhaltsam näher. Das Mädchen sollte eine Regelschule besuchen, was der Direktor der betreffenden Volksschule nach Kräften zu verweigern trachtete: „Behinderte Kinder gehören in die Sonderschule, aber nicht in meine Regelschule!“ Die Eltern, Akademiker, fackelten nicht lange und drohten mit dem Landesschulrat. Ganz plötzlich lenkte der Direktor ein und das Mädchen wurde mit 23 gesunden Kindern eingeschult. Der Bub hingegen kam – wie gewünscht – in die Sonderschule, wo er – trotz rein körperlicher Einschränkung –sein ganzes Schulleben verbleiben sollte.

Während der Volksschulzeit verschlechterte sich das Gangbild beider Kinder massiv. Durch die Spastik hatten sich die Füße fast bis zur Unkenntlichkeit verkrümmt. Die verzweifelten Eltern des Mädchens wandten sich an die Orthopädie, was man denn tun könne, keine Schuheinlage, keine Schiene helfe mehr, man könne die Schmerzen des Mädchens beim Auftreten, die stummen Tränen, das unterdrückte Wimmern, die bitterlichen Klagen am Ende des Tages nicht mehr ertragen. Die konsultierte Orthopädin empfahl den Eltern, sich einen guten Psychologen zu suchen, wenn jene nicht ertragen könnten, dass das Mädchen zeit seines Lebens auf einen Rollstuhl angewiesen sein werde. Die Mutter, die Ärztin, wandte sich in ihrem Elend hilfesuchend an Kollegen und bekam einen Orthopäden in einer anderen Stadt empfohlen, der sich auf die orthopädischen Probleme körperlich behinderter Kinder spezialisiert hatte. Dieser operierte das Mädchen in einer langwierigen Operation tatsächlich erfolgreich. Die Kleine konnte wieder schmerzfrei laufen, erst in speziellen Schuhen, später in ganz „normal“ käuflich erwerblichen. Und der Bub? Bekam einen Rollstuhl verschrieben.

Die ersten vier Schuljahre verflogen. Das Mädchen kam ins private Gymnasium, der Junge verblieb in der Sonderschule. Nach der Pflichtschulzeit wollte das Mädchen etwas „Lebenspraktischeres“ erlernen und in eine katholische HLW mit Öffentlichkeitsrecht wechseln. Beim persönlichen Anmeldungsgespräch wurde vom Direktor kundgetan: „Wir nehmen keine Behinderten.“ Beim ungläubigen Blick der Eltern plötzlich: „Außer… Welches Parteibuch haben Sie?“ Damit konnten die politisch nicht engagierten Eltern nicht dienen, sie waren mit Beruf und behindertem Kind bekanntlich ausgelastet, worauf sich der Direktor genüsslich zurücklehnte und salbungsvoll sprach: „Wäre Ihre Tochter die Tochter des Bürgermeisters, dann – ja dann – wäre ein Platz bei uns kein Problem!“ Fassungslos brachen die Eltern das Gespräch ab, aber nicht ohne die Drohung, dies an die Medien weiterzuleiten, wenn er – der Direktor – sich nicht persönlich um einen alternativen Platz an der zweiten katholischen HLW der Stadt kümmern würde. Was tatsächlich geschah und wo das Mädchen problemlos maturierte. Der Bub hingegen kam mit 15 Jahren in eine berufsfördernde Einrichtung für geistig behinderte Jugendliche.

Nach der Matura wurde das Mädchen Mutter eines Sohnes, welcher ebenfalls primär als gesund betitelt wurde. Der Bub hingegen wurde an einer Behindertenwerkstätte angestellt.

Während das einstige Mädchen zu studieren begann, wurde dem jetzigen Kleinen – wieder nach zähem Ringen – schlussendlich ADHS und Autismus attestiert.

Heute hat die inzwischen erwachsene Frau mit den gleichen Problemen wie ihre eigenen Eltern zu kämpfen: Wehrt man sich nicht beharrlich gegen vermeintliche „Obrigkeiten“ und antiquierte, aber gesellschaftlich verfestigte Ansichten, hat das eigene Kind verloren.

 

Nachwort:

Der obige Blogartikel ist leider nicht erfunden, sondern behandelt autobiographisch meine eigene Lebensgeschichte, die meines alten Kindergartenfreundes, der nie ganz aus meinem Leben verschwunden ist, und die meines eigenen psychisch behinderten Sohnes. Zeitlich ist das Beschriebene seit meiner Geburt Mitte der 1990er geschehen. Zu verorten ist es in der Stadt Salzburg.

 

von Christina Schöppl

2/3 Ergebnisse weiterführender Recherche und Gesprächen zu dem Thema Menstruation mit einem Blick auf eine die erste Befragung zum Thema Menstruation bei Jugendlichen.

 

Wie bereits im letzten Essay beschrieben, war vor allem mein Verständnis von der Menstruation im Allgemeinen, die Probleme, die bei der Monatsblutung auftreten können und auch das Verständnis des gesamten Themas und dessen Behandlung eher gering.

Das Erste, das ich lernen musste, ist, dass oftmals von menstruierenden Personen/Menschen gesprochen wird. Es geht hierbei um ein Einbeziehen von Personen, die sich dem binären Geschlechtermodell nicht unterwerfen wollen. Auch Trans* oder inter*geschlechtliche Personen sollen inkludiert werden.

Um den Blick wieder zurück auf die Schule zu bringen, würden wir gerne eine Umfrage genauer beleuchten (In diesem Teil des Blogeintrages verwenden wir wieder den Begriff „Mädchen“, da dieser auch in der Befragung verwendet wurde.). Im April und Mai 2017 hat das Internetportal www.ready-for-red.at eine Umfrage zur Menstruation an Schulen durchgeführt. Es wurden insgesamt 1109 Schüler zwischen 11 und 18 Jahren befragt, wobei 684 Mädchen und 425 Jungen an dem Online-Fragebogen (SoSci – garantiert anonyme Datenverwertung) teilnahmen. Es wurden Schulen, sowie Leiter*Innen von Jugendzentren dazu aufgerufen, die Umfrage mit den Jugendlichen durchzuführen.

Das Ergebnis war zwar zu erwarten, dennoch ist es erschreckend: 60% der Mädchen stehen ihrer Menstruation negativ gegenüber und 70% der Jungen finden das Thema sogar peinlich und nehmen dieses nicht als relevant wahr.

Weitere eklatante Probleme offenbaren sich beim Wissenstand: Natürlich sind fast 90% aller Befragten der Meinung, genug über das Thema zu wissen, aber die Hälfte aller an der Umfrage teilnehmenden Mädchen und vier von fünf Buben können nichts mit den Begriffen „Zykluslänge“ oder „Menstruationszyklus“ anfangen. Weitere Probleme entstehen bei vielen Mädchen, da sie nicht wissen, ab wann

 ein Tampon gewechselt werden muss, was natürlich zu gesundheitlichen Problemen führen kann. Ein weiterer problematischer Punkt bildet die Tatsache, dass 80% aller Mädchen ihre Monatshygieneprodukte im Klo hinunterspülen, da sich direkt neben dem Klo kein Mülleimer befindet und die Scham zu groß ist, die Menstruationsprodukte in einem weiter entfernten Mülleimer zu entsorgen. Dadurch entstehen ökologische und ökonomische Probleme, da in den Kläranlagen spezielle Zerkleinerer eingebaut werden müssen. Natürlich leidet auch die Umwelt unter den platinhaltigen Toilettenartikeln.

Informationen erlangen die Schüler*Innen hauptsächlich von Zuhause (62%), teilweise aus dem Internet (32%) und zum kleinsten Teil aus der Schule (10%).

Es gibt aber auch positive Rückmeldungen: Die Menstruation gibt den Mädchen ein Gefühl des „Normalseins“. Sie fühlen sich erwachsen und wissen, dass es ein Zeichen ihrer gynäkologischen Gesundheit ist. Auch haben Jungen ein gutes Bewusstsein dafür, wie sich Regelbeschwerden äußern können und über 50% wären dazu bereit, den Betroffenen die Belastung zu erleichtern.

Im Rahmen dieses Projekts haben wir vermehrt mit Bekannten aus unterschiedlichen Altersgruppen über das Thema Menstruation gesprochen. Wir haben Kommiliton*Innen und Familienmitglieder zu deren genereller Meinung im Laufe von Gesprächen befragt. Der erkennbare Grundtenor ist, dass Menstruation eigentlich als kleines, primär unwichtiges Thema empfunden wird, aber innerhalb kürzester Zeit komplexe Gespräche entstanden sind. Für den männlichen Teil der Bevölkerung ist die Menstruation weiterhin ein mit wenig Interesse belegtes Thema. Aber keiner unserer Gesprächspartner äußerte eine Ablehnung, dieses vermeintliche Tabuthema zu besprechen. Es wird tendenziell mit wenig Beachtung gestraft, weil man selbst nicht direkt betroffen ist. Auch die meisten menstruierenden Menschen, die wir befragt hatten, waren der Meinung, dass es zwar nicht unbedingt mehr besprochen werden sollte, aber auf alle Fälle eine bessere Arbeit in der Schule geleistet werden sollte, um junge blutende Menschen auf die Situation vorzubereiten.

Ein tatsächliches Tabu wird nicht mehr empfunden, aber es wird auch nicht gerne in der Öffentlichkeit darüber gesprochen.

 

Von Christina Schöppl und Markus Lohberger

1/3 Ein erster Einblick in die Thematik Menstruation mit der Stellungnahme einer Frau und eines Mannes und ein Rückblick ihrer Erlebnisse in der Schule.

Menstruation. In letzter Zeit ein ausführlich besprochenes Thema, vor allem nach dem medial ausgeschlachteten „Pinky-Glove-Vorfall“. Jede Frau verbringt einen nicht unerheblichen Teil ihres Lebens menstruierend. Dabei handelt es sich um einen der alltäglichsten Zustände, die es überhaupt gibt. Von der Schule bis hin zum Ende der Berufslaufbahn findet er regelmäßig statt. Aber wird wirklich so viel darüber gesprochen? Ist er wirklich so alltäglich? Ist er tatsächlich ein normaler Bestandteil des Lebens im Blick der Allgemeinbevölkerung?

Als Mann, der fünf Jahre lang freiwillig beim Roten Kreuz aktiv gewesen ist und mehrere Jahre in der Lungenfacharztpraxis seines Vaters gearbeitet hat und somit ein für einen Laien verhältnismäßig fundiertes medizinisches Wissen besitzt, kann ich sagen, dass ich wenig über die Menstruation und den Zyklus weiß. Ja, ich weiß seit der Schule von der Monatsblutung und allen damit verbundenen Begleiterscheinungen. In der sechsten Klasse im Gymnasium habe ich im Biologieunterricht gelernt, wie die Regel abläuft. Ich habe einen Test darüber geschrieben und danach so ziemlich alles wieder vergessen. Wieso sollte ich es mir auch merken? Es betrifft mich nicht direkt. Ich bin mit vier Brüdern aufgewachsen. Meine Mutter hat nie auch nur ein Wort darüber verloren. Im – zugegeben überwiegend männlich besetzten – Freundeskreis war Menstruation ebenso kein Thema. Sollte sie das sein?

Für mich hat es eigentlich keinen Grund gegeben, auf diese Frage mit „Ja“ zu antworten. Erst der Unikurs „Gender, Diversität und Inklusion (Vielfalt) in der Schule“ in Kombination mit dem Aufschrei der weiblichen Bevölkerung haben mich dazu veranlasst, über besagte Thematik eingehender nachzudenken.

Man möchte meinen, dass in der heutigen Zeit mit ihrer aufgeklärten und tendenziell offenen Bevölkerung, in der schon viele Tabus der vergangenen Jahrhunderte – berechtigterweise – zum gesellschaftlichen Usus geworden sind, auch dieses Thema ohne vorgehaltene Hand besprochen werden sollte. Bei einer ersten Recherche ist mir aber bewusst geworden, dass dem nicht immer so ist. Bis Ende 2020 hatten Menstruationsprodukte den gleichen Steuersatz wie Kosmetika oder andere Luxusgüter. Eine Schülerin am BG Feldkirch hat 2019 als Schulsprecherin durchsetzen können, dass in ihrer Schule gratis zur Verfügung gestellt werden. In Neuseeland und in Schottland werden seit kurzem Menstruationsprodukte in Toiletten öffentlicher Einrichtungen (besonders an Schulen und an Universitäten) zur freien Entnahme bereitgestellt, mit dem Argument, sie seien für menstruierende Menschen einmal monatlich ebenso von Nöten wie Toilettenpapier, das bekanntlich überall zur Verfügung gestellt wird. Periodenarmut, die Bezeichnung für den Umstand, sich Binden, Tampons und Co. nicht leisten zu können, sondern sich mit alten Socken, zerschnittenem Stoff oder Klopapier als Einlage behelfen zu müssen, ist laut Erhebungen keine seltene Problematik bei Einkommensschwachen, wenn auch aus Scham oft totgeschwiegen. Wieso ist eine essentielle Notwendigkeit – medizinisch valide Informationen über den physischen Vorgang schon vor dem Einsetzen der Pubertät und die nötigen Produkte – in Österreich nicht für alle gleichermaßen verfügbar?

Als Frau und Mutter stellen sich mir unwillkürlich folgende Fragen: Was ist mit Mädchen, die ohne Mutter aufwachsen? Wer führt jene in die „Geheimnisse des Frauseins“ ein und erklärt in einem vertraulichen Gespräch den Umgang mit der Monatsblutung? Was ist mit denen, die einen schlechten Draht zu ihren Eltern haben oder mit Familien, die generell nicht über dergleichen zu sprechen pflegen? Die aus kulturellen Gründen das Mäntelchen des Schweigens darüber breiten möchten oder deren Mütter vielleicht Illiteraten sind, weil ihnen der Schulbesuch aus Kosten- oder anderweitigen Gründen verwehrt geblieben ist, und daher auch über physische Vorgänge nicht ausreichend Kenntnis haben? Sollte der Monatsblutung, die ja bewiesenermaßen mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung betrifft, keine größere Gewichtung in der Umsetzung des Lehrplans zukommen und das damit einhergehende gesellschaftliche Tabu nicht möglichst rasch beseitigt werden?

Ich glaube, dass in österreichischen Bildungsstätten höchst unterschiedlich mit der Thematik umgegangen wird, mal offener und mal gehemmter (mal womöglich kaum bis gar nicht?) die Heranwachsenden mit Informationen versorgt werden. An dem von mir besuchten katholischen Mädchenprivatgymnasium, ist es Gang und Gebe, dass bereits im ersten Semester der ersten Klasse ausführlicher Aufklärungsunterricht stattfindet. Insbesondere der weibliche Körper wird eingehend behandelt, während dann in der vierten Klasse die sexuelle Komponente als solche ins Blickfeld gerückt wird. Dazu werden im Rahmen von Projekten namens „Love Talks“ externe Expertinnen hinzugezogen, die Fragen beantworten, welche man als pubertierendes Mädchen seiner Lehrkraft vielleicht lieber nicht stellen möchte. In meiner Klasse hat es damals zwei Vormittage rein mit einer externen Sexualpädagogin gegeben und zwei Nachmittage gemeinsam mit einer Klasse eines ortsansässigen Burscheninternats. Diese Erfahrung habe ich als äußerst bereichernd in Erinnerung und will ich keinesfalls missen. Auch die Tatsache, dass nicht jede Schule Binden und Tampons bereitstellt, ist mir neu, weil es an meiner Schule Usus ist und eine der ersten Informationen in der ersten Klasse darstellt, die man vom Klassenvorstand/von der Klassenvorständin erhält, wo man sich diese im Bedarfsfall holen kann. Anscheinend sind katholische Privatschulen entgegen aller Unkenrufe doch fortschrittlicher als ihr Ruf.

 

von Christina Schöppl und Markus Lohberger

Persönliche Stellungnahme zweier LehramtsstudentInnen zu dem Kapitel „Chancenlos von Anfang an“ aus dem Buch „Generation haram. Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben.“ Von Melissa Erkurt. Ein Text von Christina Schöppl und Markus Lohberger

Wir kommen aus einer sehr behüteten Familie: Die Mahlzeiten wurden immer gemeinsam eingenommen, am Abend wurde uns vorgelesen und man versuchte unseren Fernsehkonsum gering zu halten, weil es damals hieß, dass es schlecht für die Augen sei. Wir erledigten unsere Hausübungen, während unsere Mutter am Herd stand und das Essen vorbereitete und am frühen Abend fielen wir unserem Vater in die Arme, wenn er von der Arbeit nach Hause zurückkehrte. Im Großen und Ganzen war es ein behütetes Heranwachsen in einer klassischen Familienkonstellation mit Mutter, Vater und Kindern. Diese Situation stellte für uns etwas Normales und Gegebenes dar. Uns war nicht bewusst, dass es nicht allen so ging. Mit den Jahren des Heranwachsens wird einem erst klar, dass nicht alle so viel Glück ihr Eigen nennen. Je älter man wird und umso mehr Leute man kennenlernt, desto mehr Geschichten erfährt man. Man kennt die Probleme von Freunden und lernt die Schwierigkeiten kennen. Man versucht jenen zu helfen. So geht es auch den Lehrpersonen aus dem Text. Diese kennen die Probleme der SchülerInnen. Sie erfahren, dass Kindern in der Volksschule noch nie das beglückende Gefühl zuteilgeworden ist, dass jemand ihnen vorliest und eine Welt vor ihrem inneren Auge entsteht. Lehrpersonen erfahren, dass viele SchülerInnen Probleme mit dem Deutschen haben, nicht weil sie es nicht lernen wollen, sondern weil sie außerhalb der Schule keinen Kontakt zu deutschsprachigen Leuten haben. Sie erfahren alle diese Probleme und wollen helfen. Sie wollen ihre Aufsichtspflicht erfüllen und zugleich gute Menschen sein. In unserem System ist das allerdings schwer möglich. Als LehramtsstudentIn erlangt man bereits eine gewisse Einsicht in die Lebenswelt von Lehrpersonen. In unserem Verwandtenkreis gibt es selbst einige Lehrpersonen, von denen wir Geschichten kennen.

Lehrpersonen haben in den letzten Jahren an Ansehen verloren. In der Zeit unserer Großeltern wurden LehrerInnen noch als Autoritätspersonen von SchülerInnen und Eltern gesehen. Mittlerweile ist dieses Ansehen deutlich gesunken. Lehrpersonen sind in einen Zwiespalt geraten: Sie sollen einerseits sicherstellen, dass SchülerInnen den angestrebten Standard erreichen, andererseits sollen sie aber auch ein Verständnis für ihre Schutzbefohlenen haben, diese in ihren Talenten fördern und auch sonst unterstützen. Gleichzeitig wollen LehrerInnen natürlich auch Zeit für ihr Privatleben und ihre eigene Familie behalten. Besagte unterschiedlichen Ziele unter einen Hut zu bringen fällt nicht leicht. Obwohl Lehrpersonen lediglich etwa 22 Stunden in der Schule im Unterricht zubringen, kommt auch noch die Vor- und die Nachbereitung der Stunden dazu. Diese fällt vor allem gewaltig aus, wenn ein/eine LehrerIn wirklich engagiert ist und den Unterricht speziell auf die jeweilige Klasse zuschneidet. Vor allem in der jetzigen Situation mit der Corona-Pandemie ist das Lehramt zu einem permanenten Bereitschaftsjob geworden, da Eltern und SchülerInnen immer wieder Kontakt suchen, wenn etwas im Distance-Learning nicht verstanden wurde.

Man kann sich die Situation eigentlich sehr einfach vorstellen. Ein/eine LehrerIn soll mittlerweile bei der Erziehungsarbeit der SchülerInnen mithelfen. Eine durchschnittliche Klasse nennt 25 SchülerInnen ihr Eigen. In der Volksschule befindet sich eine Lehrkraft täglich etwa vier Stunden in der Klasse. In der Sekundarstufe fällt diese Zahl auf eine bis zwei Stunden herab. In diesem Zeitraum sollen Lehrer Probleme beheben, die Schüler zuhause haben. Dies aber nicht für ein oder zwei Kinder, sondern vor allem in Brennpunktschulen für ganze Klassen. Gleichzeitig muss die Lehrkraft aber ihre Aufgabe erfüllen und die SchülerInnen bewerten. Die Funktion einer Schule ist einerseits die Wissensvermittlung, andererseits die Bewertung. Sind SchülerInnen  gut genug, um die Schulstufe zu bestehen oder um die Reifeprüfung zu erhalten? Besagte Situation wurde auch in dem Text von Melisa Erkurt behandelt.

Die komplett unterschiedlichen Aufgaben und Bedürfnisse sind unserer Meinung nach im jetzigen System nicht unter einen Hut zu bringen. LehrerInnen sollen in ihrem Unterrichtsgegenstand auf einem akademischen Niveau sein, das in der Schule keinesfalls erreicht wird. Sie sollen eine didaktische Ausbildung haben und zusätzlich ein offenes Ohr für ihre SchülerInnen haben und die Erziehungsfehler der Eltern ausbügeln. Für diese Aufgaben fehlen unserer Ansicht nach die unterstützenden Strukturen und Förderungen, die dafür nötig wären. Wenn man all diese Aufgaben bewältigen soll, dann müsste die Klassengröße verringert werden, man bräuchte mehr Zeit mit den Schülern, in denen man keinen Stoff „durchbringen“ muss, um jene auf die Matura vorzubereiten, man bräuchte eine/n weiteren Pädagogen/-in, der sich auf bestimmte SchülerInnen genauer konzentrieren kann. Die hier beschriebene Problematik ist schlussendlich eine gesellschaftliche und politische, die auf dem Rücken der Schulangestellten und in weiterer Folge auf dem der heranwachsenden Generation ausgefochten wird.