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Hintergrund für diese Diskussion liefert der „Thema Spezial“ Beitrag am ORF2 mit dem Titel „Ein Schulversuch in Österreich“. Unter die Lupe genommen wird dabei das Projekt „Schule fürs Leben“ zwischen den beiden Wiener Schulen MS Gassergasse und Gymnasium Rahlgasse. Hierbei wurden einerseits sozial benachteiligte Schüler*innen der Mittelschule mit SchülerInnen des Gymnasiums vermittelt. Die dabei gebildeten Zweiergruppen sollten gemeinsam Freizeitaktivitäten unternehmen, über das Leben des/der Anderen erfahren und sich gegenseitig unterstützen. Andererseits wurden gemeinsame Aktivitäten durchgeführt, die den sozialen Zusammenhalt stärken sollten und eine Bindung zwischen den Kindern herstellen sollten.

Hintergrund dieses Projekts ist die herrschende Chancenungleichheit im österreichischen Bildungssystem und die große Kluft zwischen Mittelschule und Gymnasium. Ein markantes Indiz dafür sind die unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründe der Schüler*innen und die damit verbundene Chancenungleichheit. Die Direktorin der Gassergasse Andrea Walach erwähnt in einem Interview: „1/3 meiner Jugendlichen werden nach der Schule zu Sozialhilfeempfängern“. Das Faktum, dass so viele der Lernenden an dieser Schule sozusagen zu „Kunden des AMS“ werden, bewirkt nicht nur das Schulsystem an sich, sondern auch der familiäre Hintergrund dieser Jugendlichen. 98% davon sprechen nicht Deutsch als Muttersprache und kommen aus armen Familien. Deren Eltern haben keine Zeit sich für die Bildung ihrer Kinder zu kümmern, sondern haben andere – grundlegendere Probleme – wie die Ernährung der Familie. Die Schüler*innen des Gymnasiums Rahlgasse stammen im Gegensatz dazu aus größtenteils privilegierteren, bildungsnahen Familien und haben für ihre Zukunft nahezu alle Optionen offen.

Um konkrete Beispiele für die traurigen sozioökonomischen Hintergründe der SchülerInnen von der MS Gassergasse zu liefern, wird kurz auf die TeilnehmerInnen des Projekts in der Dokumentation eingegangen. Einer davon ist Asip, der mit seiner Mutter und seinen zwei Geschwistern auf 40 Quadratmetern Wohnung wohnte, tagtäglich am harten Boden schlafen musste und der keine schulische Unterstützung von seiner Mutter hatte. Nachhilfe konnte sich seine Familie nicht leisten und Asip selbst musste in unterschiedlichsten Arbeitsstätten für das Ernährung der Familie neben der Schule arbeiten. Seine Familie kam nach Österreich, nachdem sie aus dem Afghanistan wegen Morddrohung flüchten musste. Sam stand einem ähnlichen Schicksal gegenüber. Seine Familie floh aus dem Irak aufgrund der damaligen politischen Lage. Aufgrund seiner Schüchternheit wurde er in der Schule mehrmals Mobbingopfer und zog sich sozial zurück. Innerhalb seiner Familie war Sam derjenige, der am besten Deutsch sprach, als sie nach Österreich kamen, weshalb auch er kaum schulische Unterstützung von seinen Eltern hatte. Auch das Mädchen Nabaa floh mit ihrer Familie aus dem Irak und fand sich in der MS Gassergasse wieder. Dort fiel ihr die Schule keinesfalls leicht und sie fand sich freizeitlich im Brennpunkt zwischen ihrer Religion bzw. den Erwartungen ihrer Eltern sowie den Erwartungen der österreichischen Gesellschaft.

Das Projekt „Schule fürs Leben“ war in Zuge dieser Jugendlichen ein großer Erfolg. Alle in der Dokumentation behandelten Schüler*innen der Mittelschule, die am Projekt teilnahmen, profitierten von sozialen, schulischen sowie beruflichen Erfolgen. Asif arbeitet heute als Fitnesstrainer in einem Fitnessstudio, Sam wurde viel selbstbewusster und ist politisch aktiv und Nabaa legte ihr Kopftuch ab und heiratete ihren Traummann. Aber nicht nur die Schüler*innen selbst, sondern auch die Gassergasse profitierte stark vom Projekt, indem der Stundenplan viel innovativer wurde. So wurden Aktivitäten wie Präsentationstrainings, wöchentliche Projekttage, Stimmbildungs- & Atmungsworkshops, Bewerbungstraining sowie Begabungsförderung in den Schulalltag aufgenommen.

Abschließend wird das Thema der Chancenungleichheit im österreichischen Bildungssystem noch vom Bildungsexperten der Uni Wien Stefan Hopmann thematisiert. Laut ihm sei das Gymnasium nichts anderes, als eine „Prämienverteilung an fleißige Mütter“, da diese das „pädagogische Defizit“ der Schulform ausgleichen müssen, was dem Bildungssystem zugrunde liegt. Der sozioökonomische Hintergrund sowie der Bildungsabschluss der Eltern scheinen somit klare Gründe für die Chancenungleichheit.

Wir haben uns auch Gedanken darüber gemacht welche Veränderungen es geben müsste, damit eine Chancengleichheit an Schulen erzielt werden kann. In den folgenden Zeilen handelt es sich um unsere eigene Meinung und um einige Punkte, die unserer Meinung nach einiger Veränderung bedürfen, um unsere Schulsystem chancengerechter zu machen.

Zuallererst ist da der familiäre Druck den viele Schüler*innen ausgesetzt sind. Wie oben schon angesprochen, hatte vor allem Nabaa mit starkem familiären Druck zu kämpfen, denn ihre Eltern ließen ihr keinerlei Entscheidungsfreiheiten, obwohl es für Nabaa und ihre Zukunft wahrscheinlich besser gewesen wäre die Schule zu wechseln, wie es ihre Lehrer*innen vorgeschlagen haben. Die Flucht aus ihrem Heimatland bedeutete für die Familie einen sozialen Abstieg und Nabaa’s Eltern wollen wieder eine angesehene Familie sein und legen deshalb alle Hoffnung in ihre Tochter. Es ist ganz klar, dass Kinder bzw. Jugendliche solche Entscheidungen nicht alleine treffen können, doch bei Nabaa zeigte sich nach dem Schulwechsel definitiv eine positive Veränderung ihrer Persönlichkeit und ihrer schulischen Leistungen. Ist es gerecht, wenn Eltern Entscheidungen für ihre Kinder treffen, die die Zukunft des Kindes womöglich verschlechtern können? Nach Chancengleichheit scheint dies nicht zu streben.

Weiters wird in dem Beitrag vom ORF auch häufig über die Religion, vor allem dem Islam, gesprochen und dass die Schüler*innen „Gefangene ihrer eigenen Religion“ seien. Die Wiener Lehrerin und Autorin, Susanne Wiesinger, erklärte die Situation so, dass der Islam mittlerweile die Überhand ergriffen hat und dass die religiösen „Gesetze“ mehr Wert sind als die verfassungsrechtlichen Gesetze. Sie erzählt auch kurz, wie der Alltag einer/eines Lehrer*in aussieht.  Keine Lernmotivation, keine deutschsprechenden Schüler*innen und keine Hobbys und Interessen, dafür aber reichlich Aggression, wenn etwas nicht mit dem Islam zusammenpasst. Sollte nicht eine Balance gefunden werden, die für alle Parteien passt? Die Schüler*innen sind in der Schule, um etwas zu lernen und sich für ihre Zukunft vorzubereiten, doch es scheint als würde diese Schüler*innen schwer irgendwo einen Rückhalt finden.

Zuletzt sind noch die gesellschaftlichen Vorurteile, die diese Kinder und Jugendlichen betreffen. „Mein Kind schicke ich nicht auf diese Schule. Da sind viel zu viele Ausländer*innen, da kann mein/e Sohn/Tochter ja nichts lernen“. Sätze wie diesen kennen wir alle sicher ganz genau, doch haben diese auch eine Berechtigung?
Wie wir aus diesem Projekt gut erkennen können, ist es für Schüler*innen aus Brennpunktschulen extrem hilfreich Kinder aus einem Gymnasium bei sich zu haben, mit denen sie lernen können. Wenn es mehr Projekte wie dieses geben würde, könnte man noch besser aufzeigen, welche Vorteile das für beide Parteien hat. Die Gymnasiast*innen können sehen, dass die NMS-Schüler*innen vielleicht extrem dankbar sind überhaupt eine Schule besuchen zu dürfen, dass sie schwere Schicksalsschläge erleben mussten und sich in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und Kultur ganz neu einleben müssen. Andersrum können die NMS-Schüler*innen erfahren, dass es Menschen gibt, die ihnen helfen wollen und, auch wenn unsere Kultur hier ganz anders ist, dass neue Freundschaften entstehen können.

Ein bisschen mehr Miteinander und Füreinander wäre in Situationen wie diesen wohl angemessener als ein Gegeneinander.

Zum Abschluss sollte das Schulsystem in Österreich näher beleuchtet werden. Dabei sollten aber nicht nur kritische Punkte erörtert werden, sondern auch Versuche dargelegt werden, wie man nach einer annähernden Gerechtigkeit streben könnte. Weiter oben wurde sich genauer dem gesellschaftlichen Aspekt bzw. Faktor gewidmet, welcher hier – zwar nicht vollends, aber doch ein Stück weit – in den Hintergrund gestellt werden sollte. Denn überwiegend wird der Fokus auf das System Schule gelegt.

Dabei ist dieses System, wie wir es in Österreich vorfinden, geprägt von Early Tracking und einer Vielfalt an schulischen Übergängen (Steiner et al., 2016). Unter dem Anglizismus Early Tracking (tritt im bildungswissenschaftlichen Kontext oft auch als „Streaming“ auf) versteht Kate Barrington (2020) folgendes:

„[…], tracking is a system in which students are divided into classes based on their overall achievement. Students are ranked as being average, normal, or below average and they are divided into classes with students of the same achievement level.”

Dementsprechend lässt sich eine gewisse Parallele zu den Leistungsgruppen erkennen, obwohl die Hauptschule 2012 von der (damals) Neuen Mittelschule als Regelschule abgelöst wurde und 2015 endgültig von der Bildfläche verschwunden ist. Wieso sprechen viele Expert*innen noch von dem Streaming, wenn doch alle Schüler*innen gemeinsamen Unterricht im Klassenverbund angeboten bekommen und nicht mehr nach Leistungen voneinander separiert werden?

Dies liegt unseres Erachtens daran, dass die Theorie nicht der Praxis entspricht. Denn an konservativen Schulen wird durchaus noch das Early Tracking vollzogen, indem eine der beiden Lehrpersonen mit dem leistungsschwächeren Teil der Schulklasse eine andere Räumlichkeit aufsuchen und den Unterricht somit getrennt fortführt. Daher lässt sich eine gewisse Pseudo-Integration sozioökonomisch schlechter gestellter Schüler*innen innerhalb der Mittelschule pauschal nicht abstreiten bzw. leugnen.

Um nun auf den anderen Aspekt zu kommen, den Steiner mit den vielfältigen, schulischen Wechseln/ Übergängen anspricht, sollte die AHS Unterstufe erwähnt werden. Der gymnasiale Schultyp der Sekundarstufe I sorgt für einen weiteren Faktor der Ungleichheit im Schulsystem (Gerhartz-Reiter, 2018). Diese Schulform besuchen in der Regel Schüler*innen, deren sozioökonomischer im oberen Sektor einzustufen ist. Um von der Primarstufe in die AHS Unterstufe überzutreten, benötigt man die von der Volksschule genehmigte Gymnasialreife. Ohne diesem Attest schafft man den Sprung sonst nur über zusätzliche Hürden, wie bspw. verschiedenste Leistungs- und Aufnahmetestungen. Dies bedeutet, dass bereits in der vierten Schulstufe eine folgenreiche Segregation stattfindet. Denn, wie Gerhartz-Reiter auch schildert und mit Daten untermauert, schafft ein höherer Prozentsatz an Schüler*innen den Übertritt von der AHS Unterstufe in die AHS Oberstufe als ihre Kolleg*innen, die die Mittelschule absolvierten. Der Grundstein für eine angestrebte akademische Ausbildung wird demnach bereits in der Volksschule gelegt.

Doch nun ist bekannt, dass in Österreich viele Familien leben, deren sozioökonomischer Status schlechter gestellt ist und es daher gleichermaßen auch an kulturellem als auch an finanziellem Kapital fehlt, um den eigenen Kindern eine gleich gute/ hohe Ausbildung zu ermöglichen. Ein wichtiger Faktor, der dabei eine nicht unwesentliche Rolle einnimmt, ist in der Halbtagsschule begründet. Bis früh nachmittags besuchen die Schüler*innen die Schule und anschließend haben sie in ihrer Freizeit zu Hause verschiedenste Aufgaben, wie Hausübungen, Vorbereitungen, Lernen, etc., zu erledigen. Bei einem möglichst bildungsnahen Haushalt stellt das üblicherweise keine allzu großen Herausforderungen dar, da die Schulkinder auf die Unterstützung ihrer (gebildeten) Eltern vertrauen und bauen können. Anders sieht es nun hingegen bei bildungsfernen Eltern bzw. bei Eltern aus, die tagsüber (teilweise auch mehreren) Berufen nachgehen, um ihren Kindern überhaupt Bildung ermöglichen zu können. Denn sie können ihren Kindern aus verschiedensten Gründen keine eigene und aber auch keine externe Hilfe (in Form von Nachhilfe bspw.) anbieten, da es die finanzielle Situation in den meisten Fällen nicht ermöglicht.

Um dieser Ungleichheit entgegenzusteuern wäre es unserer Meinung nach wichtig, die AHS Unterstufe allgemein zu überdenken und das halbtägige Schulsystem in ein ganztägiges umzustrukturieren. Das Konzept der Ganztagsschule stellt zum einen eine gleiche Betreuungsmöglichkeit durch ausgebildetes Lehrpersonal sicher und zum anderen sollte es auch in soziale Aspekte eingreifen, wie Braun & Wetzel in ihrem Artikel berichten (2008). Das bedeutet Kinder bzw. Jugendliche, die sich aufgrund verschiedenster Merkmale von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, sollten durch vielfältige Ansätze und Angebot in die (Schul-)Gemeinschaft inkludiert werden. Am besten veranschaulicht das jenes Projekt, das im Rahmen einer Dokumentation des ORF vorgestellt wurde. Schüler*innen aus der Haupt- bzw. Mittelschule, die fast ausschließlich von Kindern mit Migrationshintergründen besucht wurde, einen Peer aus einem Gymnasium zugeteilt. Das Ergebnis, das daraus resultierte: Es wurden Freundschaften geschlossen, die Jugendlichen gewannen einen Eindruck über die Lebensverhältnisse ihrer Peer-Buddys und konnten auch zuvor bestehende Klischees bzw, Vorurteile ausräumen. Die Jugendlichen ergänzten und unterstützten sich gegenseitig, was im Prinzip bestätigt, dass an diesem segregativen Schulsystem, wie es derzeit besteht, nicht festgehalten werden darf. Die einzig negative Begleiterscheinung wäre – aus der Perspektive der Politik wohlgemerkt – dass eine leistungsorientierte, „elitäre“ Schüler*innenschaft damit so gut wie wegfallen würde, da auf das individuelle Wohl aller geachtet werden würde.

 

Autoren: Brenner Katharina, Gillich Hannes, Huemer Marcel (Redaktionsgruppe C)

Literatur-/ Quellenverzeichnis

Braun, KH. & Wetzel, K. (2008): Ganztagsschule und Soziale Arbeit in Österreich. Sozial Extra 32, S. 32–35.

Gerhartz-Reiter, S. (2019): Bildungsungleichheit und vorzeitiger Bildungsausstieg, in: Quenzel, G. & Hurrelmann, K. (Hrsg.), Handbuch Bildungsarmut. Wiesbaden. S. 523-546.

Barrington K. (2020): The Pros and Cons of Tracking in Schools, online unter: https://www.publicschoolreview.com/blog/the-pros-and-cons-of-tracking-in-schools [Zugriff: 21.01.2022].

Steiner, M./Pessl, G./Bruneforth, M. (2016): Früher Bildungsabbruch – Neue Erkenntnisse zu Ausmaß und Ursachen. In: Bruneforth, M. (Hrsg.): Nationaler Bildungsbericht Österreich 2015. Fokussierte Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen. Band 2. Graz. S. 175– 220.

 

Im Rahmen des Seminars haben wir das Kapitel „Abgrenzen, aber nicht abwerten“ aus dem Buch Wir. von J. Kohlenberger (2021) gelesen und dieses hat mich dazu veranlasst einen Beitrag zu schreiben.

In dem Buchabschnitt wird darauf eingegangen, dass Abgrenzen grundsätzlich nichts Schlechtes ist. Im Gegenteil, dieses Abgrenzen ist für die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit und Identität sogar sehr wichtig: Durch das Feststellen, was ist „Ich“ und was ist „Fremd“ (zum Beispiel bezogen auf die Eltern oder eine andere Bezugsperson), kommt es zu einer persönlichen Entwicklung. Problematisch wird das erst, wenn das Abgrenzen zu einer Abwertung der abgegrenzten Personen führt, man spricht von Othering. Es werden hier einige Beispiele genannt, so etwa das Unterscheiden in Mann und Frau mit einer negativen Konsequenz für Frauen oder die „andere Sexualität“, die Homosexualität oder auch auf Religion bezogen, die „bildungsfernen Muslim*innen“. Merkmale, die dabei oft herangezogen werden, sind beispielsweise die Ethnizität, die Herkunft, Religion, Sprache oder Nationalität.

Spannend finde ich hier, wie sehr dieses abwertende Ausgrenzen durch sprachliche Eigenheiten gefördert wird. Ausdrücke, die Personen dehumanisieren, führen zu einer weiteren negativen Entwicklung dieser Ausgrenzung, man spricht von Flüchtlingswellen, nicht von Personen, die verfolgt werden oder vor Krieg fliehen. Auch die Medien tragen hier weiter dazu bei. In Berichterstattungen werden Begriffe immer weiter ausgeschmückt: Dinge personifiziert und Menschen dehumanisiert ohne dass das der Gesellschaft negativ auffällt, weil es ja sowieso Gang und Gebe ist. Um hier ein Beispiel aus dem aktuellen Corona-Kontext zu nennen: Corona wird beispielsweise als „böse“ bezeichnet, während Impfgegner sich von Impfbefürwortern abgrenzen und immer wieder Worte fallen wie „die Massen“, „die Flut an Skeptikern“, etc., wobei teilweise von beiden Seiten eine Abwertung stattfindet.  

Und nicht nur Medien schüren diese (teils sicher unabsichtliche) abwertende Abgrenzung, sondern auch in persönlichen Gesprächen kommt das vor. Je hitziger eine Debatte stattfindet, desto eher tendieren Menschen dazu, verallgemeinernde Aussagen zu treffen und desto häufiger kommt es auch zu Ausgrenzungen. Um auch hier wieder auf Corona zurückzukommen: Selbst „gebildete“ Menschen (hier bereits eine erste Abgrenzung mit negativen Konnotationen der abgegrenzten „ungebildeten“ Gruppe) grenzen sich gerne und häufig von Impfgegnern ab. Es wird eine klare Linie gezogen, „ich bin nicht so, diese Impfgegner sind nicht informiert genug und reden Unsinn“. Natürlich ist hier hinzuzufügen, dass es bezüglich der Coronadiskussion nicht nur um Meinungen geht, sondern auch aktiv die Gesundheit betroffen ist und es zu einer Verbreitung von „Fake News“ gekommen ist und daher manche Aussagen von Grund aus als faktisch falsch bezeichnet werden können. Trotzdem nimmt die Abgrenzung doch sehr negative Ausmaße an, die in Beleidigungen und Einschränkungen ausarten kann.

Wenn jetzt aber von Ethnizität oder Herkunft gesprochen wird und es auch hier Abwertung gibt, um das Ich aufzuwerten, dann ist das viel gravierender als die Corona-Debatte, die es nun erst seit etwa zwei Jahren gibt und wahrscheinlich auch irgendwann wieder verschwinden oder zumindest abflauen wird. Migration, unterschiedliche Herkünfte und Sprache wird sich aber nicht verändern, das gibt es schon „immer“ und wird es auch weiterhin geben, solange der Mensch auf der Welt lebt. Diese negative Abgrenzung aufgrund eines oder mehrerer unveränderlicher Merkmale ist also sehr viel weitläufiger als eine Corona-Debatte. Sprachlich ist auch hier diese Abwertung vorzufinden: Häufig ist es Personen nicht einmal bewusst, wenn sie Dinge wie „Die/Der kann das sowieso nicht, in seinem/ihrem Herkunftsland macht man das nicht“, „ich habe mehr gelernt als du, du bist „nur“ aus Land xyz“ oder ähnliches sagen. Diese Aussagen werden beinahe von der Gesellschaft an den einzelnen weitergegeben; wenn die breite Bevölkerungsmehrheit so etwas sagt, verwandelt sich ein Satz schnell in eine vermeintliche Tatsache. Dann wird nicht mehr lang darüber nachgedacht, was diese Aussage eigentlich für Andeutungen mit sich führt und es kommt zu verdecktem Rassismus. Es handelt sich um diese Art unterschwelliger Aussagen oder abwehrenden Verhalten Personen gegenüber, die aus anderen Ländern eingewandert oder geflüchtet sind, vor allem wenn es sich bei diesen Ländern um jene handelt, die in der Bevölkerung als unsicher und problematisch angesehen werden. Dabei wird nur auf negative Aspekte eingegangen und etwaige positive Eigenschaften vollkommen außer Acht gelassen. Man hört auch oft „ich bin nicht rassistisch“ und im gleichen Atemzug wird das weitergeführt mit „…aber, man muss schon sagen, dass…“ oder „…ich will nur sagen, dass…“, wobei es sich auch um eine Form des Rassismus handelt. Man spricht von Alltagsrassismus [„Rassismus(1) im alltäglichen Leben“ (Duden)], der (auch) aufgrund sprachlicher Eigenheiten und unüberlegter Aussagen entsteht, die durch vorhergehendes Nachdenken abgeschwächt oder – besser noch – eliminiert werden können.

Abwertende Abgrenzung findet unter anderem durch die Sprache statt, wird von der breiten Bevölkerungsmasse und den Medien getragen, kann bewusst aber auch unabsichtlich stattfinden, was durch überlegte Aussagen deutlich minimiert werden kann. Fazit also: Denken Wir nach, bevor Wir etwas sagen!

 

(verfasst von Elena Schüssling)

Literatur:

Kohlenberger, J. (2021). Abgrenzen, aber nicht abwerten. In: J. Kohlenberger. Wir. S. 57-69. Wien: Kremayr & Scheriau. ISBN: 978-3-218-01255-3.

Duden (2021). Rassismus. URL: https://www.duden.de/rechtschreibung/Rassismus#Bedeutung-2

 

(Michaela Rudinger)

Fachleute warnen zunehmend vor den Folgen der Pandemie für Jugendliche. Es häufen sich Fälle von Angststörungen, Depressionen und sogar die Anzahl an Suizidversuchen nimmt zu. Der Kinder- und Jugendfacharzt Dr. Reinhold Kerbl fordert im Interview der Salzburger Nachrichten vom 30. November 2021 „So viel Normalität wie möglich!“ Doch was ist so viel Normalität wie möglich? In der aktuellen Phase der Pandemie ist es der Entscheidung der Eltern überlassen, ihr Kind in die Schule zu schicken oder daheim im Distance-Learning zu lassen. Eltern wählen zwischen einem Schulalltag mit Maske, regelmäßigen Tests und der permanenten Sorge um die Gesundheit des Kindes und einen Alltag mit Homeoffice, Homeschooling und einem Minimum an sozialen Kontakten, die die Kinder aber sichtlich brauchen. Viele Eltern haben keine Wahl, die Kinder und Jugendlichen besuchen aus beruflichen Gründen weiterhin die Schule. Da die Schulen im Lockdown offen haben, gibt es für Eltern auch keinen Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeit, dieser greift nur bei behördlich geschlossenen Schulen oder wenn das Kind in Quarantäne ist. Die Gründe die Kinder nicht zuhause zu lassen sind komplex. Eltern beschäftigen sich mit Fragen wie: Sind die Rahmenbedingungen, zu Hause zu lernen, tauglich oder nicht? Wie haben die Kinder das Lernen zu Hause im letzten Lockdown geschafft? Gibt es gesundheitliche Risiken? Tatsächlich warnen die Experten auch bei Kindern vor Langzeitfolgen wie Long Covid. Eine Sorge um die Gesundheit ist angesichts der hohen Fallzahlen an den Schulen durchaus berechtig. Dr. Reinhold Kerbl der Vorstand der Abteilung für Kinder und Jugendheilkunde des LKH Hochsteiermark rät zur Impfung von Kindern und bringt somit Eltern in ein neues Dilemma. Fragen wie: Ist die Impfung für Kinder bereits ausreichend erforscht? Reicht die derzeitige Datenlage aus, um mich für die Impfung meines Kindes zu entscheiden? Kann eine Impfung mein noch im Wachstum befindendes Kind schädigen? Die Kinder sind nun mal das Wertvollste in Leben ihrer Eltern und so sollte man verstehen, dass Eltern  trotz multinationalen Befürwortung noch Bedenken haben. So oder so die Eltern stehen in dieser Pandemie immer wieder vor großen Herausforderungen. Elternschaft  bedeutet immer wieder zu versuchen sein Bestes zu geben und auch schwierige Entscheidungen für die eigenen Kinder zu treffen.  Dr. Kerbl rät schließlich trotzt aller Sorgen, zu so viel Normalität wie möglich: „Mit den Kindern raus gehen. Sport machen, die gemeinsame Zeit genießen und vor allem mit den Kindern keine Nachrichtensendungen mit den nächsten Horrormeldungen anschauen.“

 

Literaturverzeichnis

Zimmermann, M. (2021, 30. November). Pandemie schlägt Kinden auf die Psyche. Salzburger Nachrichten

 

Die Autorin Maja Göpel hat mich durch ihr Buch „Unsere Welt neu denken“ zum Nachdenken angeregt. In kritischen Worten beschreibt sie den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Klimawandel. Und tatsächlich ist es so, dass sich ein direkter Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Wachstum und dem CO2-Anstieg feststellen lässt.

Absurd wirkt dabei vor allem, dass wir das Ziel verfolgen die Klimakrise zu stoppen und dennoch ein stetiges Wirtschaftswachstum anstreben.
Bereits seit über 60 Jahren misst das Mauna-Loa-Observatorium auf Hawaii den Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre. Seither konnten Wirtschaftseinbrüche eindeutig anhand der Messwerte mitverfolgt werden. Zu Zeitpunkten, an denen kein wirtschaftliches Wachstum verzeichnet wurde, stieg die Kurve des CO2-Gehaltes in der Atmosphäre wenig bis gar nicht an.

Wir leben in einer Welt, in welcher Geld und Macht für viele Menschen besonders erstrebenswert sind. Der Kapitalismus zeichnet sich damit aus, dass immer mehr Menschen mehr und mehr haben und besitzen möchten. Wir rühmen uns damit viel Geld zu verdienen. Teure und neue Autos sind ein wichtiges Statussymbol. Mit überdimensional großen SUVs fährt man 500 Meter zum nächsten Supermarkt, um dort plastikfreie Produkte aus biologischem Anbau zu kaufen. Natürlich macht man das so, schließlich legen wir viel Welt auf Nachhaltigkeit und unsere Umwelt.

Wir reden davon, dass wir auf „unseren“ Planten Acht geben müssen und unseren CO2 Ausstoß vermindern müssen, um unseren Kindern und Enkelkindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Gleichzeitig ist es erstrebenswert Geld sinnvoll zu investieren. Einerseits für uns selbst, andererseits für unsere Nachkömmlinge. Schließlich möchten wir unseren Sprösslingen jeden Wunsch von den Lippen ablesen und diese Wünsche auch erfüllen. Sie sollen eine gute Schule besuchen, wenn möglich soll es sich dabei um eine private Institution handeln und später sollen sie natürlich studieren. All das kostet Geld, sehr viel Geld. Grotesk ist der eindeutige Wiederspruch.

Der Mensch ist ein sonderbar egoistisches Wesen. Es liegt an uns allen was mit dem Planeten, auf dem wir leben, in den nächsten Jahrzenten passiert. Es wirkt, als sei das Wachstum der Wirtschaft genauso erstrebenswert wie ein nachhaltiger Lebensstil. Solange der Kapitalismus so viele Menschen in der Hand hat, werden wir die Klimakrise nicht in den Griff bekommen. Unter anderem hat der Kapitalismus Schuld daran, dass der westliche Mensch einen verschwenderischen Lebensstil hat. Die Bevölkerung in Entwicklungsländern wird ausgebeutet, damit wir jederzeit die aktuelle Mode in diversen Kaufhäusern erwerben können. Es gibt nahezu alles in allen Farben und Größen. Das Angebot ist riesig. Groß genug damit jeder fündig wird.

Aber ist es tatsächlich notwendig? Ist es das wirklich Wert, dass Menschen unter schlimmsten Verhältnissen arbeiten und leben, damit uns ein Überangebot an Waren zur Verfügung steht? Manche Menschen haben Glück und werden in einem Land geboren in welchem sie in Sicherheit sind, genügend Essen verfügbar ist und sie freien Zugang zu Bildung haben. Dann gibt es wiederum Menschen die weniger Glück haben und im Kindesalter bereits einer Arbeit nachgehen, Essen teilweise nicht verfügbar ist, keine freie Bildung möglich ist und Eltern ihre Töchter an die Familie des zukünftigen Ehemannes verkaufen. Diese Menschen zahlen den Preis dafür, dass wir in einem Überfluss leben können. Und wir rühmen uns damit, plastikfreie Produkte zu erwerben.

Wir besitzen mehr Schuhe als wir tragen können, Hosen und Pullover in allen erdenklichen Farben und Formen, wir möchten so schnell wie möglich von A nach B kommen und so weiter. Was macht Nachhaltigkeit wirklich aus? Ist es notwendig, dass man jedes Jahr zu Weihnachten Unmengen an nutzlosen Sachen verschenkt, nur um anderen Menschen zu zeigen, dass man an sie denkt? Das für den Westen typische Kaufverhalten ist mit einem nachhaltigen Lebensstil einfach nicht kompatibel. Solange wir die Möglichkeiten haben, uns nahezu alles kaufen zu können was uns gefällt, wird sich wenig ändern. Menschen in Entwicklungsländern werden weiterhin leiden müssen, die Wirtschaft wird wachsen und wachsen und die Klimakrise wird weiterhin fortschreiten.

Es liegt an uns welche Wertevorstellung wir vertreten und unseren Kindern weitergeben. Es liegt an uns wie wir unser Leben tatsächlich gestalten und es liegt an uns welchen Preis wir unterm Strich zahlen. Es liegt an jedem Einzelnen von uns!

(von Michaela Rudinger)

Ich habe mich entschlossen auf diesem Blog einen Beitrag zum Thema Klimaschutz zu verfassen, weil ich der Meinung bin, dass dieser Stoff nicht nur so brisant wie noch nie ist, sondern auch mit der Bewegung Fridays for future bereits in unseren Schulen Einzug gehalten hat.  

Die Zukunftsfrage der Gesellschaft wurde auch bereits 2015 von Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si‘ angesprochen. In diesem Schreiben bezieht Papst Franziskus klare und deutliche Position zur rücksichtlosen Ausbeutung der Natur. Unsere Form von Wohlstand auf Kosten von Mensch und Natur ist nicht zukunftsfähig und geht zu Lasten zukünftiger Generationen. Der Papst sieht die dringende Notwendigkeit Umzusteuern und ruft zu einem internationalen Dialog auf.

Die Enzyklika Laudato si‘ ist ein umweltpolitisches Diskussionspapier, dass an Hand von konkreten Punkten den Leser einlädt, nachzudenken wie Nachhaltigkeit in einer Zeit von “ Mehr, mehr, immer mehr“ aussehen kann. 

Es bedarf ein zurücknehmen, ein mit weniger zufrieden zu sein. Laut Papst Franziskus könnte der Glaube die Basis sein, auf der dieses Umdenken gelingen kann. 

Ich lade meine Leser herzlich ein die Enzyklika von Papst Franziskus zu lesen und sich mit der Zukunftsfrage unserer Gesellschaft auseinander zu setzten.

 

Literaturverzeichnis

Papst Franziskus (2015). Enzyklika Laudato si‘ Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Ante-Matiere. 

Als ein Meilenstein wird der neue Familienbonus von der türkis-grünen Regierung angekündigt. Ein Meilenstein ist es auf alle Fälle. Und zwar einer der uns direkt in die falsche Richtung lenkt!

Die Grundidee ist gut. Eine generelle Erhöhung des Familienbonus könnte verhindern, dass in Österreich Kinder in Armut aufwachsen und würde somit für mehr Gleichberechtigung sorgen. Leider hat unsere Regierung ein anderes Bild von Fairness. Der neue Familienbonus sieht nämlich keine Erhöhung der generellen Beihilfe vor, sondern lediglich eine neue Aufteilung, die dem Staat zusätzliches Steuergeld kostet und den Spalt einer Zweiklassengesellschaft noch größer werden lässt.

Verkauft wird uns ÖsterreicherInnen eine Erhöhung des aktuellen Bonus von 1500 Euro auf 2000 Euro. Leider gilt dies nur für jene, die genügend Steuern zahlen. Die höchstmögliche Unterstützung bekommen Familien, die über ein monatliches Mindestbruttoeinkommen von 3000 Euro verfügen. Genau genommen handelt es sich weniger um einen tatsächlichen Bonus für Familien als vielmehr um eine neue Steuerreform. Denn bezahlen beide Elternteile keine Steuern, weil sie beispielsweise auf Arbeitssuche sind, bekommen diese Familien kein Stück des Familienbonuskuchens ab. Keinen Anspruch auf eine Steuergutschrift haben Menschen die zumindest 330 Tage lang Arbeitslosengeld bezogen haben. Mehr als 160 (Szigetvari, 2021).000 Kinder sind laut aktuellen Zahlen davon betroffen.  Diese Familien wurden bei der Erstellung dieser neuen Reform scheinbar vergessen oder beabsichtigt außen vor gelassen. 

Aktuell sind in Österreich rund 350.000 Kinder armutsgefährdet. Laut einer Umfrage der Ärztekammer in den Monaten August und September 2021 sind diese Kinder häufiger krank. Sie sind höheren psychischen Belastungen ausgesetzt, deren Familien können sich gesunde Nahrungsmittel nur schwer leisten und die Kinder erhalten weniger bewegungs- und entwicklungsfördernde Angebote im Kindesalter. Natürlich, Kinder können sehr viel Geld kosten.  Die Corona-Krise hat die Problematik der psychischen Belastung dieser Kinder noch weiter verschärft.
Aber ab wann gilt man in Österreich als armutsgefährdet? Die Schwelle liegt für einen Einpersonenhaushalt bei 1328 Euro pro Monat. Pro Kind ab einem Alter von 14 Jahren erhöht sich dieser Wert um 664 Euro im Monat, ist das Kind jünger erhöht sich der Wert um lediglich 398 Euro.

Immerhin sind es zwei Drittel der Kinder in Österreich, deren Erziehungsberechtigte nicht die höchstmögliche Steuergutschrift erhalten. Bleibt für Familien, die es finanziell ohnehin schon schwer haben, die finanzielle Unterstützung vom Staat Österreich aus bedeutet dies leider auch sehr oft, dass Kinder eine schlechtere Schulbildung haben. Für diese Familien sind Anschaffungen wie neue Laptops für den Schulunterricht, neue Schulutensilien oder Exkursion beziehungsweise Schulausflüge schlichtweg nicht oder nur sehr schwer leistbar. Diese Kosten sind nicht nur für armutsgefährdete Familien ein Problem. Es ist ein Teufelskreis.

Für mich sieht es so aus, als würde die Regierung uns zu verstehen geben wollen, dass ein Kind, dessen Eltern nicht den gewünschten Beitrag leisten, in unserer Gesellschaft weniger Wert ist.

Die Frage ist was mit diesen übrig gebliebenen Kindern geschieht. Trotz viel Recherchearbeit kann ich diese Frage leider nicht beantworten. Sie fallen scheinbar durch das System. Und eine weitere Frage wäre, wie diese Familien und diese Kinder aus diesem Kreislauf wieder rauskommen. Es scheint mir so, als hätte die Regierung diese Menschen schlichtweg nicht berücksichtigt. Das ist ein Problem, welches sich nicht von allein lösen lässt.

Recht auf freie Bildung ist für mich etwas anderes. Das tragische daran ist, dass solche Reformen von einer Politik in die Welt gerufen werden, die von den ÖsterreicherInnen selbst gewählt wurde. Sind solche, als Bonus getarnten Steuerreformen, ein Abbild der in Österreich vorherrschenden Wertevorstellung? Chancengleichheit sieht anders aus. Wir sollten uns alle selbst an der Nase packen und anfangen mehr an das Allgemeinwohl zu denken. Die Kinder von heute bilden unsere Gesellschaft von morgen.

 

Literaturverzeichnis

Szigetvari, A. (20. Oktober 2021). Kinderbonus wird angehoben: Die benachteiligten Kinder. DerStandard. Von https://www.derstandard.at/story/2000130565852/kinderbonus-wird-angehoben-die-benachteiligten-kinder abgerufen

volkshilfe. (23. Oktober 2021). Von https://www.volkshilfe.at/fileadmin/user_upload/Media_Library_Kinderarmut/aerztekammer/2021-10_AErztekammer_.pdf abgerufen

volkshilfe. (23. Oktober 2021). Von https://www.kinderarmut-abschaffen.at/fakten/wer-ist-armutsgefaehrdet/ abgerufen

 

(von Annemarie Schaffer)

Ein wichtiger – wenn nicht der wichtigste – Faktor, der nun seit einigen Jahrzehnten in der westlichen Welt Politik und Gesellschaft prägt, ist die Wirtschaft bzw. das stetige Streben nach Wirtschaftswachstum. Dass davon auch Schul- und Bildungssysteme nicht unberührt bleiben, ist bei der engen Verknüpfung zwischen Schule und Gesellschaft ganz klar.

Was für einen (absurd) dominanten Platz die Wirtschaft und ihr Wachstum in unserer Gesellschaft eingenommen hat, ist mitunter an einer Einschaltung ersichtlich, die u.a. am 24. April 2021 im Lokalteil der Tageszeitung Salzburger Nachrichten im Zuge einer Kampagne einer Salzburger Oppositionspartei abgedruckt wurde. Die Überschrift dieser Einschaltung lautet: „Wirtschaft wieder leben lassen“. Unter dieser wird angeführt, dass laut einer Umfrage im November 2020 mehr als die Hälfte der gefragten Personen die Maßnahmen der Regierung und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen für das Schlimmste an der Covid-19 Pandemie erachteten. Darauffolgend heißt es weiter, dass das der stärkste Wirtschaftseinbruch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sei. Abgeschlossen wird die Einschaltung mit der fettgedruckten Frage „Ist es das wirklich wert?“. Meine Antwort darauf: Ja, ist es! Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Covid-19 Virus haben der Form von Wirtschaft, wie sie in der westlichen Welt betrieben wird, bestimmt geschadet, aber immerhin dienten sie (und dienen immer noch) dazu Menschenleben zu retten. Denn im Unterschied zur Wirtschaft – auch wenn die oben zitierte Überschrift Gegenteiliges suggerieren mag – leben Menschen tatsächlich und können infolgedessen ihr Leben durch Krankheiten wie die, die vom Covid-19 Virus ausgelöst wird, verlieren. Dass ein Rückgang der Wirtschaftsleistung das Leben der Menschen derartig negativ beeinflussen kann, zeigt uns weniger, was uns diese Einschaltung weismachen wollen zu scheint, nämlich wie schlecht die Maßnahmen gegen die Pandemie waren, sondern, dass der Wirtschaft in unserer Gesellschaft wesentlich mehr Platz und Bedeutung beigemessen wird, als es gesund für uns ist.

Ähnliches stellt auch Maja Göpel in ihrem 2020 erschienenen Buch Unsere Welt neu denken fest, wenn sie schreibt, dass sich „[n]icht nur in den sozialen Medien – aber nirgends besser als da – […] sehen [lässt], wie die Idee des Verkaufens und des Wettbewerbs in Lebensbereiche vorgedrungen ist, in denen das Gesetz von Angebot und Nachfrage zuvor intrinsischen Werten nachgelagert war.“ (Göpel 2020, 69) Dabei bezieht sie sich darauf, dass es mittlerweile Menschen geben soll, deren „Gefühl für die eigene Existenz und Präsenz“ (Göpel 2020, 69) an der Anzahl ihrer „Follower[], Likes und Freundschaftsanfragen“ (Göpel 2020, 69) hängt. Dass das für die menschliche Psyche nicht gesund sein kann, scheint mir mehr als einleuchtend zu sein. Der Mensch in der heutigen Gesellschaft aber hat sich dem herrschenden Wirtschaftssystem dermaßen unterworfen, dass man es nicht einmal als sehr übertrieben empfinden kann, wenn Göpel schreibt: „Wir sind […] alle Humankapital und müssen darauf achten, unseren Marktwert zu steigern.“ (Göpel 2020, 69) Jetzt mag man einwenden, dass das oben zitierte Beispiel Göpels ja nur für die Welt von Social Media relevant sei, aber dagegen kann mit Göpel angeführt werden, „dass das ökonomische Denken in Lebensbereiche eingewandert ist, die ursprünglich nichts mit Wirtschaft zu tun hatten. Die Fürsorge für andere Menschen, kranke, alte und Kinder, ist in diese Logik genauso eingespannt worden wie die Ausbildung, die Partnerwahl oder der eigene Körper.“  (Göpel 2020, 68)

Diese Lebensbereiche sind absolut in der realen Welt zu verorten und ihre Unterordnung unter wirtschaftliche Prinzipien führt – um Göpels Beispiel der Ausbildung herauszugreifen – zu Phänomenen wie der in einem früheren Beitrag behandelten Selektion von Schüler*innen nach Schulnoten, damit man sie als Erwachsene wirtschaftlich möglichst sinnvoll in einem Beruf(sfeld) zuordnen kann. Das heißt dann, dass Wohlergehen der Menschen ihrem eigenen wirtschaftlichen Wert untergeordnet werden. So sollte eine Gesellschaft, die aus Menschen besteht, eigentlich nicht funktionieren wollen.

Da regt es zum Nachdenken an und lässt einen auch hoffen, wenn man im Wirtschaftsteil der Salzburger Nachrichten vom 26. Mai 2020 folgende Schlagzeile liest: „Im fairen Handel gab es keine Coronakrise – im Gegenteil“ (Kretzl 2021). Dass ausgerechnet ein Wirtschaftszweig, der nicht nur auf Profit aus ist, sondern dabei auch auf das Wohl der Menschen achtet, in einer Zeit, in der so viele andere Branchen Verluste erleiden mussten, seinen Umsatz steigern konnte, sollte uns, nicht nur als angehende Lehrkräfte, sondern auch als Mitglieder unserer Gesellschaft dazu ermutigen fair zu handeln.   

(von Annemarie Schaffer)

Während der erste Teil dieses Beitrags den Fokus mehr auf einen möglichen praktischen Umgang mit dem Thema in Unterricht und Schule gerichtet hat, soll nun die historische Entwicklung vom Umgang mit sprachlicher Heterogenität in der Schule und auch die der dazugehörenden Forschung beleuchtet werden. Außerdem soll auch ein Blick darauf geworfen werden, inwiefern österreichische Lösungen dem aktuellen Stand ent- bzw. widersprechen. Die Grundlage dafür bietet Heidi Röschs Deutschunterricht in der Migrationsgesellschaft. Eine Einführung, erschienen 2017 im Metzler-Verlag.

Rösch stellt in ihrem Kapitel über Bildungskonzepte in der Migrationsgesellschaft (137ff.) die Entwicklung der durch die „Anwerbung sogenannter Gastarbeiter in die Bundesrepublik Deutschland (1955-1973)“ notwendig gewordenen „pädagogische[n] Konzepte zum Umgang mit den veränderten Gruppenkonstellationen in Bildungseinrichtungen“ zunächst verkürzt und überblickshaft folgendermaßen dar: „von der Ausländerpädagogik (in den 1980er Jahren) über die interkulturelle Pädagogik (in den 1990er Jahren) zur Migrationspädagogik (seit 2004)“. Diese Entwicklung ist angetrieben durch die Kritik, die an den einzelnen Konzepten laut wurde und durch einen stetigen Wechsel zwischen „Mehrheitsperspektive“ und „Minderheitenperspektive“. Konkret bedeutet das, dass – nachdem vonseiten der Minderheitenperspektive aufgrund der Defizitorientierung der Ausländerpädagogik Kritik laut wurde – fast zeitgleich das Konzept der Minderheitenpädagogik entwickelt wurde, das einen ressourcenorientierten Ansatz verfolgte. Der Fokus lag dabei statt auf der Deutschförderung eher auf dem Recht auf Muttersprachenunterricht. Während aber gegenüber dem Ziel der Ausländerpädagogik (Integration) die Befürchtung bestand, dass es zur Assimilation der Minderheit an die Mehrheitsgesellschaft führen könnte, musste sich die Minderheitenpädagogik mit ihrem Emanzipationsgedanken der Kritik der möglichen Segregation stellen. Auch auf der Seite der Mehrheitsperspektive entwickelte sich als Reaktion auf die Ausländerpädagogik ein Gegenkonzept: Mit der interkulturellen Pädagogik verfolgte man einen Ansatz, der sich nun hauptsächlich auf die gesellschaftliche Mehrheit der Einheimischen als Zielgruppe fokussierte. Ziel dieses neuen Konzepts war es, durch „Begegnung zwischen Einheimischen und Eingewanderten […] Empathie vor allem von den Einheimischen für die Eingewanderten“ zu erzeugen. Aber auch hier ließ Kritik nicht lange auf sich warten. Denn „[v]or allem auf Grundlage eines statischen Kulturbegriffs entstanden zwei sich gegenüberstehende Kulturen, was die Kulturalisierung der Eingewanderten befördert und sie zu Anderen macht.“ Der Differenzorientierung der interkulturellen Pädagogik stellte die antirassistische Pädagogik ihre Diskriminierungsorientierung entgegen. Dabei ging es der Kritik zufolge aber teilweise zu sehr um die Fokussierung „individuelle[r] (statt strukturelle[r]) (Alltags-) Rassismen“, was zu einer pauschalen Einordnung der Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft als rassistische Täter*innen „und der Minderheitenangehörigen als Opfer von Rassismus“ und damit zur Verstärkung der „Wahrnehmung von Differenzen“ führen könnte. Um dem entgegenzuwirken, wird auch heute noch versucht, „einen konstruktiven Umgang mit Differenzlinien zu entwickeln, der über Zuschreibungen hinausgeht, Mehrfachzugehörigkeiten bewusst macht und die dahinterstehenden Konstruktionen und Auswirkungen reflektiert.“ Anfang der 1990er entwickelte die Erziehungswissenschafterin Annedore Prengel die Pädagogik der Vielfalt. Dabei geht es ihr darum, die „bestmögliche[] Bildung für jedes Individuum“ zu ermöglichen und „eine[] egalitäre Differenz in einer demokratischen Gesellschaft“ zu entwickeln. Unterschiede – sei es im Geschlecht oder in der (kulturellen) Herkunft – sollen darin „nicht als Defizit oder Bedrohung, sondern als Bereicherung wahr[genommen werden]“. Allerdings ergab sich hier – wohl aufgrund der Tatsache, dass dieses Konzept aus der Mehrheitsperspektive gedacht wird – das Problem, „dass die Umsetzung in eine ›Multi-Kulti-Idylle‹ mit kulturalistischen Zuschreibungen mündete.“  Paul Mecherils in den frühen 2000ern entwickelte Migrationspädagogik darf nicht als eine Migrant/innen-Pädagogik missverstanden werden und muss von einer solchen scharf abgegrenzt werden. Denn bei seinem Konzept handelt es sich nicht um eine Zielgruppenpädagogik, sondern sein Fokus liegt auf der „Beschreibung und Analyse der dominanten Schemata und Praxen der Unterscheidung zwischen natio-ethno-kulturellem ‚Wir‘ und ‚NichtWir‘ und zielt auf die Stärkung und Ausweitung der Möglichkeiten der Verflüssigung und Versetzung dieser Schemata und Praxen.“ Damit funktioniert seine Argumentation im Vergleich zu Prengels Pädagogik der Vielfalt eher auf struktureller Ebene, „stellt einem additiven Verständnis von Diversität die integrative Reflexion von Differenzordnungen gegenüber“ und rückt damit Intersektionalität statt Diversität zum Mittelpunkt seiner Betrachtungen und seines Konzepts. Allerdings läge dabei seinen Kritikern zufolge der Schwerpunkt zu sehr auf dem Bereich der Migration, wodurch „andere Gesellschaftsbereiche oder          -konzepte aus[ge]klammert“ würden. Dieser Kritik sieht sich Cristina Allemann-Ghionda mit ihrem Konzept der Bildung für alle nicht ausgesetzt. Denn bei allen Gemeinsamkeiten, die ihre Pädagogik mit der Mecherils aufweist, verzichtet sie aber auf jegliche Schwerpunktsetzung und schaff es damit, dass sich in ihrem Konzept „die an der Mehrheits- und Minderheitenperspektive orientierenden Argumentationsmuster […] treffen.“ Als kleinen Kritikpunkt merkt Rösch dazu an, dass – auch wenn dieser Ansatz „längerfristig sicher zielführend(er)“ sei – darin die Gefahr läge, „dass die Spezifik der Migrationssituation aus dem Blick gerät und sich dominanzkulturelle Perspektiven jenseits der Differenzlinie Migration in den Vordergrund schieben.“

Bei Betrachtung dieser Vielfalt von Konzepten fällt auf, dass Einigkeit nur darin besteht, dass auch die Pädagogik auf die durch das Migrationsgeschehen veränderte und sich immer weiter verändernde Gesellschaft reagieren muss. Dazu, in welcher Weise das aber am besten geschehe sollte, gibt es viele, sich zum Teil widersprechende Ideen. Bei jedem der oben vorgestellten Konzepte lässt sich – wie es Rösch deutlich darstellt – bei genauerem Hinschauen der eine oder andere Kritikpunkt finden. Bei aller Uneinigkeit aber haben diese theoretischen Konzepte das gemeinsame praktische Ziel, in einer (sprachlich) heterogenen Gesellschaft einen gerechten Zugang zu (institutioneller) Bildung für alle Mitglieder dieser Gesellschaft zu ermöglichen. Dass ein solcher – nicht nur, aber insbesondere auch – für Personen mit einer Migrationsgeschichte oft nicht gegeben ist, und welche Maßnahmen diesbezüglich unternommen werden (können oder sollten), stellt Rösch in den Unterkapiteln 4.4 Differenzlinie Sprache (198ff.) und 4.5 Sprachliche Bildungsangebote (202ff.) ihres Buches dar:  

Ein Phänomen, mit dem sich vor allem Menschen mit einer gesellschaftlich weniger anerkannten Erstsprache häufig konfrontiert sehen, ist der Linguizismus. Diese „Diskriminierung der Sprachen eingewanderter oder autochthoner Minderheiten und ihrer Sprecher/innen“ lässt sich speziell im Bildungsbereich daran beobachten, „dass Migrationssprachen keinen Einzug in Bildungseinrichtungen finden oder dort verboten werden, dass ihre Sprecher/innen auf ihre Kompetenz in der Amtssprache reduziert werden und ihre Zwei- oder Mehrsprachigkeit nicht wahrgenommen wird.“ Als konkretes Beispiel dafür muss man sich nur in Erinnerung rufen, wie in den vergangenen Jahren in Österreich (und auch in Deutschland) immer wieder der Ruf nach einem Deutschgebot auf den Schulhöfen laut wurde. Dieses höchst umstrittene angestrebte de-facto-Verbot der eigenen Muttersprache ist etwas, womit sich Schüler*innen mit Migrationshintergrund immer wieder von Neuem konfrontiert sehen. Das zeigt auch eine schnelle online-Suche zum Thema, bei der sich mitunter zwei Artikel der Tageszeitung der Standard aus den Jahren 2011 und 2016, ein Artikel der Tageszeitung Die Presse aus dem Jahr 2018 und einer der Zeitschrift Focus ebenfalls aus dem Jahr 2016 finden lassen. Zwar widerspricht ein allgemeines Deutschgebot, wie es beispielsweise die schwarz-blaue Regierung Oberösterreichs angestrebt hat, auch einem Gutachten, das – wie es der oben erwähnte Presse-Artikel berichtet – bereits 2015 „vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes erstellt“ wurde, aber das hält Verfechter dieser Maßnahme genauso wenig davon ab, sie immer wieder durchzusetzen zu versuchen, wie zahlreiche widersprechende Expertenmeinungen. Dabei lässt ein Blick in die europäische Geschichte schnell Zweifel daran aufkommen, ob ein Sprachverbot das Ziel, das Befürworter*innen eines solchen verfolgen, überhaupt unterstützt. Denn angenommen, dass die Forderung nach einem Deutschgebot auf Schulhöfen tatsächlich dem Wunsch entspringt, dass mehr und besser (vielleicht sogar auch lieber) Deutsch gesprochen wird, sollte man sich die Frage stellen, ob Verbote jemals dazu führen können, dass das, was verboten wird an Attraktivität verliert bzw., ob etwas, das den Menschen aufgezwungen wird, jemals positiv konnotiert sein kann. Das konkrete Beispiel des Katalanisch-Verbots während der Franco-Diktatur in Spanien, das Anita Malli unter anderem in ihrem Beitrag im Standard anführt, lässt Gegenteiliges vermuten: So berichtet Malli, dass es auch Jahrzehnte nach dem Ende der Diktatur immer noch Katalan*innen gäbe, die „das Spanische emotional [ablehnen]“. Ist es das, was wir uns für unsere Schüler*innen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch wünschen? Wohl eher nicht, denn erfolgreiche Integration sollte anders aussehen.

Wie konstruktive und wertschätzende Unterstützung von Schüler*innen, die Deutsch ‚nur‘ als Zweitsprache haben, aussehen kann oder sollte, legt auch Heidi Rösch dar. Zunächst aber zeigt sie anhand von Anette Müllers Modell, in welchen Dimensionen sich die „Differenzlinie Sprache“ offenbaren kann, und auf welche Weise sie in den Schul- und Unterrichtsalltag hineinspielen können. Dafür analysiert sie ein Fallbeispiel, indem sie „die vier von [Müller] genannten Dimensionen auf die Differenzlinie Sprache/n an[]wendet“: Im Beispiel geht es um eine Grundschülerin türkischer Herkunft, der als Reaktion auf einige Fehler in einem Aufsatz von einem ihrer Mitschüler schlechtere Deutschkenntnisse attestiert werden. Die Begründung, die er dafür gleich mitliefert, ist, dass sie „zuhause Türkisch sprich[]t“. Nachdem das Mädchen sich verteidigt, dass sie zuhause Deutsch spreche, greift die Lehrkraft ein und weist darauf hin, dass es ganz natürlich sei, dass das Mädchen, dadurch, dass sie zweisprachig ist, mehr Fehler macht als ihr vermeintlich einsprachiger Mitschüler. Außerdem weist sie wertschätzend darauf hin, dass der Aufsatz dafür inhaltlich sehr gut sei. Allerdings erweist sich die Zuschreibung der Lehrkraft, dass der Junge einsprachig sei, später als falsch, da sich im Gespräch mit der Mutter herausstellt, dass er zweisprachig (Deutsch/Russisch) aufwächst, was ihm allerdings unangenehm ist, da er Einsprachigkeit für besser erachtet als Zweisprachigkeit. Bezüglich Müllers verinnerlichter Dimension merkt Rösch an,

             dass auch im Blick auf Mehrsprachigkeit Offenheit gegenüber dem Selbstverständnis und Multiperspektivität hinsichtlich unterschiedlicher Identitätskonzepte zu gewährleisten ist. Manche empfinden die Fokussierung auf Zwei- oder Mehrsprachigkeit – aus welchen Gründen auch immer – als Zuschreibung, die nicht mit ihrer Selbstwahrnehmung übereinstimmt, andere erkennen darin eine hohe Wertschätzung.       

Die beiden Kinder aus dem Beispiel stehen (ihrer jeweiligen) Mehrsprachigkeit negativ gegenüber, was Rösch mitunter darin begründet sieht, dass sie „keine positiven Erfahrungen mit Zweisprachigkeit gemacht haben, vielleicht keine zweisprachigen Identifikationsfiguren kennen und deshalb bislang auch keine positiv besetzte zweisprachige Identität ausbilden (konnten).“ Hier würde sich die Schule als möglicher Raum für positive Erfahrungen anbieten. Wenn nämlich bezüglich Müllers interaktionaler Dimension nicht nur – wie es im Zuge eines klärenden Gesprächs in Röschs Fallbeispiel geschehen ist – die „Einstellung zu Mehrsprachigkeit“ in Schule und Unterricht in den Blick genommen, sondern auch die DaZ (=Deutsch als Zweitsprache)-Perspektive miteinbezogen wird, ergibt sich die Situation, dass DaZ-Lernende nicht mehr „mit den Maßstäben für Deutsch-als-Erstsprache-Lernende gemessen werden und deshalb benachteiligt sind.“ Das kann beispielsweise geschehen indem „man den Fokus […] auf einen DaZ-spezifischen Sprachgebrauch im Umgang mit ‚kleinen Wörtern‘ (Proformen), Vergangenheitsformen, der Verbklammer oder ähnlichem [legt]“, wodurch „den Schüler/innen ihr DaZ-Lernstand bewusst [würde] und sie […] Anregungen zum Weiterlernen [erhielten].“ Dagegen „[verfestigt die] Nicht-Thematisierung dieses im Bildungssystem hochrelevanten Lernbereichs […] die negative Sicht auf DaZ-Lernende, statt ihre besonderen Sprachlernleistungen sichtbar zu machen.“ Im Bezug auf Müllers epistemische Dimension merkt Rösch an, dass es wichtig sei,

die Diskurse um sprachliche Bildung [nicht] als Kontroverse zwischen DaZ und Mehrsprachigkeit zu führen. Denn es handelt sich um unterschiedliche, aber keine gegensätzlichen Zugänge zur sprachlichen Bildung in der Migrationsgesellschaft. Die Vorstellung, DaZ könne durch ein mehrsprachiges Konzept ersetzt werden, erscheint unsinnig, da niemand die Sprachkompetenz in der zweiten durch den Gebrauch seiner ersten entwickeln kann. Gleichzeitig ersetzen DaZ-Angebote aber auch den konstruktiven Umgang mit lebensweltlicher Mehrsprachigkeit in keiner Weise.

Müllers institutionell Dimension bespricht Rösch zunächst kurz konkret mit Bezug auf ihr Fallbeispiel: Hier „wäre der nächste Schritt gewesen, die DaZ-Perspektive im Unterricht systematisch zu verankern, mit allen Schüler/innen über Mehrsprachigkeit zu sprechen und mit ihnen gemeinsame Strategien zu entwickeln, ihre und die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit in der Schule sichtbar zu machen.“ Ausführlicher behandelt sie sie im oben bereits erwähnten Unterkapitel 4.4 Sprachliche Bildungsangebote. Darin stellt sie ein-/ und zweisprachige Bildungsangebote vor, beschreibt (inklusive konkreter Vorschläge zur Anwendung in den verschiedenen Unterrichtsgegenständen) das Prinzip der Language Awareness, dessen Ziel es ist „Akzeptanz der Migrationssprachen“ und „Offenheit für Mehrsprachigkeit“ herzustellen, als Mittel zwischen den beiden ersteren und spricht mit dem 2011 vom ÖSZ (=Österreichisches Sprachkompetenz-Zentrum) herausgegebenen Curriculum Mehrsprachigkeit auch die Ebene der sprachlichen Bildung für Lehrer*innen aller Unterrichtsfächer an. Dass dieses Thema mittlerweile immerhin Eingang in die pädagogische Ausbildung findet, lässt hoffen, dass sich mit der Zeit auch der Alltag an Österreichs Schulen diesbezüglich ändert, sodass nicht Sprachverbote, sondern Sprachbewusstheit ihn prägen und Schüler*innen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch gleichzeitig Unterstützung beim (Deutsch-)Lernen und Wertschätzung gegenüber ihrer Mehrsprachigkeit erfahren.  

 

 

 

Eine Reaktion auf den Text von Stojanov K.

Das Thema Leistungsbeurteilung und die damit eingeschlossene Leistungsfeststellung sind immer wieder Grundlage für hitzige Diskussionen. Das aktuellste Beispiel dafür ist die durch wiederkehrende Aufschreie vor allem durch die vorherrschenden Corona-Bedingungen geänderte zentrale Reifeprüfung. Damit wurde die Matura von einer Leistungsfeststellung zu einer Leistungsbeurteilung umgewandelt, weil nun auch die Noten der letzten Schulstufe zur Bestimmung der Reife hinzugezogen werden. Es stellt sich aber sowohl bei der Leistungsbeurteilung jeder Schulstufe also auch bei der zentralen Reifeprüfung die Frage, ist das alles fair?

Die Leistungsfeststellung hält den aktuellen Leistungsstand fest, während in die Leistungsbeurteilung die Leistungen eines bestimmten Zeitraums einfließen. Laut Jürgens und Lissmann (2015) erfüllt die Leistungsbeurteilung fünf Funktion: die Selektionsfunktion, die Qualifikationsfunktion, die Informationsfunktion, die Anreiz- und Sanktionsfunktion und die Entwicklungsfunktion. Alleine diese recht verschiedenen Bereiche zeigen bereits, was die Leistungsbeurteilung im Grunde mit einer Note am Semesterende oder am Jahresende aussagen sollte. Dabei könnten gewisse Funktionen ohne Probleme gemeinsam in der Leistungsbeurteilung berücksichtig werden – die Selektionsfunktion und die Qualifikationsfunktion oder die Anreiz- und Sanktionsfunktion und die Entwicklungsfunktion – aber es gibt auch sich gegenseitig ausschließende Funktionen. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler durch das Abschneiden in standardisierten Schularbeiten die Note „Befriedigend“ verdient hätte, aber für die persönliche Entwicklung die Note „Gut“ besser wäre, würden somit die Selektionsfunktion und die Entwicklungsfunktion im Gegensatz zueinanderstehen. Wenn man nun im Sinne einer fairen Leistungsbeurteilung handeln würde, würde man eine schlechtere Note hergeben, aber womöglich gleichzeitig die persönliche Entwicklung und Motivation der Schülerin oder des Schülers nicht fördern. Sollte die Selektion aufgrund von objektiven Kriterien erfolgen, kann laut Fendt von einer fairen Leistungsbeurteilung gesprochen werden.

Ein weiterer Aspekt der Leistungsbeurteilung ist die Leistungsbewertung, die auf einer von drei verschiedenen Bezugsnormen erfolgen kann. Die sachliche Bezugsnorm bezieht sich auf das Erreichen oder Nicht Erreichen von im Vorhinein festgelegten Zielen. Somit erhalten die Schülerinnen und Schüler bei der Beurteilung Aufschluss über den Leistungstand ihres Fachwissens. Die soziale Bezugsnorm bezieht sich auf einen Vergleich innerhalb einer bestimmten Gruppe – zum Beispiel eine Schule oder eine Klasse – und somit wird eine Reihenfolge innerhalb dieser Gruppe vollzogen. Da sich aber die Bewertung eines Individuums bei der Veränderung der Gruppe ebenfalls ändert, kann nur von einer relativen Sicht auf den Leistungsstand gesprochen werden. Die individuelle Bezugsnorm orientiert sich hingegen an vorhergegangenen Leistungen eines Individuums. Für die Bewertung und Beurteilung ist die Leistungssteigerung von zentraler Bedeutung, wobei kein Schluss auf die Leistungen anderer Schülerinnen und Schüler gezogen wird. Der individuellen Bezugsnorm wird auch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Leistungsmotivation zugeschrieben, da sie die Lernfortschritte eines Individuums aufzeigen kann und nicht die Leistung an sich bewertet. Beim Betrachten der Bezugsnormen wird das Dilemma der Funktionen der Leistungsbeurteilung erneut sichtbar. Bei der sachlichen Bezugsnorm kann von Objektivität gesprochen werden und damit wäre diese laut Fendt für eine faire Leistungsbeurteilung vonnöten aber geht nicht auf die Entwicklung der Individuen ein.

Zusätzlich zu den Bezugsnormen muss bei der Leistungsbewertung noch entschieden werden, ob eine summative oder eine formative Leistungsbewertung stattfindet. Bei einer summativen Leistungsbewertung wird erst zum Schluss eines Lernprozesses über den Lernfortschritt Resümee gezogen, während bei einer formativen Leistungsbewertung bereits im Lernprozess der Lernfortschritt beobachtet wird und auch angepasst werden kann. Somit wäre eine summative Leistungsbeurteilung fair, aber der Lernprozess, der eine wichtige Rolle für die Entwicklung spielt, wird vernachlässigt.

Wenn man nun die Zusammenfassung wagt und nun versucht eine faire Leistungsbeurteilung zu beschreiben, kommt man auf die Begriffe Objektivität und Fachwissen, was in der Selektionsfunktion, der sachliche Bezugsnorm und der summative Leistungsbewertung zu finden ist. Damit hätte man es auch geschafft, wenn die Schule nicht für etwas anderes stehen würde. Diese Begriffe stehen dem entgegen, was die Leistungsbeurteilung eigentlich darstellen sollte, nämlich Rückmeldung über den Lernfortschritt zu geben und das auf einer individuellen Ebene. Dadurch würden die Schülerinnen und Schüler ihre Stärken und Schwächen erkennen und können daraufhin ausreichend individuell gefördert werden. Das würde auch dazu beitragen, dass man junge Menschen bildet und ausbildet, die wissen, was sie kennen und können, und somit leichter ihren Platz in der Gesellschaft finden. Natürlich hat auch die sogenannte faire Leistungsbeurteilung ihren Stellenwert – zum Beispiel in diversen Studien – aber für die persönliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler wäre eine nicht faire Leistungsbeurteilung meiner Meinung nach besser. Aber es sollte sich jede Lehrperson selbst die Frage stellen, ob man die Schülerinnen und Schüler aufgrund von Objektivität und Wissen beurteilen möchte, womit man die Leistungen vergleichbar machen würde, oder eher den Lernprozess für die Leistungsbeurteilung heranzieht, damit man die persönliche Entwicklung fördern kann.

 

Jürgens, E., & Lissmann, U. (2015). Pädagogische Diagnostik. Grundlagen und Methoden zur Leistungsbeurteilung in der Schule. Weinheim: Beltz.

Nerdel, C. (2017). Grundlagen der Naturwissenschaftsdidaktik. Kompetenzorientiert und aufgabenbasiert für die Schule und Hochschule. Berlin: Springer.

Saalfrank, W., & Kollmannsberger, M. (2017). Praxisleitfaden Lehrerhandeln. Unterrichten, Erziehen, Beraten, Leistungen beurteilen. Weinheim: Beltz.

Schlag, B. (2013). Lern- und Leistungsmotivation (4. Auflage). Wiesbaden: Springer.

Stern, T. (Hrsg.). (2010). Förderliche Leistungsbewertung (2. Auflage). Wien: Amedia.

Schule als Spiegel der Gesellschaft

„Die vernünftigen Menschen passen sich der Welt an, die unvernünftigen versuchen, sie zu verändern. Deshalb hängt der Fortschritt von den Unvernünftigen ab.“
George Bernhard Shaw

Verfasserin: Anna Untersberger

Der Autor dieses wunderbar treffenden Zitates hat zwar in keinster Weise etwas mit dem System Schule zu tun, trotzdem verbinde ich dieses Zitat mit einem tief verankerten Problem unserer Gesellschaft, das sich folgenschwer in der Institution Schule äußert.
Worum handelt es sich aber bei diesem tief verankerten Problem das ich anspreche? Unsere Gesellschaft ist weitgehend charakterisiert durch normatives denken. „Das ist normal“, „so soll es gemacht werden“, oder „um dazuzugehören musst du dich so verhalten“. Das alles sind Ausdrücke schulischer Realität, mit denen SchülerInnen in der Schule entweder explizit oder implizit konfrontiert werden. Es widerspiegelt eine Mentalität des „sich fügen müssen“, welcher die SchülerInnen unterworfen werden. Wo bleibt da noch Raum um seine Individualität auszuleben, um Diversität zuzulassen?
In der Coronazeit, im vergangenen Jahr habe ich mir jede Menge Vorträge, Interviews und Debatten von Menschen angehört, deren Lebenslauf und Tun mich besonders interessieren, die in ihrem Leben selbstbestimmt vorangeschritten sind und damit andere Menschen erreicht oder inspiriert haben. Dabei bin ich immer hellhöriger geworden wenn sie von ihrer Kindheit und Jugendzeit berichteten. Mit vereinzelten Ausnahmen erzählten die meisten, dass sie nie wirklich ins System Schule gepasst haben, dass sie sich eingeengt gefühlt haben und als „hoffnungslose Fälle“ abgetan worden sind. Doch ganz offensichtlich waren sie es nicht.
Müssten wir uns an diesem Punkt nicht eingestehen, dass es da einen groben Fehler im derzeitigen Schulsystem gibt? Dass wir den von gesellschaftlichen Normen bestimmten schulischen Raum erweitern müssen, um allen SchülerInnen eine Möglichkeit zu geben sich individuell bestmöglich entfalten zu können?
Leichter gesagt als getan. Denn wie ich zu Beginn schon erwähnt habe, haben wir es hier in erster Linie mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem zu tun, das sich auf die Schule abfärbt, denn starre Normvorstellungen gibt es nicht nur in der Schule sondern auf der ganzen Welt. Ganz nach dem Motto „Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft“. Um überhaupt den Schritt der strukturellen Umgestaltung hin zu einer diversitätsfähigen schulischen Umgebung machen zu können benötigt es also in erster Instanz gesellschaftliches Bewusstsein über diese Problematik und den Willen zur Veränderung.
Um noch einmal zurück zu kommen auf das obig angeführte Zitat: „Unvernunft“ wird in der breiten Masse überwiegend negativ konnotiert. Vor allem im Leben von Jugendlichen ist Unvernunft aber etwas ganz normales. Jugendliche wollen sich ausprobieren, ihre Grenzen austesten, Regeln brechen, Erfahrungen machen, das ist natürlich. Unnatürlich ist das Verhalten, das in den Schulen von den SchülerInnen verlangt wird. Sie sollen still sitzen, leise sein, brav sein, sich anpassen. Anstatt diejenigen als ProblemschülerInnen abzutun ist es meiner Meinung nach an der Zeit, das Potential von SchülerInnen zu erkennen, die sich nicht einem vorgegebenen Muster fügen können oder wollen.