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Lernen im „Verblendungszusammenhang“

   „Warum muss ich das lernen? Das bringt mir doch nichts!“ Ein Satz, welcher sich in Schulen und nicht nur dort, wohl des Öfteren wahrnehmen lässt. Lernen muss mir etwas bringen, die Lehrinhalte müssen so beschaffen sein, dass sie praktisch auch von Nutzen sein können und einen Gewinn für mich darstellen. Der kritisch geschulte Geist spitzt bei diesen Worten seine zu sich selbst gekommenen Ohren und denkt an eine in diesem Forum schon häufig diagnostizierte Krankheit unserer Kultur. Bereits der junge Hölderlin lässt seinen Hyperion schreiben: „Ach! wär‘ ich nie in eure Schulen gegangen. Die Wissenschaft, der ich in den Schacht hinunter folgte, von der ich, jugendlich töricht, die Bestätigung meiner reinen Freude erwartete, die hat mir alles verdorben.“ (Hyperion). In ähnlicher Manier schreiben Adorno und Horkheimer: „Die Eliminierung der Qualitäten, ihre Umrechnung in Funktionen überträgt sich von der Wissenschaft vermöge der rationalisierten Arbeitsweisen auf die Erfahrungswelt der Völker und ähnelt sie tendenziell wieder der der Lurche an.“ (Dialektik der Aufklärung). Nietzsche diagnostiziert und antizipiert:

„Man sieht jetzt mehrfach die Cultur einer Gesellschaft im Entstehen, für welche das Handeltreiben ebenso sehr die Seele ist, als der persönliche Wettkampf es für die älteren Griechen und als Krieg, Sieg und Recht es für die Römer waren. Der Handeltreibende versteht Alles zu taxiren, ohne es zu machen, und zwar zu taxiren nach dem Bedürfnisse der Consumenten, nicht nach seinem eigenen persönlichsten Bedürfnisse; „wer und wie Viele consumiren diess?“ ist seine Frage der Fragen. Diesen Typus der Taxation wendet er nun instinctiv und immerwährend an: auf Alles, und so auch auf die Hervorbringung der Künste und Wissenschaften, der Denker, Gelehrten, Künstler, Staatsmänner, der Völker und Parteien, der ganzen Zeitalter; er fragt bei Allem, was geschaffen wird, nach Angebot und Nachfrage, um für sich den Werth einer Sache festzusetzen. Diess zum Charakter einer ganzen Cultur gemacht, bis in’s Unbegränzte und Feinste durchdacht und allem Wollen und Können aufgeformt: das ist es, worauf ihr Menschen des nächsten Jahrhunderts stolz sein werdet: […]“ (Morgenröte)

Der Bildungsbegriff verkommt, wie die anfangs gestellte Frage nahelegt, zu einer bloß auf ihre materiellen Werte reduzierten Hülle. Ein Bildungsprozess soll mich nicht verändern, soll nicht auf mich einwirken – ich benötige Wissen und Fähigkeiten, die von materiellem Nutzen sind. Überspitzt formuliert könnte entgegnet werden, dass mein Wissen und meine Fähigkeiten zu einem Teil mein Selbst konstituieren und dieses mit meinem Verständnis des Bildungsbegriffes korrelierend ebenso sein Maß im Nutzen findet. Adornos Lurch kann eventuell ein Rind beigestellt werden, dass sich selbst, ohne es zu wissen, unter ein Joch stellt und aus den umgebenden Feldern ein Brachland pflügt.

   Bildung impliziert ein schaffendes Moment. Etwas wird gebildet. Das Etwas ist ein Jemand – eine Person. Eine Person bildet sich, formt sich, verfeinert die Züge – ein Kunstwerk. Das Prinzip des L’art pour l’art einmal anders gedacht. Kunst, die die Kunst will – der Mensch, der sich selbst will.  

   Für Studierende des Lehramts liegt der Nutzen wohl in der Aussicht auf einen zukünftigen Beruf. Ich studiere – weil ich Lehrer*in werden möchte. Die Inhalte des Studiums sind in mich eingegangen, jetzt können sie wieder aus mir hervorgehen. Doch ist die Schule auch ein Ort der Persönlichkeitsentwicklung, der Gestaltung. Der Lehrperson kommt in diesem Zusammenhang eine größere Verantwortung zu, als lediglich einen bestimmten Wissens-Kanon zu vermitteln. Ein Ort der Bildung, der Wechselwirkungen zwischen Menschen, der Gestaltung, welcher über die Inhalte hinausgeht.  

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Bewegung im Klassenzimmer (einige Gedanken zu Henri Meschonnic)

   Henri Meschonnic war ein französischer Lyriker, Übersetzer und Sprachwissenschaftler. Aufgrund meiner theoretischen Beschäftigungen mit Sprache und Sprachkunst bin ich kürzlich auf die Werke Meschonnics aufmerksam geworden. Im deutschen Sprach- und Kulturraum sind diese noch nicht wirklich bekannt. So liegen beispielsweise keine Übersetzungen derselben vor und in der Fachliteratur finden sich nur äußerst spärliche Bezüge. Ausführliche Bearbeitungen sind mir aus dem deutschen Sprachraum nur von Hans Lösener bekannt, einem Deutsch-Didaktiker. Warum teile ich euch liebe Leser*innen das mit? Obgleich meine Lektüren noch recht oberflächlich waren und meine Auseinandersetzungen erst an ihrem Anfang stehen, kamen mir doch Gedanken, welche ich für dieses Forum als Interessant empfinden kann und ich sie somit zwischen den Dingen verorten möchte.

   Meschonnic kritisiert ein Denken, welches Körper und Geist (Verstand) dichotom auffasst, als getrennte und voneinander unabhängige Ebenen. Er schreibt dieses Denken vor allem der platonischen Philosophie (teilweise generell der griechischen, was nicht wirklich haltbar ist – Epikur vertritt beispielsweise abweichende Positionen) zu und beschreibt wie sich diese Form der Selbstwahrnehmung durch die Geschichte des Okzidents bis „heute“ gehalten hat. Ein Argument gegen eine solche Position wäre, dass unser Denkapparat nicht nur isoliert in unserem Kopf sitzt. Verarbeitet werden Informationen, ein neuronales Netzwerk, sowie ein Blutkreislauf, durchziehen unseren Körper. Reize werden in chemische Information bzw. Impulse übersetzt, zum auswertenden Zentrum transportiert und stellen sich uns folglich als Wahrnehmungen vor. Dass Veränderungen unseres Hormonhaushaltes unsere Wahrnehmung beeinflussen können, ist der Psychologie bekannt. In seinem posthum veröffentlichen Werk Endlich: Mein Sterben schreibt Christopher Hitchens: „Ich habe keinen Körper, ich bin ein Körper.“. Zentral steht in dieser Erfahrung der Körperlichkeit für Meschonnic die Sprache. Jede Sprache und jeder Sprecher/ jede Sprecherin einer Sprache besitzt seinen/ ihren eigenen Rhythmus. Sprache und Prozesse der Subjektivierung gehen miteinander einher, bedingen sich. Gleichzeitig haftet ihr eine Historizität an, in welcher sich das Subjekt durch die Sprache verortet.

   So weit so gut, doch warum teile ich euch das nun mit? Zum einen habe ich mich im Zuge meiner Beschäftigungen selbst ertappt empfunden. Ich bemerkte, dass eine Trennung zwischen Körper und Geist in meinem Denken vorherrscht, dass ich meinen Körper zurückstelle. Zum anderen dachte ich an die Schule, an die Vorstellung Schüler*innen könnten für mehrere Stunden an einem Platz sitzen und lediglich ihren Geist anstrengen. An das Lachen über Schulen, in denen am Morgen der eigene Name getanzt wird (nach einer Lektüre der Werke Meschonnics erscheint dies übrigens als äußerst sinnvoll). In einem von mir rezipierten Beitrag wird die Voraussetzung der Schrift/Schriftlichkeit für das abstrakte Denken untersucht. Hierbei wurde diskutiert, ob in vor-homerischer Zeit Schrift existiert haben muss, da Werke wie die Odyssee oder Illias nur als Schrifterzeugnisse denkbar sind. Folgend wurden Studien, die im Balkangebiet durchgeführt wurden, dargelegt, welche eine erhaltene Vortragskunst untersuchen. Es zeigte sich, dass die Memorierungsfähigkeiten der Künstler*innen deutlich über einem europäischen Durchschnitt liegen. Die Verbindung von Rhythmus und Tanz, von Geist und Körper erhöht die Merkfähigkeit, da nicht bloß abstrakt im Gedächtnis Erinnerungen und Inhalte abgerufen werden – der ganze Körper, in einer Verbindung mit dem Verstand, merkt sich etwas. Vermutlich sind ähnliche Prozesse bei Schauspieler*innen zu beobachten, welche lange Textpassagen aus Skripten auswendig lernen können. Ich vermute, dass es deutlich schwieriger wäre, wenn sie während diesem Prozess lediglich auf einem Stuhl sitzen würden.

   Implikationen für das Klassenzimmer können sein, dass der Bewegung, dem lauten Sprechen, vielleicht auch dem Schauspiel und dem Tanz, eine höhere Bedeutung beigemessen werden. Zum einen ermöglicht dies den Schüler*innen sich im Unterricht als Subjekte wahrzunehmen und zum anderen geschehen Lernen und Memorieren in einem erweiterten Sinne.

 

Bezüge

Joseph, John E.: „Language-Body Continuity in the Linguistics-Semiology-Poetics-Traductology of Henri Meschonnic.“ In: Comparative Critical Studies 15 (2018) H.3, S. 211-329

Pajevic, Marko: „Beyond the sign. Henri Meschonnic’s poetics oft he continuum and of rhythm: Towards an anthropological theory of Language“. In: Forum for Modern Language Studies 47 (2011). H.3, S. 304-318

Pajevic, Marko/ Smith, David Nowell: „A Poetics of Society: Thinking Language with Henri Meschonnic“. In: Comparative Critical Studies 15 (2018). H.3, S. 279-310

Serge, Martin : „On Rhythm: Voice and Relation“, In: Comparative Critical Studies 15 (2018). H. 3, S. 331-347

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Hintergrund für diese Diskussion liefert der „Thema Spezial“ Beitrag am ORF2 mit dem Titel „Ein Schulversuch in Österreich“. Unter die Lupe genommen wird dabei das Projekt „Schule fürs Leben“ zwischen den beiden Wiener Schulen MS Gassergasse und Gymnasium Rahlgasse. Hierbei wurden einerseits sozial benachteiligte Schüler*innen der Mittelschule mit SchülerInnen des Gymnasiums vermittelt. Die dabei gebildeten Zweiergruppen sollten gemeinsam Freizeitaktivitäten unternehmen, über das Leben des/der Anderen erfahren und sich gegenseitig unterstützen. Andererseits wurden gemeinsame Aktivitäten durchgeführt, die den sozialen Zusammenhalt stärken sollten und eine Bindung zwischen den Kindern herstellen sollten.

Hintergrund dieses Projekts ist die herrschende Chancenungleichheit im österreichischen Bildungssystem und die große Kluft zwischen Mittelschule und Gymnasium. Ein markantes Indiz dafür sind die unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründe der Schüler*innen und die damit verbundene Chancenungleichheit. Die Direktorin der Gassergasse Andrea Walach erwähnt in einem Interview: „1/3 meiner Jugendlichen werden nach der Schule zu Sozialhilfeempfängern“. Das Faktum, dass so viele der Lernenden an dieser Schule sozusagen zu „Kunden des AMS“ werden, bewirkt nicht nur das Schulsystem an sich, sondern auch der familiäre Hintergrund dieser Jugendlichen. 98% davon sprechen nicht Deutsch als Muttersprache und kommen aus armen Familien. Deren Eltern haben keine Zeit sich für die Bildung ihrer Kinder zu kümmern, sondern haben andere – grundlegendere Probleme – wie die Ernährung der Familie. Die Schüler*innen des Gymnasiums Rahlgasse stammen im Gegensatz dazu aus größtenteils privilegierteren, bildungsnahen Familien und haben für ihre Zukunft nahezu alle Optionen offen.

Um konkrete Beispiele für die traurigen sozioökonomischen Hintergründe der SchülerInnen von der MS Gassergasse zu liefern, wird kurz auf die TeilnehmerInnen des Projekts in der Dokumentation eingegangen. Einer davon ist Asip, der mit seiner Mutter und seinen zwei Geschwistern auf 40 Quadratmetern Wohnung wohnte, tagtäglich am harten Boden schlafen musste und der keine schulische Unterstützung von seiner Mutter hatte. Nachhilfe konnte sich seine Familie nicht leisten und Asip selbst musste in unterschiedlichsten Arbeitsstätten für das Ernährung der Familie neben der Schule arbeiten. Seine Familie kam nach Österreich, nachdem sie aus dem Afghanistan wegen Morddrohung flüchten musste. Sam stand einem ähnlichen Schicksal gegenüber. Seine Familie floh aus dem Irak aufgrund der damaligen politischen Lage. Aufgrund seiner Schüchternheit wurde er in der Schule mehrmals Mobbingopfer und zog sich sozial zurück. Innerhalb seiner Familie war Sam derjenige, der am besten Deutsch sprach, als sie nach Österreich kamen, weshalb auch er kaum schulische Unterstützung von seinen Eltern hatte. Auch das Mädchen Nabaa floh mit ihrer Familie aus dem Irak und fand sich in der MS Gassergasse wieder. Dort fiel ihr die Schule keinesfalls leicht und sie fand sich freizeitlich im Brennpunkt zwischen ihrer Religion bzw. den Erwartungen ihrer Eltern sowie den Erwartungen der österreichischen Gesellschaft.

Das Projekt „Schule fürs Leben“ war in Zuge dieser Jugendlichen ein großer Erfolg. Alle in der Dokumentation behandelten Schüler*innen der Mittelschule, die am Projekt teilnahmen, profitierten von sozialen, schulischen sowie beruflichen Erfolgen. Asif arbeitet heute als Fitnesstrainer in einem Fitnessstudio, Sam wurde viel selbstbewusster und ist politisch aktiv und Nabaa legte ihr Kopftuch ab und heiratete ihren Traummann. Aber nicht nur die Schüler*innen selbst, sondern auch die Gassergasse profitierte stark vom Projekt, indem der Stundenplan viel innovativer wurde. So wurden Aktivitäten wie Präsentationstrainings, wöchentliche Projekttage, Stimmbildungs- & Atmungsworkshops, Bewerbungstraining sowie Begabungsförderung in den Schulalltag aufgenommen.

Abschließend wird das Thema der Chancenungleichheit im österreichischen Bildungssystem noch vom Bildungsexperten der Uni Wien Stefan Hopmann thematisiert. Laut ihm sei das Gymnasium nichts anderes, als eine „Prämienverteilung an fleißige Mütter“, da diese das „pädagogische Defizit“ der Schulform ausgleichen müssen, was dem Bildungssystem zugrunde liegt. Der sozioökonomische Hintergrund sowie der Bildungsabschluss der Eltern scheinen somit klare Gründe für die Chancenungleichheit.

Wir haben uns auch Gedanken darüber gemacht welche Veränderungen es geben müsste, damit eine Chancengleichheit an Schulen erzielt werden kann. In den folgenden Zeilen handelt es sich um unsere eigene Meinung und um einige Punkte, die unserer Meinung nach einiger Veränderung bedürfen, um unsere Schulsystem chancengerechter zu machen.

Zuallererst ist da der familiäre Druck den viele Schüler*innen ausgesetzt sind. Wie oben schon angesprochen, hatte vor allem Nabaa mit starkem familiären Druck zu kämpfen, denn ihre Eltern ließen ihr keinerlei Entscheidungsfreiheiten, obwohl es für Nabaa und ihre Zukunft wahrscheinlich besser gewesen wäre die Schule zu wechseln, wie es ihre Lehrer*innen vorgeschlagen haben. Die Flucht aus ihrem Heimatland bedeutete für die Familie einen sozialen Abstieg und Nabaa’s Eltern wollen wieder eine angesehene Familie sein und legen deshalb alle Hoffnung in ihre Tochter. Es ist ganz klar, dass Kinder bzw. Jugendliche solche Entscheidungen nicht alleine treffen können, doch bei Nabaa zeigte sich nach dem Schulwechsel definitiv eine positive Veränderung ihrer Persönlichkeit und ihrer schulischen Leistungen. Ist es gerecht, wenn Eltern Entscheidungen für ihre Kinder treffen, die die Zukunft des Kindes womöglich verschlechtern können? Nach Chancengleichheit scheint dies nicht zu streben.

Weiters wird in dem Beitrag vom ORF auch häufig über die Religion, vor allem dem Islam, gesprochen und dass die Schüler*innen „Gefangene ihrer eigenen Religion“ seien. Die Wiener Lehrerin und Autorin, Susanne Wiesinger, erklärte die Situation so, dass der Islam mittlerweile die Überhand ergriffen hat und dass die religiösen „Gesetze“ mehr Wert sind als die verfassungsrechtlichen Gesetze. Sie erzählt auch kurz, wie der Alltag einer/eines Lehrer*in aussieht.  Keine Lernmotivation, keine deutschsprechenden Schüler*innen und keine Hobbys und Interessen, dafür aber reichlich Aggression, wenn etwas nicht mit dem Islam zusammenpasst. Sollte nicht eine Balance gefunden werden, die für alle Parteien passt? Die Schüler*innen sind in der Schule, um etwas zu lernen und sich für ihre Zukunft vorzubereiten, doch es scheint als würde diese Schüler*innen schwer irgendwo einen Rückhalt finden.

Zuletzt sind noch die gesellschaftlichen Vorurteile, die diese Kinder und Jugendlichen betreffen. „Mein Kind schicke ich nicht auf diese Schule. Da sind viel zu viele Ausländer*innen, da kann mein/e Sohn/Tochter ja nichts lernen“. Sätze wie diesen kennen wir alle sicher ganz genau, doch haben diese auch eine Berechtigung?
Wie wir aus diesem Projekt gut erkennen können, ist es für Schüler*innen aus Brennpunktschulen extrem hilfreich Kinder aus einem Gymnasium bei sich zu haben, mit denen sie lernen können. Wenn es mehr Projekte wie dieses geben würde, könnte man noch besser aufzeigen, welche Vorteile das für beide Parteien hat. Die Gymnasiast*innen können sehen, dass die NMS-Schüler*innen vielleicht extrem dankbar sind überhaupt eine Schule besuchen zu dürfen, dass sie schwere Schicksalsschläge erleben mussten und sich in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und Kultur ganz neu einleben müssen. Andersrum können die NMS-Schüler*innen erfahren, dass es Menschen gibt, die ihnen helfen wollen und, auch wenn unsere Kultur hier ganz anders ist, dass neue Freundschaften entstehen können.

Ein bisschen mehr Miteinander und Füreinander wäre in Situationen wie diesen wohl angemessener als ein Gegeneinander.

Zum Abschluss sollte das Schulsystem in Österreich näher beleuchtet werden. Dabei sollten aber nicht nur kritische Punkte erörtert werden, sondern auch Versuche dargelegt werden, wie man nach einer annähernden Gerechtigkeit streben könnte. Weiter oben wurde sich genauer dem gesellschaftlichen Aspekt bzw. Faktor gewidmet, welcher hier – zwar nicht vollends, aber doch ein Stück weit – in den Hintergrund gestellt werden sollte. Denn überwiegend wird der Fokus auf das System Schule gelegt.

Dabei ist dieses System, wie wir es in Österreich vorfinden, geprägt von Early Tracking und einer Vielfalt an schulischen Übergängen (Steiner et al., 2016). Unter dem Anglizismus Early Tracking (tritt im bildungswissenschaftlichen Kontext oft auch als „Streaming“ auf) versteht Kate Barrington (2020) folgendes:

„[…], tracking is a system in which students are divided into classes based on their overall achievement. Students are ranked as being average, normal, or below average and they are divided into classes with students of the same achievement level.”

Dementsprechend lässt sich eine gewisse Parallele zu den Leistungsgruppen erkennen, obwohl die Hauptschule 2012 von der (damals) Neuen Mittelschule als Regelschule abgelöst wurde und 2015 endgültig von der Bildfläche verschwunden ist. Wieso sprechen viele Expert*innen noch von dem Streaming, wenn doch alle Schüler*innen gemeinsamen Unterricht im Klassenverbund angeboten bekommen und nicht mehr nach Leistungen voneinander separiert werden?

Dies liegt unseres Erachtens daran, dass die Theorie nicht der Praxis entspricht. Denn an konservativen Schulen wird durchaus noch das Early Tracking vollzogen, indem eine der beiden Lehrpersonen mit dem leistungsschwächeren Teil der Schulklasse eine andere Räumlichkeit aufsuchen und den Unterricht somit getrennt fortführt. Daher lässt sich eine gewisse Pseudo-Integration sozioökonomisch schlechter gestellter Schüler*innen innerhalb der Mittelschule pauschal nicht abstreiten bzw. leugnen.

Um nun auf den anderen Aspekt zu kommen, den Steiner mit den vielfältigen, schulischen Wechseln/ Übergängen anspricht, sollte die AHS Unterstufe erwähnt werden. Der gymnasiale Schultyp der Sekundarstufe I sorgt für einen weiteren Faktor der Ungleichheit im Schulsystem (Gerhartz-Reiter, 2018). Diese Schulform besuchen in der Regel Schüler*innen, deren sozioökonomischer im oberen Sektor einzustufen ist. Um von der Primarstufe in die AHS Unterstufe überzutreten, benötigt man die von der Volksschule genehmigte Gymnasialreife. Ohne diesem Attest schafft man den Sprung sonst nur über zusätzliche Hürden, wie bspw. verschiedenste Leistungs- und Aufnahmetestungen. Dies bedeutet, dass bereits in der vierten Schulstufe eine folgenreiche Segregation stattfindet. Denn, wie Gerhartz-Reiter auch schildert und mit Daten untermauert, schafft ein höherer Prozentsatz an Schüler*innen den Übertritt von der AHS Unterstufe in die AHS Oberstufe als ihre Kolleg*innen, die die Mittelschule absolvierten. Der Grundstein für eine angestrebte akademische Ausbildung wird demnach bereits in der Volksschule gelegt.

Doch nun ist bekannt, dass in Österreich viele Familien leben, deren sozioökonomischer Status schlechter gestellt ist und es daher gleichermaßen auch an kulturellem als auch an finanziellem Kapital fehlt, um den eigenen Kindern eine gleich gute/ hohe Ausbildung zu ermöglichen. Ein wichtiger Faktor, der dabei eine nicht unwesentliche Rolle einnimmt, ist in der Halbtagsschule begründet. Bis früh nachmittags besuchen die Schüler*innen die Schule und anschließend haben sie in ihrer Freizeit zu Hause verschiedenste Aufgaben, wie Hausübungen, Vorbereitungen, Lernen, etc., zu erledigen. Bei einem möglichst bildungsnahen Haushalt stellt das üblicherweise keine allzu großen Herausforderungen dar, da die Schulkinder auf die Unterstützung ihrer (gebildeten) Eltern vertrauen und bauen können. Anders sieht es nun hingegen bei bildungsfernen Eltern bzw. bei Eltern aus, die tagsüber (teilweise auch mehreren) Berufen nachgehen, um ihren Kindern überhaupt Bildung ermöglichen zu können. Denn sie können ihren Kindern aus verschiedensten Gründen keine eigene und aber auch keine externe Hilfe (in Form von Nachhilfe bspw.) anbieten, da es die finanzielle Situation in den meisten Fällen nicht ermöglicht.

Um dieser Ungleichheit entgegenzusteuern wäre es unserer Meinung nach wichtig, die AHS Unterstufe allgemein zu überdenken und das halbtägige Schulsystem in ein ganztägiges umzustrukturieren. Das Konzept der Ganztagsschule stellt zum einen eine gleiche Betreuungsmöglichkeit durch ausgebildetes Lehrpersonal sicher und zum anderen sollte es auch in soziale Aspekte eingreifen, wie Braun & Wetzel in ihrem Artikel berichten (2008). Das bedeutet Kinder bzw. Jugendliche, die sich aufgrund verschiedenster Merkmale von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, sollten durch vielfältige Ansätze und Angebot in die (Schul-)Gemeinschaft inkludiert werden. Am besten veranschaulicht das jenes Projekt, das im Rahmen einer Dokumentation des ORF vorgestellt wurde. Schüler*innen aus der Haupt- bzw. Mittelschule, die fast ausschließlich von Kindern mit Migrationshintergründen besucht wurde, einen Peer aus einem Gymnasium zugeteilt. Das Ergebnis, das daraus resultierte: Es wurden Freundschaften geschlossen, die Jugendlichen gewannen einen Eindruck über die Lebensverhältnisse ihrer Peer-Buddys und konnten auch zuvor bestehende Klischees bzw, Vorurteile ausräumen. Die Jugendlichen ergänzten und unterstützten sich gegenseitig, was im Prinzip bestätigt, dass an diesem segregativen Schulsystem, wie es derzeit besteht, nicht festgehalten werden darf. Die einzig negative Begleiterscheinung wäre – aus der Perspektive der Politik wohlgemerkt – dass eine leistungsorientierte, „elitäre“ Schüler*innenschaft damit so gut wie wegfallen würde, da auf das individuelle Wohl aller geachtet werden würde.

 

Autoren: Brenner Katharina, Gillich Hannes, Huemer Marcel (Redaktionsgruppe C)

Literatur-/ Quellenverzeichnis

Braun, KH. & Wetzel, K. (2008): Ganztagsschule und Soziale Arbeit in Österreich. Sozial Extra 32, S. 32–35.

Gerhartz-Reiter, S. (2019): Bildungsungleichheit und vorzeitiger Bildungsausstieg, in: Quenzel, G. & Hurrelmann, K. (Hrsg.), Handbuch Bildungsarmut. Wiesbaden. S. 523-546.

Barrington K. (2020): The Pros and Cons of Tracking in Schools, online unter: https://www.publicschoolreview.com/blog/the-pros-and-cons-of-tracking-in-schools [Zugriff: 21.01.2022].

Steiner, M./Pessl, G./Bruneforth, M. (2016): Früher Bildungsabbruch – Neue Erkenntnisse zu Ausmaß und Ursachen. In: Bruneforth, M. (Hrsg.): Nationaler Bildungsbericht Österreich 2015. Fokussierte Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen. Band 2. Graz. S. 175– 220.

 

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“Es ist nur zu deinem Besten” – Wie der Druck der Eltern die schulischen Leistungen beeinflusst – und wie Eltern ihre Kinder ganz ohne Leistungsdruck unterstützen können.

Wer es einmal in unser selektives Bildungssystem geschafft hat, darf sich bekanntlich äußerst glücklich schätzen, dort zu sein. Oft ist es der Rückhalt des äußeren Umfelds, der uns dazu verhilft, auch gut in der Schule abzuschneiden und seine eigenen Talente zu entfalten. Nun stelle man sich aber folgende Situation vor: Sie sind Schüler:in einer Privatschule und zählen zu den leistungsstärksten Personen Ihrer Klasse, werden dort auch als Spitzenschüler:in anerkannt und hatten bislang die Möglichkeit, ihre Kreativität auszuleben und der Welt zu zeigen, was in Ihnen steckt. Eines schönen Vormittages jedoch klopft Ihr Klassenvorstand an die Klassentür und bittet Sie, doch bitte mit ihm/ihr mitzukommen, man hätte mit Ihnen etwas zu besprechen. Natürlich folgen Sie dieser Anweisung, schließlich haben Sie ja nichts zu befürchten, oder? Kaum vor der Tür der Direktion angekommen, erwartet Sie die Schulleitung gemeinsam mit Ihren Eltern. Sie werden von der Schule abgemeldet, hören Sie. Es sei zu Ihrem Besten, Mama und Papa hätten bereits eine AHS für Sie gefunden, in der Sie besser aufgehoben wären. Der Direktor entschuldigt sich bei Ihnen, er sagt, er hätte alles getan, um Sie doch an der Schule behalten zu können, aber Ihre Eltern wären anscheinend so schwer zu überzeugen. 

Dies ist zwar eine äußerst extreme Situation und würde sich in der realen Welt nur sehr selten abspielen, und falls doch, dann keineswegs in dieser Form. Doch dass gerade ein solcher Fall eintreten kann, zeigt die Geschichte von Nabaa Kudier, die als Jugendliche an einem Pilotprojekt der NMS Gassergasse in Wien mitgewirkt hat. Man hatte sie nach Projektabschluss auf eine Privatschule geschickt, die ihre Talente weiter fördern sollte. Nach eineinhalb Jahren jedoch meldeten ihre Eltern sie wieder von der Schule ab, und sie wechselte auf ein staatliches Gymnasium. Und das, obwohl Nabaa ja eigentlich eine gute Schülerin war, sie von der dortigen Betreuung durchaus profitieren konnte, und die Schulkosten für die Familie gänzlich wegfielen! Was war der Grund für den erzwungenen Abbruch? Am ehesten, so die Schülerin selbst, dass ihre Familie nicht damit einverstanden war, dass sie an dieser Schule größere Freiheiten hatte. Und nicht nur in dieser Hinsicht schränkten ihre Eltern ihre Lernfähigkeiten ein – sie selbst gesteht, dass ihre Lernschwierigkeiten durch diesen Druck noch weiter gesteigert wurden. Durch diesen Wiedereinstieg in den “Teufelskreis” scheiterte sie also erneut. Und durch ihr Scheitern wuchs die Angst ihrer Familie, in der österreichischen Gesellschaft nichts erreichen zu können und aus ihr ausgeschlossen zu werden- und damit wieder der Druck auf die Tochter. 

Das Beispiel von Nabaa beweist auf ein Neues, wie leistungsorientiert unsere Gesellschaft eigentlich ist. Viele Bereiche in unserem Leben orientieren sich nur mehr am Output und/oder dem Gewinn einer Tätigkeit. Das fängt in der Schule an und setzt sich im beruflichen Leben fort. Wenn wir keine Leistung erbringen, sind wir nichts wert. Im Hinblick auf die Schule ist dieses leistungsorientierte Denken aber nicht für alle Schüler:innen leistungsfördernd. Viele Kinder leiden unter großem Druck und haben so wenig intrinsische Motivation für die Schule. Auch Eltern tragen hier einen erheblichen Teil dazu bei, auch wenn sie aus ihrer Sicht nur das Beste für ihr Kind erzielen wollen. Die einen befürchten, dass die Leistungen ihres Kindes abfallen können, und schrauben die Latte höher, damit es keine Misserfolge erleiden muss; die anderen fürchten, dass durch Lehrkräfte und Unterrichtsmethoden die gesellschaftlichen Werte und Bilder, die sie ihm anerzogen haben, verloren gehen, und schicken ihr Kind dorthin, wo es am besten vor äußeren Einflüssen geschützt ist. 

Studien zeigen uns aber, dass Druck für Schüler:innen in den meisten Fällen leistungsschmälernd ist. Viele Eltern/Erziehungsberechtigte wissen nicht, dass sie mit Ihrem Verhalten einen großen Druck auf ihre Kinder und ihre Leistungen in der Schule ausüben. Oft werden „gute“ Noten mehr belohnt als „schlechte“. So wird die gut gemeinte Belohnung sehr schnell zu einer Bestrafung, wenn ein Kind einmal keinen Einser mit nach Hause bringt. Eltern erkennen oft auch gar nicht, dass sie mit ihren Worten und Forderungen ihr Kind in eine Abwärtsspirale von immer negativeren Gedanken im Kontext Schule treiben. Ist ein Kind unter Druck, zeigt sich das meistens sehr schnell. Warnsignale dafür sind zum Beispiel Müdigkeit, Niedergeschlagenheit, sinkende Lernmotivation, Konzentrationsprobleme etc. Wenn Eltern oder die Erziehungsberechtigten solche Signale erkennen, sollten sie so schnell wie möglich Präventionsmaßnahmen ergreifen. Auch die Ursachen solcher Warnsignale sind entscheidend. 

Bezieht sich der Druck der Eltern auf den Lernerfolg, gibt es zum Glück Alternativen zur autoritären Kontrollausübung. Ganz wichtig ist es, das Kind ganzheitlich anzunehmen. Man soll die Stärken fördern aber auch die Schwächen akzeptieren und mit ihnen arbeiten. 

Im Folgenden finden sich nun weitere Wege, wie man Druck von der Seite der Eltern verringern kann: 

  • Freizeit: Bei vielen Kindern kommt die Freizeit viel zu kurz. Sie kommen von der Schule nach Hause, bekommen dann etwas zu Essen und müssen sich danach gleich zu den Aufgaben setzten. Das kann oft sehr lange dauern. Es ist wichtig, dass sich die Kinder zu Hause auspowern können. Es kann ihnen auch einmal langweilig sein. Aus Langeweile können sehr kreative Ideen entstehen
  • Lernmethoden verändern: Wenn Lernmethoden seit vielen Jahren die gleichen sind, kann das oft zu Langeweile beim Lernen führen. Wenn man sich neue, kreative Wege überlegt, wie ein Kind seien Aufgaben erledigt oder für einen Test/Schularbeit lernt, kann man die Motivation für Aufgaben erledigen oder Lernen wieder steigern.
  • Talente benennen und fördern: Sportliche, künstlerische oder musikalische Fähigkeiten können oft ein Grundstein für Motivation auch in der Schule sein.

Weitere Grundprinzipien sind aber zu beachten wie eine gute Eltern-Lehrer-Beziehung pflegen oder ein Lernteam mit dem Kind bilden und gemeinsam lernen. Die schulische Leistung sollte auch nicht immer das einzige Gesprächsthema, wenn es um Schule geht. Eltern sollten klar zeigen, dass sie sich auch für das Wohlgefühl ihres Kindes interessierten. Man kann zum Beispiel Fragen stellen an das Kind: was es heute gelernt hat, mit wem es in der Pause gespielt hat und was ihm an seinem Tag nicht so gut gefallen hat. Wichtig ist, dass das Kind das Gefühl hat, dass der Teil seines Lebens, den es fern von zu Hause verbringt genauso ernst ist wie die Zeit zu Hause. Eltern sollten daran denken, dass Ihr Kind vor allem das Gefühl braucht, in ihren Augen wertgeschätzt zu werden, zu wissen, dass sie es lieben und es in dem, was es tut, ermutigen. Wenn sie dem Kind helfen, ein gutes Selbstwertgefühl aufzubauen, wird es seine Chancen auf schulischen Erfolg vervielfachen…

(ein gemeinsamer Beitrag von Hannah Schusteritsch, Verena Schöller, Isabella Urschitz und Camille Durand – Redaktionsgruppe A) 

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Kommentar zur Sitzung am 11. Jänner 2022 mit Prof. Mag. Dr. Josef Eisner

 

Redaktionsgruppe A

 

Dass in der Schule nicht nur die Vermittlung von Wissen eine Rolle spielt und ausschlaggebend für den Lernerfolg der Lernenden ist, sondern dass daneben auch noch andere Faktoren einen großen Einfluss darauf ausüben, haben wir in unserer 7. Sitzung des Kurses “Schule und Gesellschaft”  am 11. Jänner 2022 mit Herrn Professor Eisner diskutiert.

 

So zum Beispiel ist es eine unentbehrliche Aufgabe der Lehrperson, nicht nur für eine gute Beziehung zwischen ihr und jedes/r Lernenden zu sorgen, sondern auch für ein gutes Klassenklima und eine gute Beziehung unter den Lernenden selber, weil dies vor allem das tragende Element von Lernprozessen ist. 

Gegenteilig hierbei wirkt sich Beschämung aus. Sich zu schämen ist an sich ja ein sehr natürlicher Prozess, jedoch muss man sich bewusst sein, dass Beschämung von anderen auch zur Machtausübung missbraucht werden kann. 

 

An dieser Stelle möchte ich Prof. Mag. Dr. Josef Eisner zitieren:” Persönliche Kränkung im Unterricht ist toxisch!” Doch leider legt unser Notensystem bereits den Grundstein der strukturellen Beschämung in der Schule. Schüler*innen werden verglichen und vergleichen einander. Das Werten erzeugt Scham. Und Scham hat in einer positiven Lernatmosphäre keinen Platz. 

 

Diese Einheit hat mich als zukünftige Lehrperson, dazu bewegt, mir zum Vorsatz zu machen: Beschämung bewusst zu vermeiden!

 

Ich denke, dass es in diesem Zusammenhang vor allem auch wichtig ist, sich dem bewusst zu sein, dass Beschämung anderer nicht komplett umgangen werden kann. Wichtig ist jedoch, sich klar zu machen und zu reflektieren, wo kann denn überall beschämt werden und vor allem, in welchem Zusammenhang ist es mir selbst eventuell schon passiert, dass ich – ohne es zu wissen oder zu wollen – in jemandem Scham ausgelöst habe. Meiner Meinung nach ist das Erkennen an sich selbst, das bewusste Reden mit Schüler*innen und der bewusste Versuch beschämende Aussagen und Handlungen zu vermeiden, der erste (große) Schritt in die richtige Richtung. Auch unbewusst kann Schaden angerichtet werden, aber dieses Defizit des Nicht-Wissens kann durch Reflexion des eigenen Handelns und Respekt minimiert werden.

Klassenzimmer bilden Räume mit einer ihnen eigenen Atmosphäre, welche von allen Beteiligten beeinflusst wird, wobei der Lehrperson im Etablieren, Kontrollieren und Stabilisieren einer solchen eine Verantwortung zukommt. Dass der Raum sowie das soziale Netz, welches diesen durchzieht, eine erhebliche Einwirkung auf Lernerfahrungen ausüben wurde in der Einheit besprochen. Als Lehrperson muss ich mir dieser Korrelationen bewusst sein, um “sehend” durch Klassenräume schreiten zu können. Eben dieses Sehen wurde durch die Einheit sensibilisiert. 

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(Redaktionsgruppe B)

Soziale Ungleichheit in der Gesellschaft fängt schon im Klassenzimmer an. Warum wird so etwas erwünscht?

Da man leider davon ausgehen muss, dass sich das Schulsystem nicht so schnell verändern wird, gefällt uns der Gedanke Projekte wie „Schule fürs Leben“ flächendeckender ins Leben zu rufen. Der Austausch zwischen Jugendlichen verschiedener selektierter Gruppen und die vielen Dinge die man voneinander lernen kann wären für alle Seiten sehr bereichernd.

Wenn die Schule schon kein Abbild der Gesellschaft sein soll, so wäre es so wenigstens möglich die suggerierte Wahrnehmung der „Anderen“ zu verändern, Ängste vor dem Fremden abzubauen und so eine sozialere, verständnisvollere und rücksichtsvollere Gesellschaft der Zukunft zu bilden.

Um soziale Ungleichheit im Bildungssystem zu verringern, bedarf es einer Politik, die Freiräume schafft, in denen sich diejenigen, die Bildung gestalten, aktiv entfalten, Ideen einbringen und neue Wege gehen können.

Was ist aber eigentlich „Ungleichheit“? Es kann nicht das Ziel sein, allen die gleiche Ausbildung und denselben Abschluss zukommen zu lassen. Das wirkliche Ziel muss es sein, jedem Kind Chancengerechtigkeit zu gewährleisten. Nur mit dem Zusatz „Chancen-“ macht der Begriff der Gerechtigkeit hier letztlich Sinn. Jedes Kind in Österreich muss die Möglichkeit haben, seine Fähigkeiten zu entfalten, ohne dass dabei die soziale Herkunft auch nur die geringste Rolle spielt. Nur wer die Chance erhält, seine Fähigkeiten zu entdecken und zu lernen, diese sinnvoll zu nutzen, wächst mit der Gewissheit heran, wertvoll zu sein, vor allem auch wertvoll zu sein für die Gesellschaft. Nur diejenige Gesellschaft, die ihrem Nachwuchs ein Recht auf Chancengerechtigkeit gewährt, baut ihre Demokratie auf ein festes Fundament. Denn Bildung ist nicht nur die Voraussetzung für den Erwerb des Lebensunterhaltes, sondern auch für die Entfaltung der Persönlichkeit und die Fähigkeit als mündiger Bürger in der Gesellschaft teilzunehmen. 

Bereits vor über 100 Jahren sagte Max Weber, einer der drei Gründerväter der deutschen Soziologie: “Unterschiede in der Bildung sind heute (…) zweifellos der wichtigste ständebildende Unterschied (…). Unterschiede der Bildung sind – man mag das noch sehr bedauern – eine der allerstärksten rein innerlich wirkenden sozialen Schranken.” Eine Aussage, die, wie ich meine, auch heute noch zutreffend ist. In der Schule – und zwar bereits in der Volks- oder Grundschule – wird über die Bildungs- und auch teils berufliche Zukunft der Kinder entschieden. Ohne Abitur oder Matura wird man heutzutage von der Gesellschaft belächelt. Eine Entwicklung, die zu denken geben sollte. Sind denn Schüler oder Schülerinnen, die “nur” einen Mittelschulabschluss haben weniger wert? Leisten Sie nicht in ihrem späteren beruflichen Leben ebenso einen wichtigen und wertvollen Beitrag in unserer Gesellschaft?

Dieser Entwicklung entgegen zu wirken, müsste eigentlich eines der wichtigsten Ziele unserer Bildungspolitik sein. Sei es, dass man diejenigen, die vor Ort die Arbeit leisten in Entscheidungen miteinbezieht und ihren Aussagen mehr Gewicht verleiht, aber auch, dass man Kinder und Jugendliche aus schwächeren “Ständen” besser unterstützt. Sei es auf Ebene der Bildungsförderung und Forderung, aber auch dass man eine finanzielle Chancengleichheit für eben diese Kinder und Jugendliche schafft. Oft hakt es bereits an den einfachsten Gegebenheiten wie zum Beispiel in der Oberstufe dann daran, dass die Beförderung vom Heimatort zur Bildungsstätte selbst finanziert werden muss, was für manche bereits die erste “Schranke” darstellt. Man kann letztlich sagen, dass Max Weber, mit seiner Aussage von vor über 100 Jahren, weit vorausschauend war und bereits Züge in der Politik und Gesellschaft erkannte, in denen die Angehörigen der höheren Stände versuchten ihren Stand zu halten und Schranken schafften um den Zugang zu Bildung, von Menschen aus niedrigeren Ständen, zu erschweren, oder gar zu versperren. Es sollte also dringend ein Ziel sein diese Schranken endlich aus dem Weg zu schaffen, denn dieses Zeiten sollten schon längst hinter uns liegen.

 

Einige Denkanstöße

 

Seit der Antike wird die Korrelation zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit immer wieder in Frage gestellt. Artikel 1 und 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besagen, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren werden. Ungleichheit aufgrund von Geschlecht, Ethnie, Hautfarbe, Sprache, Religion, Meinung, Nation, sozialem Status, Eigentum oder anderen Gründen wird dort explizit verboten. Ist Gleichheit nun auch wirklich gerecht? Ist es „un“gerecht, wenn hilfsbedürftigen Menschen Unterstützung angeboten wird, anderen aber nicht? Meinem Verständnis kann man Gerechtigkeit nicht mit Gleichheit gleichsetzen, sondern verlangt ersteres oft nach Ungleichbehandlung der Menschen.

 

Chancengleichheit ist ein essentieller Bestandteil bei politischen Entscheidungen im Schulsystem. Doch auch geschlechtsspezifische Sozialisierung in der Schule fördert Ungleichheit. Durch Medien, Institutionen und vor allem auch die Eltern werden oft Berufe und Karrierevorstellungen in „Männer- und Frauenberufe“ unterteilt. Dieser „gender status belief“ beschreibt den Umstand, dass gewisse Eigenschaften einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden. Dies kann die eigene Wahrnehmung von Stärken und Schwächen gravierend beeinflussen und dementsprechend auch die spätere Berufswahl, welche durch eine hohe Kompatibilität mit dem Selbstbild getroffen wird. Ebenfalls weisen junge Frauen und Mädchen häufiger ihre beruflichen Aspirationen an externe Opportunitäten an. Das heißt, dass Berufsfelder in denen Männer überrepräsentiert sind, häufiger gemieden werden. Empirische Erhebungen zeigten auch, dass Kleinbetriebe fürchten, dass andersgeschlechtliche Auszubildende betriebliche Abläufe stören könnten. 

2019 führte der European Social Survey (ESS) eine Untersuchung über Gerechtigkeitsempfinden in Europa durch. Dort wurden die Teilnehmer*innen nach verschiedenen Formen von Gerechtigkeit gefragt, wie etwa ob eine gerechte Gesellschaft sich durch gleich verteilte Einkommen und Vermögen definiert, oder ob ein statusbezogener Anspruch gerecht wäre. In der Frage, ob hart arbeitende Menschen mehr verdienen sollten als andere lag Österreich an europaweiter Spitze.

Doch was bedeutet es “hart” zu arbeiten? Wer entscheidet über den Wert der Arbeit in der Gesellschaft?

Um nun wieder auf das Schulwesen und dessen gesellschaftspolitische Stellung zu kommen: Als Lehrperson ist es essentiell, sozial-gesellschaftliche Strukturen und deren ungerechte Dynamiken zu erkennen und diese nach bestem Wissen und Gewissen entgegenzuwirken. Damit Kindern und Jugendlichen ein gerechter Zugang zu Bildung zu ermöglicht werden kann, sind Veränderungen an unserem derzeitigen System unumgänglich.

 

(ein gemeinsamer Beitrag von Benedikt Barth, Johanna Maier, Lisa Scholz und Angelika Schlosser – Redaktionsgruppe B)

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Erfahrungsberichte einer jungen Person

Sehr geehrte Leserinnen, das Unterfangen, welches ich mir vorsetzte zu tun, findet im Folgenden seinen Ausdruck. Genau genommen ist es nicht mein Unterfangen gewesen, wie ich kurz schildern möchte. Die folgenden Einträge, welche ich hier zusammengetragen habe, stammen aus einzelnen losen Blättern, welche mir auf noch zu erläuterndem Wege zugekommen sind und nicht aus meiner Feder stammen. Vor einigen Wochen betrat ich das Gebäude der Universität, um einige Bücher aus der Bibliothek auszuleihen. Bevor ich diese betreten konnte, trat ich wie gewohnt auf die Schließfächer im Untergeschoß zu, um vorläufig meine Unterlagen dort abzulegen. Da mein eigentlich präferiertes Fach belegt war, suchte ich ein noch freistehendes. Etwas weiter links konnte ich eines entdecken. Als ich es öffnete fielen einige lose Blätter hervor auf den Boden. Aufgrund des Zeitmangels steckte ich sie zusammen mit meinen Sachen zurück in das Fach. Einige Stunden später griff ich wieder in Eile nach meinen Sachen, wobei ich unbemerkt die Blätter unter meine Unterlagen mischte. Erst zurück in meiner Wohnung sind sie mir wieder aufgefallen und ich begann sie durchzulesen. Offensichtlich bilden sie die Dokumentation eines Unterrichtspraktikums einer studierenden Person. Da kein Name auf die losen Blätter notiert wurde, war es mir nicht möglich den Autor oder die Autorin ausfindig zu machen. Der Zustand, in dem sich die Papiere befanden, verriet zudem, dass sie von dem Verfasser oder der Verfasserin nicht mit sonderlicher Sorgfalt und Fürsorge behandelt wurden. Nun um es kurz zu halten, ich beschloss ihren Inhalt euch werten Leserinnen zugänglich zu machen. Ich habe den Inhalt nicht abgeändert und lege lediglich eine Abschrift vor.

 

Tagebuch zum Schulpraktikum

Erster Tag

Nächstes Mal fahre ich mit dem Bus. Eine halbe Stunde und dann noch bei Regen auf dem Rad, nein, nächstes Mal fahre ich mit dem Bus. Am Ende der Straße, dort wo die Bäume aufhören, steht es, das Gebäude, ein Schulgebäude. Ich frage mich ob eine Vorschrift, sozusagen eine Regel existiert, dass Bauwerke, welcher dieser Institution zuzuordnen sind immer von außerordentlicher Hässlichkeit zu sein haben. Im „Hof“ wird alles betoniert. Wer braucht denn auch Blumen oder irgendetwas, das eine die visuelle Wahrnehmung ansprechende Farbe besäße, etwas das auf das Leben verweisen könnte, denn hier wird gelernt – ich überspitze. Nahtlos geht der „Hof“ über in das Gebäude. Farblos und schachtelartig erhebt es sich trist und nackt aus dem unfruchtbaren Boden. Ob sich wohl hier der philosophische Satz des „Außen und Innen“ bewahrheiten wird? Langsam und mit einer gewissen, wohl erworbenen, Scheu bewege ich mich auf das Bauwerk zu. Vor dem Haupteingang warten bereits meine Kollegen und Kolleginnen, welche wie ich das Unterrichtspraktikum an dieser Schule absolvieren. Wie gewöhnlich positioniere ich mich etwas abseits und verliere mich schnell in Gedanken – das Außen und Innen. Eine etwas krächzende und laute Stimme hallt aus den Gängen und reißt mich aus selbigen. Die Betreuungslehrperson. Sie wirkt in Eile und vollführt eine winkende Geste, welche uns wohl auffordern sollte, ihr zu folgen. Während des Gehens fallen die ersten Sätze „Ich sage es gleich, unsere Kinder sind ungemein dumm. Ich komme gerade aus einer Stunde, ihr würdet es nicht glauben. Hat jemand ein Feuer? Raucht hier jemand?“. Aus dem Hintergrund trete ich vor – die Möglichkeit der Situation ergreifend – und überreiche mein Feuerzeug, während ich mir selbst eine Zigarette anstecke – ein guter Anfang. Gemeinsam stehen wir unter einem Vordach hinter dem Schulgebäude. „Tut mir leid, aber ich muss gleich in eine Besprechung mit der Direktorin, davor brauche ich immer eine Zigarette. Also wie ich schon sagte, sind unsere Schüler extrem schwach. Ihr studiert Deutsch? Also besonders in Deutsch. 90% haben einen Migrationshintergrund und viele sprechen nur sehr gebrochen. Früher war das besser, aber heute…“ – klingt outriert und klischeehaft, aber das waren die ersten Sätze.

Ähnlich ansprechend verlief die erste Stunde der Hospitation. Wenigstens verstehe ich jetzt die klangliche Nähe zwischen Hospitieren und Hospiz, obgleich gesagt sei, dass man bei zweiterem wenigstens versucht den Sterbeprozess positiv zu umstalten. Ein geistiger Sterbeprozess. Wahrscheinlich wurden die Fenster aus der Angst nicht geöffnet, die Geister der Kinder könnten aus demselben entfliehen. Um ehrlich zu sein könnte nicht einmal ich wiedergeben, was denn stofflich im Unterricht durchgenommen wurde, da dies in dem Geschrei (seitens der Lehrpersonen) und den Zurechtweisungen untergegangen ist.

Wieder eine halbe Stunde mit dem Rad – nächstes Mal fahre ich mit dem Bus.

 

Zweiter Tag

Wieder hospitieren. Nach der Stunde gehe ich durch den Hinterausgang – jetzt brauche ich eine Zigarette. Im Eck des kleinen Vordaches sitzt ein auf die Vierzig zugehender Herr mit einer Bierdose, die er wohl gerade brauchte. Er stellt sich mir als Hausmeister der Schule vor und wir unterhalten uns recht angeregt. Wieder hospitieren – wenig Neues. Geschrei, Zurechtweisungen – wegen Zettel die nicht ordnungsgemäß eingeklebt wurden etc. Was hier zu vermitteln versucht wird hat sich mir noch immer nicht erschlossen.

 

Dritter Tag

Heute habe ich selbst unterrichtet – Konjugation von starken und schwachen Verben. Erste Erkenntnis – unerwarteter Weise hat mir das Unterrichten an sich Freude bereitet – es war meine erste abgehaltene Stunde. Von den vorbereiteten vier Arbeitsblättern habe ich nur eines durchbekommen. Das Geschrei der Aufsichtslehrperson hat mich etwas gestört, aber endlich konnte ich den Kindern auch ins Gesicht und nicht nur auf den Rücken sehen. A. in der ersten Reihe hat sich besonders intensiv beteiligt, im Anschluss wurde mir gesagt, dass sie nach dem AHS-Standard beurteilt wird, als einzige in der Klasse. Aufgefallen ist mir L., welcher mittig in der Klasse seinen Platz hat – obgleich ich bezweifle, dass der Ausdruck hier angebracht ist. Er starrte auf seinen Tisch, das Arbeitsblatt mit dem erteilten Auftrag vor ihm. Nach einigen Minuten, in welchen ich beobachtete, dass er nicht mit dem Ausfüllen begann, näherte ich mich seinem Tisch und fragte, ob er Probleme mit der Aufgabenstellung hätte. L. seufzt, nimmt langsam einen Bleistift zur Hand und schreibt ein Wort auf die erste Zeile. Zu mehr konnte ich ihn nicht überreden und ließ lieber ab, bevor die Aufsichtsperson etwas davon mitbekam, die Folgen wollte ich ihm ersparen. Generell haben die Schüler*innen einen sehr direkten Zugang zur Kommunikation. Gedanken werden meist wahllos und unreflektiert geäußert – worin ich Potential sehe.

 

Vierter Tag

Heute habe ich die Betreuungslehrperson gefragt, welche Sprachen denn so in der Klasse gesprochen werden. Ich hatte bemerkt, dass einige Schüler*innen Probleme hatten die Aufgabestellungen zu verstehen, hörte jedoch das manche von ihnen Französisch sprachen – eine Sprache, die ich zumindest gut genug beherrsche, um Angaben übersetzen zu können. Mir konnte keine Auskunft gegeben werden, außer einer weiteren Versicherung, dass zumindest Deutsch nicht von ihnen gesprochen wird.

 

Fünfter Tag

Meine Begeisterung für das Praktikum kann wohl der Veränderung innerhalb der Länge meiner Beiträge entnommen werden – sie schwindet. Eine gewisse Lethargie beginnt sich auszubreiten – eventuell eine Angst vor meiner zukünftigen beruflichen Betätigung – Angst vor dem, wozu ich in diesem System werden könnte, aber auch ein Eifer – dass kann es ja nicht sein! Oder?

Heute habe ich bei einer studierenden Person hospitiert und konnte eine Beobachtung machen. Die Person war sehr unsicher. Man bemerkte, dass sie sich unwohl in ihrer Position vor der Klasse fühlte – eine Angst. Was ich beobachten konnte war ein Wechsel, eine Veränderung, die eintrat. Die Person fiel in ihrer Haltlosigkeit in bekannte erlernte Muster zurück. Sie wurde übertrieben kritisch und hart zu den Schüler*innen und hat sie eben in selber weise zurechtgewiesen, wie wir das während unserer ersten Hospitationen von Lehrpersonen vernommen haben. Und wirklich sie schaffte es, dass die Klasse völlig verstummte und alle auf ihre Tische starrten – aber zu welchem Preis? Hier konnte ich beobachten, wie jemand zu jemandem wird, der man vermutlich nicht sein wollte, der man aber wurde, aus Angst und Unsicherheit – ein Fallen in das Bekannte – ein Halt, aber ein vager.

 

Sechster Tag

Ich stehe wieder am Hinterausgang unter dem kleinen Dach – eine Zigarette – vermutlich habe ich sie gebraucht. Der Platz gefällt mir. Ruhig prasselt ein sanfter Regen auf die Betonklötze – was man heute wohl unter Bänken versteht – herab. Ich mag diesen Ort. Schon immer hatte ich eine Neigung zum offensichtlich Kranken und Schiefen. Eventuell liegt dies in meiner psychischen Konstitution begründet, da ich mich selbst meist als „krank“ und „schief“ wahrnehme. Ich sehe hierin Möglichkeiten, Herausforderungen. Mein letztes Praktikum habe ich in einer Schule mit „gutem Ruf“ absolviert. Die Qualität des Unterrichts kann natürlich nicht mit dieser Situation verglichen werden, aber ich fühle mich freier hier – fühle mehr Möglichkeiten, für alle Beteiligten. Und mich zurückerinnernd konnte ich mich des Eindrucks nicht verwehren, dass es auch in der „guten Schule“ kränkelte, jedoch an einer anderen, weniger offensichtlichen Stelle, die ich wohl bis heute nicht genau diagnostizieren kann. Ja, ich mag es hier.  

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In Anbetracht der Tatsache, dass Segregation und Diskriminierung in Österreichs Schulen aktuell noch sehr präsent sind, ist es naheliegend, dass angehende Lehrpersonen nach Wegen suchen, um diesen Problemen entgegenzuwirken.

In der Thema Spezial Dokumentation, Schule fürs Leben und in der Fortsetzung Schule fürs Leben fünf Jahre danach werden einige Methoden in ihrer Anwendung gezeigt.

Im Zuge des Projekts wurden einigen Kindern einer Mittelschule, welche überwiegend von Kindern mit Migrationshintergrund besucht wird, ein Kind aus einem Gymnasium „zugeteilt“. Einerseits halfen die Kinder einander bei schulischen Aufgaben, andererseits lernten sie sich auch persönlich näher kennen und erhielten dadurch Einblicke in ganz andere Lebenswelten und Lebensgeschichten. Dadurch wurde nicht nur den Schülerinnen und Schülern aus der Mittelschule geholfen, sondern auch der Horizont der Schülerinnen und Schülern aus dem Gymnasium erweitert.

Eine weitere Methode, die in den Dokumentationen gezeigt wird, ist das Aufteilen der Kinder in schulinterne kleinere Lerngruppen. Das Konzept erinnert erstmal an die Leistungsgruppen, die in den Hauptschulen zur weiteren Unterteilung beim Benoten angewendet wurden, allerdings wird es hier wesentlich sinnvoller eingesetzt. Statt die Kinder in die erste oder zweite Leistungsgruppe einzuteilen und damit Segregation weiter zu unterstützen, wird in diesem Fall die Aufteilung zum Vorteil der Schülerinnen und Schüler genutzt. In den kleineren Lerngruppen kann dann nämlich auf einem gemeinsamen Niveau gelehrt und gelernt werden. Somit ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Schülerinnen und Schüler sich langweilen oder sich überfordert fühlen, wesentlich geringer.

Der Artikel Vielfalt im Klassenzimmer ist ein Gewinn von cornlesen.at zeigt auch einige Möglichkeiten auf, um durch Wahrnehmung und Wertschätzung der Segregation und Diskriminierung im Schulalltag entgegenzuwirken. Die wichtigste hierbei ist, den Schülerinnen und Schülern unvoreingenommen und ohne Vorurteile zu begegnen. Hierbei gehört es dazu, Interesse an den verschiedenen Herkunftsländern und Kulturen der Kinder zu zeigen. Abgesehen davon ist es auch wichtig mit Empathie an die Sache heranzugehen und zu versuchen, sich in die Gefühlslage der Schülerinnen und Schüler hineinzuversetzen. Ergänzend dazu, kann es auch sehr hilfreich sein, Diversität im Unterricht zu zeigen, um diese in der Realität der Kinder zu normalisieren. Das fängt bei Kleinigkeiten wie Illustrationen, Bildern und Videos an. Obwohl es irrelevant wirkt, kann es einen positiven Einfluss auf Schülerinnen und Schüler haben, wenn sie sich von den Menschen, die sie im Unterricht sehen, repräsentiert fühlen.

 

Redaktionsgruppe B: Altiona Lesko, Jakob Resch, Anna-Maria Prgic

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(Redaktionsgruppe A)

 Am Schulstandort 1050 Wien, Gassergasse 44 befindet sich in einem modern renovierten, historischen Gebäude die NMS / Schulzentrum Gassergasse. Hier lernen und lehren 250 Schüler*innen und 30 Lehrer*innen in 11 Klassen und auf jeder Schulstufe gibt es eine Integrationsklasse. Die Schüler*innen kommen hauptsächlich aus dem 5. Bezirk, sowie auch aus den umliegenden Bezirken 4, 6, 10 und 12. Durch die zentrale Lage ist eine gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz gegeben und die Schule gut erreichbar. Kinder von vielen verschiedenen Herkunftsländern, diversen Kulturkreisen und 30 verschiedenen Muttersprachen bereichern den Schulalltag. Der Unterricht findet nach dem Motto: „Entspannt lernen – bewegt leben“ statt. Die Schulschwerpunkte sind: Informatik, e-Learning mit Notebook, Integrationsklassen, eine Klasse mit Englisch-Schwerpunkt und die Bewegte Klasse 

  Heute finden die Schüler/innen in der neuen Mittelschule Gassergasse ein hochqualitatives Schulangebot, bestmögliche Voraussetzungen zum Erwerb jener Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es im späteren Leben braucht. (https://nms-gassergasse44.schule.wien.at/) Doch das war nicht immer so, 2016 machte die Direktorin Andrea Walach im Kurier mit einem Hilferuf auf die prekäre Situation an ihrer Schule auf sich Aufmerksam.  „Meine Schüler*innen haben zu 98 Prozent keine deutsche Muttersprache“, so Walach. „Die restlichen zwei Prozent kommen aus schwierigen Verhältnissen und benötigen Sozialarbeiterhilfe. Unsere Lehrer*innen bringen eine exzellente Leistung, sind aber schlichtweg überfordert.“ Die Aussage, dass ein Drittel der Absolventen direkt zum AMS wechseln und praktisch keine Chance haben eine eigenständige Existenz aufzubauen, sorgte für Bewegung in der Schuldebatte.

  Dieses Thema wurde im Rahmen des Projekts Schule fürs Leben, das 2014 vom ORF ins Leben gerufen wurde, aufgearbeitet. Ursprünglich war das Ziel, die Mittelschule Gassergasse und die AHS Rahlstraße ein halbes Jahr lang mit diesem Projekt zu begleiten und den Schüler*innen beider Schulen Einblicke in den jeweils anderen Schulalltag zu bieten. Es wurde versucht, Jugendlichen Entscheidungen zu erleichtern, sie möglichst individuell zu fördern und auch nach Abschluss des vom ORF begleiteten Zeitraums weiter zu unterstützen. Auf diese Weise wurde durch ein „Buddy-System“, bei dem jeweils ein*e Schüler*in der beiden Schulen gemeinsam lernten und miteinander Zeit verbrachten, die Integration gestärkt und Schüler*innen mit Migrationshintergrund geholfen im österreichischen Schulsystem zu überleben und ihren eigenen Weg möglichst erfolgreich einzuschlagen.

  In Folge des Projekts wurde die Mittelschule Gassergasse zu einem Schulversuch, und die Situation für Kinder mit Migrationshintergrund an dieser Schule änderten sich, wie oben beschrieben. Aber auch das Projekt Schule fürs Leben selbst bleibt weiter bestehen, ein Verein organisiert beispielsweise Theaterprojekte zur Sprachförderung oder Musikförderung durch Rhythmus, Stimme und Bewegung. An diesen kleineren Projekten können Klassengruppen oder gesamte Klassenverbände teilnehmen, wobei immer ein Augenmerk auf einer möglichst individuellen Förderung liegt. Es wird in diesem Rahmen versucht, Begabungen und Berufswünsche offen zu legen und diese gezielt fördern. Es wird sich dabei die Tatsache zunutze gemacht, dass das gemeinsame Tun Neugier und den Drang zum (Selbst-) Erforschen und Entdecken fördert, so auf der offiziellen Website des Projekts Schule fürs Leben beschrieben. Die Ziele und Leitgedanken dieses Projekts werden in zehn sogenannten “Geboten für die Neue Schule” festgehalten (http://www.schulefuersleben.at/10-gebote-der-neuen-schule). Aus einem Experiment für Fernsehreportagen hat sich also ein nachhaltiges Bildungsprojekt entwickelt. 

 Wie bereits angedeutet stehen im Zentrum der Entwicklungen am Schulstandort Gassergasse die Ambitionen einer Akteurin, in diesem Fall einer Direktorin, innerhalb des Bildungssystems, welche auf eine prekäre Situation aufmerksam machte und gemeinsam mit dem Lehrkörper bestrebt Veränderungen herbeiführte. Durch das öffentliche Interesse wurden zusätzlich “von außen” Hilfestellungen angeboten. Fragen die sich an diesem Punkt stellen lassen sind: Was kann aus dem Schulversuch am Standort Gassergasse gelernt werden? Welche Schlüsse für die Strukturierung des Schulsystems lassen die Ergebnisse zu? Der im Beitrag des ORF sprechende Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann plädiert auf die Notwendigkeit zur Freiheit der einzelnen Schulen, sich selbst in einer Form zu gestalten, welche den Schüler*innen notwendige Hilfestellungen bzw. einen angepassten Zugang zu Bildungsinhalten ermöglicht. An selber Stelle wird die Übernahme funktionierender Bildungssysteme anderer Länder bzw. eine weitere Ausdifferenzierung des österreichischen Bildungssystems verneint. Hopmann spricht sich für eine größere Flexibilität innerhalb des bestehenden Systems aus. Wie ist es um die Freiräume im österreichischen Bildungssystem beschaffen? 

Im Zuge der Bildungsreform aus dem Jahr 2017 wurde ein “Autonomiepaket” bewilligt, welches dem Plädoyer Hopmanns nachkommt. Um aus den offiziell angeschlagenen Zielformulierungen des Bildungsministeriums zu zitieren, soll unter anderem eine “Maximale pädagogische Gestaltungsfreiheit am einzelnen Schulstandort zur Erstellung innovativer Bildungsangebote bei gleichzeitiger Planungs- und Ressourcensicherheit” (https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/zrp/bilref.html) gewährleistet werden. Ohne das 84-seitige Handbuch zum Autonomiepaket durchzustudieren, kann vermutet werden, dass gewisse Freiheiten für Schulen im Bildungssystem existieren, wie der Schulversuch Gassergasse nahelegt, welche jedoch nur an wenigen Stellen umfänglich genutzt werden. Dies wirft nun wiederum die Frage auf: Warum ist dies der Fall?   

 Vermutet kann werden, dass das Paket noch recht “jung” ist und rund vier Jahre nicht ausreichen, um schulintern größere Umstrukturierungen vorzunehmen. Hinterfragt kann ebenfalls werden, wie es um die Fluidität der eventuell benötigten Gelder beschaffen ist (das Argument “Wir bekommen kein Geld” ist seitens der Schulleitungen durchaus geläufig). Wobei zu erwähnen sei, dass viele strukturelle Veränderungen ohne finanzielle Mehraufwände zu bewerkstelligen wären. Ein Gebäude, Lehrpersonal sowie Schüler*innen für einen Unterricht sind als vorausgesetzt anzunehmen – Gegebenheiten, welche bereits einen gewissen Spielraum zulassen würden. Weitere Hinterfragungen können auf das Wissen der Akteure und Akteurinnen im System abzielen. Sind sich Lehrpersonen bzw. Schulleiter*innen ihrer Möglichkeiten bewusst und eventuell noch wichtiger – wollen sie diese wahrnehmen? Existieren überhaupt konkrete Ideen und Vorstellungen, wie diese Umstrukturierungen beschaffen sein könnten? An dieser Stelle kann auch an Fortbildungsstellen adressiert werden. Bildungsangebote für Lehr- und Leitungspersonal hinsichtlich alternativer Zugänge zu Schule und Lernen können das Bewusstsein um Notwendigkeit, sowie das vermehrte Gefühl einer Sicherheit im Hinblick auf eine Umsetzung selbiger steigern. Vor dem dargelegten Hintergrund treten Individuen innerhalb des Systems in den Vordergrund und werden gefragt: Wollen wir? 

 Trotzdem muss auch bedacht werden, dass nicht immer große Veränderungen, was die räumlichen Ausstattungen, die gesamte Unterrichtsdurchführung und das Leitbild der Schule ausmacht, nötig sind, um die Lernenden in Brennpunktschulen vielseitig und nachhaltig zu unterrichten. Neben dem Beispiel der Brennpunktschule in der Gassergasse, der es mittlerweile gut gelingt, Schüler*innen mit Migrationshintergrund ein breitflächiges und effektives Bildungsangebot darzulegen, muss auch gesagt werden, dass oft schlicht und einfache Handlungsstrategien auf Beziehungs-, Unterrichts- und Schulebene ausreichen, jede*n Schüler*in optimal zu integrieren und zu fördern. Sehr wichtig ist, dass vonseiten der Lehrpersonen Toleranz und Respekt gegenüber den Kindern und Jugendlichen aller Kulturen, Sprachen und Ländern gezeigt wird – was auch den Mitschüler*innen als Anreiz und zum Vorbild dienen soll. Außerdem ist es wichtig, dass die Lehrer-Schüler-Beziehung von Vertrauen und Wertschätzung geprägt ist, wo sich die Lernenden jederzeit an ihre*n Lehrer*in wenden können, um etwaige Probleme neutral und in sensiblen Umgang zu klären und zu bereden. Was die Ebene des Unterrichts betrifft, so können in Fächern wie Geographie und Wirtschaftskunde oder Geschichte und politische Bildung gesellschaftspolitische und verschiedene kulturelle Themen aufgegriffen werden, um das Interesse und die Toleranz der jungen Menschen anderen Kulturen gegenüber zu steigern. Außerdem wird auf eine Klassen-Regeln unterworfene Unterrichtsatmosphäre Wert gelegt. Positiv ausschlaggebend für eine Förderung von Kindern anderer Kulturen können auch Maßnahmen auf Schulebene sein. Zum Beispiel die Durchführung von Veranstaltungen, an denen verschiedene Kulturen präsentiert werden, oder das Aufhängen von Plakaten mit verschiedensprachigen Grußformeln oder multikulturellen Merksätzen können zu einer guten Integration und einem lernfördernden Schulklima beitragen. Dem ist noch hinzuzufügen, dass neben dem Deutschunterricht auch Muttersprachenunterricht der unterschiedlichen Kulturen angeboten wird. Nebenbei bemerkt heißt es, dass als Grundlage für einen effizienten Fremdsprachenunterricht ausreichenden Kenntnisse in der Muttersprache nötig sind. 

Neben all den Maßnahmen ist jedoch auch ein gesellschaftliches und bildungspolitisches Umdenken gefragt. Die Situation in Brennpunktschulen soll entschärft werden. Noch besser wäre, mit politischen Rahmenbedingungen eine Verhinderung der Entstehung von Brennpunktschulen, die durch die Segregation oft eine Zweiklassengesellschaft erzeugen, zu erreichen. “Es würde verstärkt zu einer Integration und Verbesserung der Deutschkenntnisse auf Seite der Schüler*innen mit Migrationshintergrund führen und das Leistungsgefälle zwischen den Schulen reduzieren. Gleichzeitig profitieren Schüler*innen ohne Migrationshintergrund von den vielen Vorteilen, die eine kulturelle Diversität mit sich bringt, wie die Entwicklung einer weltoffenen Einstellung, das Kennenlernen neuer Traditionen und Bräuche und eine generelle Horizonterweiterung.” (Moritz, 2021 S. 76) 

Solange jedoch Brennpunktschulen als solche noch existieren, ist es auch bereits ein großartiger Schritt in diesem Bereich, sich an oben genannten Beispielen und Vorschlägen ein Vorbild zu nehmen oder es der NMS Gassergasse gleich zu machen. So können die Bildungssituation für die lernenden Kinder optimiert und in Folge ihre beruflichen Chancen verbessert werden.

(ein gemeinsamer Beitrag von Michaela Rudinger, Elena Schüssling, Simon Elias Unteregger und Gloria Gruber – Redaktionsgruppe A)

Literaturverzeichnis:

Metzger, I. (2016, 23. Oktober). Direktorin Walach “Warten seit 15 Jahren auf Autonomie”

https://kurier.at/politik/inland/schulautonomie-paket-im-check-direktorin-walach-warten-seit-15-jahren-auf-autonomie/226.769.526

Schule fürs Leben – Bildungspatenschaften für Jung und Alt. Entstehungsgeschichte. http://www.schulefuersleben.at/ueber-den-verein/entstehungsgeschichte (zugegriffen am 30.12.2021).

Schule fürs Leben – BIldungspatenschaften für Jung und Alt. Die 10 Gebote der Neuen Schule. http://www.schulefuersleben.at/10-gebote-der-neuen-schule (zugegriffen am 30.12.2021).

Bildungsreform 2017 (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung): Ziele der Bildungsreform. https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/zrp/bilref.html (zugegriffen am 7.01.2021) 

Moritz, Marie (2021); Masterarbeit Universität Graz: Unterrichtsstörungen in Form von interkulturellen Konfliktsituationen in Klassen der Sekundarstufe 1.  https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/6714715/full.pdf (zugegriffen am 8. 01. 2021)

Weiterführende Online-Verweise: 

Link zum Beitrag des ORF: https://www.youtube.com/watch?v=mLetHMQfrN8

Link zum Download des Handbuchs zur Erweiterung der Schulautonomie (2017): https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/zrp/bilref/handbuch_schulautonomie.html