Egalitäre Differenzen in der Bildung?
Eine egalitäre Differenz. Was würden Sie mit diesem Begriff assoziieren? Handelt es sich hier nicht eigentlich um eine Antithese in einem Satzgefüge?
Zur Erklärung, der Begriff Egalität wird gemäß dem Duden determiniert als „politische oder soziale Gleichheit, Gleichberechtigung“ (Dudenredaktion, o.D.). Und die Differenz trägt im Wörterbuch die Definition „Verschiedenheit“ (Dudenredaktion, o.D.). Verschiedenheit und Gleichheit gelten somit als gegensätzliche Termini. Das Prinzip der egalitären Differenz besteht allerdings nicht darin diese gegenüber voneinander existieren zu lassen sondern nebeneinander zu stellen und in der Kombination anzuwenden, vor allem im Bildungskontext im Sinne einer „Pädagogik der Vielfalt“ (Prengel, 2001, S.96). Wie genau diese Form der Erziehungslehre aussehen soll, dazu später mehr.
Nun soll nämlich darauf eingegangen werden, dass unser derzeitiges Bildungssystem offensichtlich noch nichts von dieser Initiative oder Idee gehört zu haben scheint, beziehungsweise dürfte man in der Umsetzung größtenteils gescheitert sein. Diese Chancengleichheit beziehungsweise Gleichberechtigung bei Toleranz und Wertschätzung von allen „askriptiven Faktoren“ (Schneickert, 2013, S.1) wie die Herkunft, das Geschlecht, die individuellen Orientierungen, etc., wäre optimal für ein gerechtes, effektives Bildungssystem fern von Exklusion, Diskriminierung, Wertehierarchien. Allerdings, traurig aber wahr, bestehen diese Prinzipien fern von unseren Bildungsinstituten.
Christian Schneickert beschäftigt sich in seinem Werk „Illusion der Chancengleichheit“ (2013, S.1-5) mit der Positionierung und Funktion von Universitäten und vor allem von Schulen in unserer Gesellschaft. Er verweist auf die Soziologen Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron, die in diesem Sinne um 1960 bereits auf wertvolle aber erschreckende Erkenntnisse bezüglich vieler Bildungsinstitute in Europa (natürlich gibt es immer Ausnahmen!) gestoßen sind.
Diese Erkenntnisse sollen nun kurz skizziert werden. Indem die SchülerInnen nach ihren Leistungen bewertet werden, würde man davon ausgehen, dass sogenannte „Bildungs- und Leistungshierarchien“ (Schneickert, 2013, S.1) gebildet werden, allerdings werden dadurch Wertehierarchien in einem sozialen Gesellschaftssystem rekonstruiert sowie produziert. Vor allem die Abschlüsse an unterschiedlichen Schulen, die wiederum über einen gewerteten Status verfügen, ordnen denjenigen Absolventen oder diejenige Absolventin in eine bestimmte Klasse ein, wodurch je nach den dadurch erworbenen Privilegien verschiedene Berufs- und Ausbildungswege angestrebt werden können, beziehungsweise „müssen“, vorgegeben in einer gesellschaftlichen Wertehierarchie (auch hier gibt es natürlicherweise und glücklicherweise Ausnahmen!). Die Bildungsinstitutionen haben somit den Auftrag der „Legitimierung sozialer Ordnung“ (Schneickert, 2013, S.1).
Und nun fragt man sich, weswegen das Bildungssystem eigentlich so stabil in einer Gesellschaft steht und nie hinterfragt wird. Laut Schneickert (2013), beziehungsweise nach Bourdieu und Passeron, gilt in einer Gesellschaft die Grundannahme sowie Überzeugung, das Bildungswesen besteht vorzüglich aus einer Bildung und Ausbildung, nichts weiter. Diese angeführten Erkenntnisse erklären, weswegen diese „Chancengleichheit“ eine reine Annahme in der Theorie ist, jedoch in der Praxis keineswegs umgesetzt wird. (vgl. Schneickert, 2013, S.1)
Genau dies Chancengleichheit würde nun aber in einem von egalitären Differenzen geprägten Bildungssystem umgesetzt werden. Gleichberechtigung bei Wertschätzung von Vielfalt und Andersartigkeit. Die Konstruktion und Produktion einer sozial strukturierten hierarchisierten Gesellschaft hätte hier keinen Platz. Es wird hier gemäß Prengel (2001) versucht, sich der „Heterogenität“ (Prengel, 2001, S.99) anzupassen und diese zu fördern, „die sich nicht in Hierarchie-, Komparativ-, Symmetrie- oder Analogiebildungen überführen lassen“ (Prengel, 2001, S.99).
Nun stellt sich noch die Frage, wie genau dies in einer pädagogischen Situation umgesetzt werden soll. Zunächst sollte und muss eine Lehrperson im Sinne einer egalitär-differenzierten Bildung eine bestimmte Geisteshaltung einnehmen, in der sie offen für eine Andersartigkeit und die diversen „Lebens- und Lernweisen“ (Prengel, 2011, S.102) aller Individuen einer Gesellschaft ist. Auch sollte diese bestrebt sein, allen Lernenden idente Chancen beim „Zugang zu Bildungseinrichtungen“ zu verschaffen und sich ebenfalls für ihre Befähigung an gesellschaftlicher Partizipation einsetzen. Ein weiterer wichtiger Punkt wäre das Aufbringen einer Klarheit bezüglich dem „Beziehungsangebot der Pädagoginnen und Pädagogen“ (Prengel, 2001, S. 102).
All diese Grundsätze und noch viele weitere Punkte wären essentiell, um eine egalitäre Differenz in der Bildung zu erschaffen. Leider sind wir vor allem in unseren Bildungsschichten noch größtenteils weit davon entfernt, wie es uns diverse Artikel und Forschungsergebnisse beweisen. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.
Literatur:
Dudenredaktion (Hrsg.). (o.D.) Egalität. Differenz. Zugriff unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/Egalitaet. https://www.duden.de/rechtschreibung/Differenz.
Prengel, Annedore (1993): Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik. Opladen: Leske + Budrich (2. Auflage 1995 )
Schneickert, Christian (2013): Illusion der Chancengleichheit. Zugriff unter: http://www.gloeb.de/index.php?title=Illusion_der_Chancengleichheit/.