image_pdfimage_print

Eine Reaktion auf den Text von Stojanov K.

Das Thema Leistungsbeurteilung und die damit eingeschlossene Leistungsfeststellung sind immer wieder Grundlage für hitzige Diskussionen. Das aktuellste Beispiel dafür ist die durch wiederkehrende Aufschreie vor allem durch die vorherrschenden Corona-Bedingungen geänderte zentrale Reifeprüfung. Damit wurde die Matura von einer Leistungsfeststellung zu einer Leistungsbeurteilung umgewandelt, weil nun auch die Noten der letzten Schulstufe zur Bestimmung der Reife hinzugezogen werden. Es stellt sich aber sowohl bei der Leistungsbeurteilung jeder Schulstufe also auch bei der zentralen Reifeprüfung die Frage, ist das alles fair?

Die Leistungsfeststellung hält den aktuellen Leistungsstand fest, während in die Leistungsbeurteilung die Leistungen eines bestimmten Zeitraums einfließen. Laut Jürgens und Lissmann (2015) erfüllt die Leistungsbeurteilung fünf Funktion: die Selektionsfunktion, die Qualifikationsfunktion, die Informationsfunktion, die Anreiz- und Sanktionsfunktion und die Entwicklungsfunktion. Alleine diese recht verschiedenen Bereiche zeigen bereits, was die Leistungsbeurteilung im Grunde mit einer Note am Semesterende oder am Jahresende aussagen sollte. Dabei könnten gewisse Funktionen ohne Probleme gemeinsam in der Leistungsbeurteilung berücksichtig werden – die Selektionsfunktion und die Qualifikationsfunktion oder die Anreiz- und Sanktionsfunktion und die Entwicklungsfunktion – aber es gibt auch sich gegenseitig ausschließende Funktionen. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler durch das Abschneiden in standardisierten Schularbeiten die Note „Befriedigend“ verdient hätte, aber für die persönliche Entwicklung die Note „Gut“ besser wäre, würden somit die Selektionsfunktion und die Entwicklungsfunktion im Gegensatz zueinanderstehen. Wenn man nun im Sinne einer fairen Leistungsbeurteilung handeln würde, würde man eine schlechtere Note hergeben, aber womöglich gleichzeitig die persönliche Entwicklung und Motivation der Schülerin oder des Schülers nicht fördern. Sollte die Selektion aufgrund von objektiven Kriterien erfolgen, kann laut Fendt von einer fairen Leistungsbeurteilung gesprochen werden.

Ein weiterer Aspekt der Leistungsbeurteilung ist die Leistungsbewertung, die auf einer von drei verschiedenen Bezugsnormen erfolgen kann. Die sachliche Bezugsnorm bezieht sich auf das Erreichen oder Nicht Erreichen von im Vorhinein festgelegten Zielen. Somit erhalten die Schülerinnen und Schüler bei der Beurteilung Aufschluss über den Leistungstand ihres Fachwissens. Die soziale Bezugsnorm bezieht sich auf einen Vergleich innerhalb einer bestimmten Gruppe – zum Beispiel eine Schule oder eine Klasse – und somit wird eine Reihenfolge innerhalb dieser Gruppe vollzogen. Da sich aber die Bewertung eines Individuums bei der Veränderung der Gruppe ebenfalls ändert, kann nur von einer relativen Sicht auf den Leistungsstand gesprochen werden. Die individuelle Bezugsnorm orientiert sich hingegen an vorhergegangenen Leistungen eines Individuums. Für die Bewertung und Beurteilung ist die Leistungssteigerung von zentraler Bedeutung, wobei kein Schluss auf die Leistungen anderer Schülerinnen und Schüler gezogen wird. Der individuellen Bezugsnorm wird auch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Leistungsmotivation zugeschrieben, da sie die Lernfortschritte eines Individuums aufzeigen kann und nicht die Leistung an sich bewertet. Beim Betrachten der Bezugsnormen wird das Dilemma der Funktionen der Leistungsbeurteilung erneut sichtbar. Bei der sachlichen Bezugsnorm kann von Objektivität gesprochen werden und damit wäre diese laut Fendt für eine faire Leistungsbeurteilung vonnöten aber geht nicht auf die Entwicklung der Individuen ein.

Zusätzlich zu den Bezugsnormen muss bei der Leistungsbewertung noch entschieden werden, ob eine summative oder eine formative Leistungsbewertung stattfindet. Bei einer summativen Leistungsbewertung wird erst zum Schluss eines Lernprozesses über den Lernfortschritt Resümee gezogen, während bei einer formativen Leistungsbewertung bereits im Lernprozess der Lernfortschritt beobachtet wird und auch angepasst werden kann. Somit wäre eine summative Leistungsbeurteilung fair, aber der Lernprozess, der eine wichtige Rolle für die Entwicklung spielt, wird vernachlässigt.

Wenn man nun die Zusammenfassung wagt und nun versucht eine faire Leistungsbeurteilung zu beschreiben, kommt man auf die Begriffe Objektivität und Fachwissen, was in der Selektionsfunktion, der sachliche Bezugsnorm und der summative Leistungsbewertung zu finden ist. Damit hätte man es auch geschafft, wenn die Schule nicht für etwas anderes stehen würde. Diese Begriffe stehen dem entgegen, was die Leistungsbeurteilung eigentlich darstellen sollte, nämlich Rückmeldung über den Lernfortschritt zu geben und das auf einer individuellen Ebene. Dadurch würden die Schülerinnen und Schüler ihre Stärken und Schwächen erkennen und können daraufhin ausreichend individuell gefördert werden. Das würde auch dazu beitragen, dass man junge Menschen bildet und ausbildet, die wissen, was sie kennen und können, und somit leichter ihren Platz in der Gesellschaft finden. Natürlich hat auch die sogenannte faire Leistungsbeurteilung ihren Stellenwert – zum Beispiel in diversen Studien – aber für die persönliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler wäre eine nicht faire Leistungsbeurteilung meiner Meinung nach besser. Aber es sollte sich jede Lehrperson selbst die Frage stellen, ob man die Schülerinnen und Schüler aufgrund von Objektivität und Wissen beurteilen möchte, womit man die Leistungen vergleichbar machen würde, oder eher den Lernprozess für die Leistungsbeurteilung heranzieht, damit man die persönliche Entwicklung fördern kann.

 

Jürgens, E., & Lissmann, U. (2015). Pädagogische Diagnostik. Grundlagen und Methoden zur Leistungsbeurteilung in der Schule. Weinheim: Beltz.

Nerdel, C. (2017). Grundlagen der Naturwissenschaftsdidaktik. Kompetenzorientiert und aufgabenbasiert für die Schule und Hochschule. Berlin: Springer.

Saalfrank, W., & Kollmannsberger, M. (2017). Praxisleitfaden Lehrerhandeln. Unterrichten, Erziehen, Beraten, Leistungen beurteilen. Weinheim: Beltz.

Schlag, B. (2013). Lern- und Leistungsmotivation (4. Auflage). Wiesbaden: Springer.

Stern, T. (Hrsg.). (2010). Förderliche Leistungsbewertung (2. Auflage). Wien: Amedia.

Seitdem Maria Theresia im Jahr 1770 das Schulwesen per Dekret zum dauerhaften Bestand in der Politik gemacht hatte, hat sich im Bildungssystem Österreichs bei oberflächlicher Betrachtung einiges getan. Wirft man aber einen Blick auf die Grundfesten des österreichischen Schulsystems, können noch heute die Ideen, die Organisation und der Einfluss von Maria Theresia und Johann Ignaz Felbiger – ihrem „Bildungsminister“ – betrachtet werden.

Was natürlich sofort ins Auge spring, ist die Schulpflicht ab dem sechsten Lebensjahr. Über die Länge könnte man natürlich diskutieren, da die neunjährige Schulpflicht erst mit der Einführung des Schulorganisationsgesetzes 1962 Einzug hielt, aber schon zur Zeit der Erzherzogin mussten die Kinder in den Trivialschulen sechs Jahre lang einen traditionellen Unterricht besuchen. Diese Trivialschulen lassen sich auch heute noch in Österreich finden, nur unter dem Namen Volks- und Hauptschule oder eher seit den neuesten Umstrukturierungen auch Mittelschulen genannt. Zu den Trivialschulen gab es in den Städten noch die Hauptschulen, welche nicht mit gleichnamigen eben genannten Schulen gleichzusetzen sind. Am ehesten wären diese Einrichtungen für die weitere Bildung mit berufsbildenden höheren Schulen gleichzusetzen, wo die Schülerinnen und Schüler damals wie heute auf gewisse Berufe vorbereitet werden mit einem gewissen Anteil an praxisorientieren Unterricht.

Man möchte aber nicht meinen, dass bei dieser Menge an öffentlichem Schulangebot die privaten von Orden geleiteten Schulen auf der Strecke geblieben sind. Bis heute gibt es eine Vielzahl an kirchlichen Privatschulen, wobei die Kosten für das Lehrpersonal in den Einrichtungen vom Staat getragen werden.

Aber nicht nur die Schulen der Reform von 1774 lassen sich bei näherer Betrachtung im derzeitigem Bildungssystem wiederfinden. Seit damals werden die unzähligen Schulbücher vom Staat zur Verfügung gestellt, damit der Zukunft des Landes auch ja das Richtige beigebracht wird.

Bei all diesen Konstanten im österreichischen Bildungssystem stellt sich aber nun auch die Frage, was sich denn nun groß geändert habe. Eines wird sich jedenfalls seit dem Jahr 1770 nicht ändern: die ständige Frage jeder neuen Regierung, wie man denn das System Schule „besser machen“ könnte. An dieser Frage hat sich aber schon so manche Partei und auch so manche Bildungsministerin und so mancher Bildungsminister die Zähne ausgebissen. Das war aber vielleicht schon Maria Theresia klar.