In den 60er- und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Diskussionen um das Bildungswesen laut, die eine kritische Wende in der Betrachtungsweise von Bildungssystemen einläuteten: Diese wurden nun kritisch im Lichte des Kapitalismus betrachtet. Demnach hatte das Schulsystem für die Gesellschaft primär drei Bedeutungen:
- Der Staat finanziert die Herstellung von für das kapitalistische Wirtschaftssystem wichtigen Qualifikationen, deren Herstellung für das „Kapital“ aber finanziell zu aufwendig wäre und daher in das Schulsystem verlegt wird.
- Schulsysteme lehren das Akzeptieren sowohl von Herrschaftsverhältnissen als auch insbesondere der Produktionsverhältnisse einer kapitalistischen Gesellschaft.
- Schulsysteme dienen der Reproduktion der Klassengesellschaft
Gerade die letzten zwei Punkte sind im Hinblick auf die Vergangenheit des Schulsystems durchaus berechtigt.
Der sich über viele Schuljahre intensivierende Haupteffekt dieser schulischen Beeinflussung wurde ganz wesentlich im Generieren von Haltungen und Einstellungen ausgemacht, die eben von Nöten waren, um unter industriellen und kapitalistischen Produktionsbedingungen ein angepasstes Verhalten zu erzeugen. Hinzu kommt die schulische Beeinflussung bezüglich arbeitsmarktgerechter Qualifikationen sowie das Selektieren und soziale Schichten der Heranwachsenden.
Wie bildungsbezogenes Denken zu jener Zeit geleitet ist durch wirtschaftliche Vorstellungen zeigt ein kleiner Auszug aus einem Heft einer Schriftenreihe, das 1968 erschienen ist (somit genau in die betreffene Zeit passt) und die Begegnung von Schule und Wirtschaft thematisiert :
Es wird deutlich, wie eng verwoben hier Bildung und Wirtschaft gesehen werden. Auch fällt der Einzug von Wirtschaftssprache in den Bildungsbereich auf, wenn zum Beispiel von „Bildungskapital“ gesprochen wird – ein Umstand, der häufig beobachtet werden kann und uns auch im nächsten Artikel begegnen wird. Dann wird es nämlich ganz konkret um die Frage gehen, wie weit Wirtschaft mit Bildung in Abhängigkeit steht und welche Zusammenhänge und Bedingungen sich aus einer solchen Konstellation ergeben.
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Literatur (sämtlicher Artikel dieser Reihe):
Bohnsack, F. (2008). Schule – Verlust oder Stärkung der Person? Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.
Fend, H. (20082). Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Grimm G. (2011). Uniformierung und (Sozial-)Disziplinierung als pädagogisch-bildungs-politische Leitprinzipien bei der Grundlegung des öffentlich-staatlichen Pflichtschulwesens in Österreich im 18. Jahrhundert. In S. Sting, & V. Wakounig (Hrsg.), Bildung zwischen Standardisierung, Ausgrenzung und Anerkennung von Diversität, Band 12. (S. 101-113). Wien: LIT Verlag.
Klein, R. (2010). Fest-Stellungen: zur Entsorgung von Reflexivität durch Kultur- und Bildungsstandards. In S. Dungs (Hrsg.), & R. Klein, Standardisierung der Bildung. Zwischen Subjekt und Kultur. (S. 29-54). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Oelkers, J. (2003). Wie man Schule entwickelt. Eine bildungspolitische Analyse nach PISA. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz Verlag.
Tauscher, A. (1968). Die Stellung des Lehrers in der Gesellschaft von heute oder Die Begegnung von Wirtschaft und Schule. In Sozial- und Wirtschaftskundliche Schriftenreihe, Heft 5. Wien: Sparkassenverlag Gesellschaft m.b.H.
Winter, F. (2006). Leistungsbewertung. Eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schülerleistungen. In J. Bennack, A. Kaiser, & R. Winkel (Hrsg.), Grundlagen der Schulpädagogik, Band 49. Stuttgard: Schneider Verlag.