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In diesem Artikel soll es um den Menschen selbst gehen, der durch die Eingliederung in einen Bildungsprozess gleichzeitig auch einem Formprozess unterliegt.

Die Macht der institutionalisierten Bildung

Bildungsinstitutionen sind gesellschaftlich gewollte Orte methodisierter Menschenbildung und Kulturübertragung und sehen ihren Auftrag in der Internalisierung von kulturellen Grundüberzeugungen, in der Weitergabe von Wissen sowie im Vermitteln von Fertigkeiten. Sie arbeiten dabei intensiv an den mentalen Strukturen und dem Wertesystem der in ihnen heranwachsenden Menschen. Somit kann man sagen, dass der Mensch gewissermaßen einen „Fertigungsprozess“ durchläuft, dessen Endresultat durch externe Faktoren (wie eben Gesellschaft, Politik, etc.) vorgegeben wird. Die Bildungsinstitutionen haben diesbezüglich grob folgende Ziele:

  • Menschen sollen etwas glauben
  • Menschen sollen etwas wissen
  • Menschen sollen etwas können
  • Menschen sollen ein bestimmtes Selbst- und Weltverständnis entwickeln

Besonders interessant ist hierbei das „Glauben“ sowie das Selbst- und Weltverständnis: Es handelt sich hier um Haltungen und Bilder vom Menschsein, die in ihrer Ausformung den bereits erwähnten externen Faktoren entsprechen müssen – denn sie sind es, die die Bildungsinstitutionen bedingen. Es existiert eine menschliche Norm, ein Leitbild eines „geformten“ Menschen, der sich abgrenzt vom „ungeformten“ Menschen. Aus den vielen verschiedenen Möglichkeiten des Menschseins wird auf diese Weise eine erwünschte selegiert und verstärkt: Es werden seelische Strukturen, Werteorientierungen und Fähigkeiten produziert.

Von der Geschichte des Schulwesens

Da die Inhalte und die Methoden der Bildungsinstitutionen Aufträgen externer Instanzen (konkret: Die Politik – ihrerseits gestaltet im Spannungsfeld ökonomischer Bedingungen) geschuldet sind, die naturgemäß ihre Interessen in der Gesellschaft zur Durchsetzung bringen wollen, muss Schule als Ort der Konkretisierung gesellschaftspolitischer Wertvorstellungen auch immer wieder im Rahmen gesellschaftskritischer Betrachtungen in den Fokus rücken. Dass Schulen im Dienst der externen Institutionen und der Gesellschaften stehen, aus denen sie entspringen, zeigt die Geschichte. Wirft man einen Blick zurück in die Geschichte des Schulwesens, so zeigt sich, dass Schule nicht vorrangig der Bildung der Person, sondern der Gewinnung „treuer Diener des Reiches“, „guter Christenmenschen“ und „ergebener Untertanen“ diente. Es zeigt sich, dass Schule ein machtpolitisches Instrument war, das nach wirtschaftlichen Zielen organisiert war. In Verordnungen des 18. Jahrhunderts etwa wurde gefordert, dass die Schüler „als Werkzeuge zugerichtet werden mögen, die dem gemeinen Wesen […] nützliche Dinge zu leisten im Stand seyen“. Dies sollte beispielsweise dadurch geschehen, indem sie lernen sollten „nach Vorschrift zu arbeiten“ und ihren „Eigenwillen zu verleugnen“. Hier wird die Disziplinierung und das Etablieren von Herrschaftsverhältnissen als Funktion der Schule deutlich. Auch heute könnte man noch sagen, dass die Schule ein Dienstleistungsbetrieb für die Umsetzung der jeweiligen staatlichen Ziele geblieben ist.

Schule im Nationalsozialismus

Wie sehr das Bildungswesen für staatliche Zwecke missbraucht werden kann, zeigte sich auf deutliche Weise in der Zeit des Nationalsozialismus: Hier stand die Schule ganz im Dienste staatskonformer Bewusstseinsbildung. Abseits der Traditionen der Aufklärung, vernunftbasierter Argumentation und Freiwilligkeit des Einzelnen wurde ohne Ausnahme die Einübung blinder Gefolgschaft seitens des Regimes gefordert. Für Individualität, geschweige denn Inklusion, wie wir sie heute begreifen, war kein Platz vorgesehen. Die furchtbaren Folgen machen deutlich, wie schwerwiegend die kulturpolitische Bedeutung des Bildungswesens sein kann. Dieser Missbrauch von Schule als machtpolitisches Instrument der Nationalsozialisten zeigt sich auch nach Ende des zweiten Weltkriegs als folgenschwer: Die Kinder, die diesen schulischen Prozess der Indoktrination in einer ihrer prägendsten Phase durchlaufen haben, befinden sich nach 1945 im besten Alter, um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden und diese maßgeblich mit ihrer Stimme zu beeinflussen. Es liegt nahe zu vermuten, dass das braune Gedankengut und die Wertvorstellungen dadurch noch bis weit hinein in die Nachkriegszeit gedrungen sind und wirken konnten.

Diese Überlegungen zeigen, wie gefährlich die Gratwanderung sein kann, die sich durch die Tatsache ergibt, dass Bildungsinstitutionen zwar einerseits Menschen in ihren individuellen Zielen voranbringen sollen, andererseits aber eine wesentliche Rolle hinsichtlich der Sozialisation von Menschen spielen. Ein Aspekt dieser Sozialisationsfunktion, nämlich die sogenannte „Leistungsideologie“, soll Gegenstand des nächsten Artikels sein.

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Literatur (sämtlicher Artikel dieser Reihe):

Bohnsack, F. (2008). Schule – Verlust oder Stärkung der Person? Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Fend, H. (20082). Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Grimm G. (2011). Uniformierung und (Sozial-)Disziplinierung als pädagogisch-bildungs-politische Leitprinzipien bei der Grundlegung des öffentlich-staatlichen Pflichtschulwesens in Österreich im 18. Jahrhundert. In S. Sting, & V. Wakounig (Hrsg.), Bildung zwischen Standardisierung, Ausgrenzung und Anerkennung von Diversität, Band 12. (S. 101-113). Wien: LIT Verlag.

Klein, R. (2010). Fest-Stellungen: zur Entsorgung von Reflexivität durch Kultur- und Bildungsstandards. In S. Dungs (Hrsg.), & R. Klein, Standardisierung der Bildung. Zwischen Subjekt und Kultur. (S. 29-54). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Oelkers, J. (2003). Wie man Schule entwickelt. Eine bildungspolitische Analyse nach PISA. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz Verlag.

Tauscher, A. (1968). Die Stellung des Lehrers in der Gesellschaft von heute oder Die Begegnung von Wirtschaft und Schule. In. Sozial- und Wirtschaftskundliche Schriftenreihe, Heft 5. Wien: Sparkassenverlag Gesellschaft m.b.H.

Winter, F. (2006). Leistungsbewertung. Eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schülerleistungen. In J. Bennack, A. Kaiser, & R. Winkel (Hrsg.), Grundlagen der Schulpädagogik, Band 49. Stuttgard: Schneider Verlag.

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