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Ob Bildungsstandards, Neue Mittelschule, Pädagog/innen-Bildung NEU, neue Reife- und Diplomprüfung oder schulische Tagesbetreuung: All diese Projekte, Maßnahmen und Vorgaben haben einen gemeinsamen Kern; sie weisen bei aller Unterschiedlichkeit von Begrifflichkeiten und Akzentsetzungen in eine gleiche Richtung, indem sie…

  • Schüler/innen ganzheitlich, als eigenständige Persönlichkeiten wahrnehmen, deren Entwicklung als Individuen und Mitglieder der Gesellschaft das zentrale Anliegen von Schule darstellt
  • die Unterschiedlichkeit von Schüler/inne/n in Lerngruppen als Normalfall und Chance zugleich betrachten
  • die Lerngemeinschaft für die Entwicklung der/des Einzelnen für unverzichtbar halten
  • das Lernen als immerwährende, eigenständige, höchst persönliche Aktivität jedes Menschen sehen, deren Erfolg und Nachhaltigkeit maßgeblich von „Ownership“ und gelingenden Beziehungen abhängen
  • möglichst vielfältige Lernangebote für alle Schüler/innen fordern, im Sinne der Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit in einer inklusiven Schule
  • sich dabei zweckentsprechend und verantwortungsbewusst der Möglichkeiten neuer Informations und Kommunikationstechnologien bedienen
  • aus all dem die Notwendigkeit einer Akzentverschiebung im Spektrum der Lehrer/innen-Rollen und der Lehrer/innen-Bildung ableiten, indem sie der aktiven, fördernden und fordernden „Lernbegleitung“ mehr Gewicht zuweisen als bisher (Wolf, 2012).

Empirische Studien belegen, dass eine hohe Diagnosekompetenz von Lehrkräften zu besseren Lernleistungen der Lernenden führt (Helmke, 2009, S. 132, zit. Heinrichs, 2015b.). Diese Aussage bestätigt der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie in seiner Studie „Lernen sichtbar machen“ (2013). Auch in Deutschland ist von einer wachsenden Heterogenität der Lerngruppen in der Erwachsenenbildung auszugehen. Dadurch gewinnt insbesondere die Individualdiagnostik an Bedeutung. Die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in dem „Programme for the International Assessment of Adult Competencies“ (PIAAC) durchgeführte Erhebung zeigt, dass fehlende Kompetenzen und Qualifikationen die erfolgreiche Teilhabe an der Gesellschaft einschränken, d.h. dass letztlich die Chancen des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt sinken (Heinrichs, 2015b).

All diese Punkte führen zu dem Schluss, dass ein den Lernerbedürfnissen angemessener Unterricht, nur ein individualisierter Unterricht sein kann. Individualisiertes Unterrichten benötigt wiederum ein fundiertes Wissen um das Vorwissen und die Lernkompetenzen jeder einzelnen Schülerin, jedes einzelnen Schülers. Der Weg dorthin besteht in einer gewissenhaft und fundiert gestalteten Diagnose, die es ermöglicht, unterrichtsrelevante Hypothesen und vorläufige Feststellungen für die Planung von Unterricht zu formulieren.

Pädagogische Diagnostik? Wozu?

Nein, Lehrer/innen sind keine Ärzte und Ärztinnen und doch gehört die pädagogische Diagnose zum Kern ihrer Arbeit. Wenn Lehrer/innen diagnostizieren, erschließen und analysieren sie – mit den Instrumenten und Verfahren der pädagogischen Diagnostik – Lernvoraussetzungen, Lernprozesse und Lernstände von Lernenden und leiten daraus Maßnahmen ab. Dabei richten sie ihren Blick vor allem auf die Ressourcen jeder/s einzelnen Lernenden (BMBF, 2015, S. 36).

Diagnostizieren gehört zum Kerngeschäft von Lehrer/inn/en. Um Schüler/innen wirksam beim Lernen unterstützen zu können, müssen sich Lehrer/innen immer wieder ein Bild davon machen, wo ihre Schüler/innen gerade stehen, sonst agieren sie leicht an deren Bedürfnissen vorbei. Dabei ist es wichtig, den Lernprozess aus der Perspektive des Schülers/der Schülerin zu sehen: Über welches Vorwissen verfügt er/sie? Ob und inwieweit wurde ein Ziel bereits erreicht bzw. eine Kompetenz erworben? Wo besteht noch Verbesserungsbzw. Förderbedarf? Was kann der/die Schüler/in besonders gut? Wo liegen die Interessen und Stärken? Wo hat er/sie Schwierigkeiten? Förder- oder Lernprozessdiagnostik dieser Art dient nicht nur der Unterstützung der Lernenden und deren Lehrer/innen, sondern auch der Eltern (BMBF, 2015, S. 35).

Diagnostische Feststellungen bzw. Urteile können „einerseits der Selektion dienen, wobei es sich dann häufig um statusdiagnostische und explizite Urteile handelt, die zudem zumeist mithilfe formeller oder semi-formeller Methoden erhoben wurden“ (Heinrichs, 2015a, S. 19). „Andererseits lassen sich Diagnosen finden, die der Modifikation dienen und sich der Prozessdiagnostik zuordnen lassen. Zumeist münden diese Diagnosen in impliziten Urteilen und bedienen sich informeller Methoden.“ (Heinrichs, 2015a, ebd.)

Können sich Lehrer/innen nicht einfach auf ihr Bauchgefühl verlassen?

„Das Bauchgefühl ist für schnelles Handeln in laufenden Unterrichtsprozessen unverzichtbar, angemessen und sehr sinnvoll. Und es ist mitunter auch trügerisch. Empirische Untersuchungen belegen, dass Lehrer/innen die Rangfolge der Schülerleistungen innerhalb einer Klasse recht genau einschätzen. Bei der Einschätzung des absoluten Niveaus von Schülerleistungen kommt es allerdings sehr häufig zu Fehlurteilen.

Es gibt also Situationen im pädagogischen Schulalltag, in denen es zur Überprüfung, Ergänzung und Bestätigung von subjektiven Urteilen eine kriteriengeleitete Diagnostik braucht. Wichtiger als eine hohe Genauigkeit ist dabei die Bereitschaft, einmal gebildete Urteile zur reflektieren und bei Bedarf anzupassen. (BMBF, 2015, S. 35)

Dabei kommt Lerndiagnosen eine grundlegende Bedeutung zu. Sie beschreiben methodische Lern­voraussetzungen der Schüler/innen sowie deren Fähigkeiten und Fertigkeiten in Bezug auf die Wis­sensaneignung. Ebenso werden emotionale und motivationale Kriterien erhoben. Nach Buholzer (2010) folgen Lerndiagnosen dabei folgenden Punkten:

  • „Lerndiagnosen befassen sich mit individuellen Lernprozessen und erlauben so eine Anerkennung
  • dessen, was Kinder und Jugendliche leisten und lernen.
  • Lerndiagnosen richten den Blick auf das Kind und auf das Verstehen der individuellen Lernpro­zesse und weniger auf die curricularen und durch die Institution Schule reproduzierten Normen und Formen der Leistungsbeurteilung.
  • Lerndiagnosen liefern aber nicht nur Informationen für individuelle Förderprozesse, sondern auch für die Planung und Steuerung des Unterrichts insgesamt.
  • Lerndiagnosen bieten Gesprächsanlässe, um über das beobachtete Lernverhalten zu sprechen: Schülerinnen und Schüler beraten dann gemeinsam mit ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin, wie die Arbeit verbessert werden könnte und welche Schritte jetzt anstehen, damit der Einzelne und auch die Klasse vorankommen […]“ (Buholzer, 2010, S. 5–6).

Lern und Lernprozessdiagnostik in der Praxis

Lerndiagnosen kommen in der Praxis auf vielfältige Art und Weise zustande und reichen von mehr oder weniger zufälligen Beobachtungen bis hin zu langfristig geplanten und systematisch angelegten Überprüfungen ausgewählter Leistungsbereiche. Als besonders hilfreich zur Gewinnung pädagogischer Einsichten und die Entwicklung von Förderperspektiven haben sich dabei das Beobachten, das Lehr-Lern-Gespräch sowie Lernstandserfassungen erwiesen. (Buholzer, 2010, S. 6)

Lernprozessdiagnostik ist in den meisten Fällen in das Unterrichtsgeschehen eingebunden. Sie findet immer dann statt, wenn Lehrende geplant und systematisch Informationen zum Lernstand und Lernprozess der Lernenden einholen, um daraus Fördermaßnahmen abzuleiten bzw. die Schüler/innen selbst zu eigenverantwortlichem Lernen zu befähigen. Das kann z.B. eine gezielte Beobachtung einer einzelnen Schülerin/eines einzelnen Schülers im Rahmen einer kooperativen Arbeitsphase im Deutschunterricht sein, in der ihre Teamfähigkeit mittels Beobachtungsbogen erhoben wird, oder die Auswertung der schriftlichen Selbsterklärungen der Klasse […], die zu Lösungsmöglichkeiten von Gleichungen in der Mathematikstunde verfasst wurden. (BMBF, 2015, S. 35)

Was haben die Schüler/innen davon, wenn sich ihre Lehrer/innen mit Lernprozessdiagnostik auseinander setzen?

„Wissenschaftlichen Studien zufolge ist Kompetenz im Bereich Lernprozessdiagnostik bei Lehrenden ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Lernenden. Das Wissen um die individuellen Lernvoraussetzungen, Lernprozesse und Lernstände ist Grundlage für individuelle Förderung und Lernprozessbegleitung sowie für das selbstgesteuerte Lernen der Schüler/innen“ (BMBF, 2015, S. 35).

Adaptiver Unterricht – Darunter verstehen wir einen Unterricht, der sich unter Berücksichtigung der allgemeinen Gesetzmässigkeiten des Lernens und Lehrens an die individuellen Gegebenheiten der Schülerinnen und Schüler anpasst und die Lernumgebung entsprechend gestaltet. Dies erfordert auf Seiten der Lehrperson Kompetenzen in folgenden Bereichen […]:

1. Schülerunterstützende Diagnosen: Lehrpersonen erkennen Ressourcen, Fähigkeiten und individuelle Bedürfnisse der Lernenden. Sie können den Lernenden und Erziehungsberechtigten eine klare und nachvollziehbare Rückmeldung über die Lernentwicklung und ihre Perspektiven geben.

2. Binnendifferenzierte Unterrichtsgestaltung: Lehrpersonen gestalten Lernumgebungen mit individuellen und gemeinschaftlichen Anteilen, die dem Spektrum der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen angepasst sind.

3. Lernprozesse steuern: Lehrpersonen haben Vertrauen in die Lernbereitschaft ihrer Lernenden und unterstützen sie darin zu entdecken, wie sie auch gemeinsam mit anderen den eigenen Lernprozess steuern können.

4. Ressourcen vernetzen: Lehrpersonen können divergente Anforderungen mit dem eigenen Rollenbild in Einklang bringen. Sie schätzen ihre Stärken und Grenzen im Umgang mit Heterogenität realistisch ein und holen sich entsprechendes Know-how durch Zusammenarbeit und Weiterbildung.

5. Sozialgefüge Lerngruppe: Lehrpersonen sind überzeugt, dass Konflikte und Auseinandersetzungen zum Zusammenleben gehören und Lernmöglichkeiten darstellen. Sie übernehmen die Verantwortung für Schwächere, ohne diesen die Eigenverantwortung abzunehmen.

6. Strukturen und ihre Dynamik: Lehrpersonen sind sich des Zusammenhangs von Schulstruktur, der Struktur der heterogenen Lerngruppe und ihrem eigenen Verhalten sowie dem Verhalten der Lernenden bewusst (Buholzer, 2010, S. 3–4).

(Autor: Josef Eisner)

Literaturverzeichnis

BMBF (2015). Pädagogische Diagnostik (Bundesministerium für Bildung und Frauen, Hrsg.). Wien.

Buholzer, A. (2010). Möglichkeiten und Formen des Umgangs mit Heterogenität im Unterricht: PHZ Luzern. [1.7.2016].

Faulstisch-Wieland (2017). Mädchen und Jungen im Unterricht. In A. Buholzer & A. Kummer Wyss (Hrsg.), Alle gleich – alle unterschiedlich! Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht (3. Auflage) (Lehren lernen, S. 16–26). Seelze-Velber, Zug: Klett/Kallmeyer; Klett und Balmer Verlag. [20.4.2018].

Fischer, C. (2017). Begabung- und Hochbegabtenförderung. In A. Buholzer & A. Kummer Wyss (Hrsg.), Alle gleich – alle unterschiedlich! Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht (3. Auflage) (Lehren lernen, S. 52–60). Seelze-Velber, Zug: Klett/Kallmeyer; Klett und Balmer Verlag. [20.4.2018].

Heinrichs, H. (2015a). Diagnostische Kompetenz von Mathematik-Lehramtsstudierenden: Messung und Förderung. Perspektiven der Mathematikdidaktik. Wiesbaden: Springer Spektrum (Univ., Diss.-Hamburg, 2014). http://download.springer.com/static/pdf/788/bok%253A978-3-658-09890-2.pdf?originUrl= http%3A%2F%2Flink.springer.com%2Fbook%2F10.1007%2F978-3-658-09890-2&token2= exp=1467015646~acl= %2Fstatic%2Fpdf%2F788%2Fbok% 25253A978-3-658-09890-2.pdf%3ForiginUrl%3Dhttp%253A%252F%252Flink.springer.com%252F book%252F10.1007%252F978-3-658-09890-2*~ hmac=b6eda059a7b22e1ee6896c15e9e3623411b7548987923ae150aa722d17c3d632 [27.6.2016].

Heinrichs, H. (Bertelsmann Stiftung, Hrsg.) (2015b). Pädagogische Diagnostik. Die Space Wissensbaustein. http://www.die-bonn.de/wb/2015-paedagogische-diagnostik-01.pdf [17.8.2016].

Hofmann, F. (k.A.). „Ich kann mich als Lehrer/in nicht vierteilen“ – aber das ist auch nicht nötig. Maßnahmen zur Individualisierung im Unterricht. [20.4.2018].

Joller-Graf, K. (2017). Binnendifferenziert unterrichten. In A. Buholzer & A. Kummer Wyss (Hrsg.), Alle gleich – alle unterschiedlich! Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht (3. Auflage) (Lehren lernen, S. 122–136). Seelze-Velber, Zug: Klett/Kallmeyer; Klett und Balmer Verlag. [20.4.2018].

Kappus, E.-N. (2017). Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität. In A. Buholzer & A. Kummer Wyss (Hrsg.), Alle gleich – alle unterschiedlich! Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht (3. Auflage) (Lehren lernen, S. 63–75). Seelze-Velber, Zug: Klett/Kallmeyer; Klett und Balmer Verlag. [20.4.2018].

Traub, S. (2017). Kooperativ lernen: Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. In A. Buholzer & A. Kummer Wyss (Hrsg.), Alle gleich – alle unterschiedlich! Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht (3. Auflage) (Lehren lernen, 149-138). Seelze-Velber, Zug: Klett/Kallmeyer; Klett und Balmer Verlag. [20.4.2018].

Wolf, D. (2012). Über das Lernen. http://www.sqa.at/pluginfile.php/806/course/section/352/%C3%9Cber%20das%20Lernen.pdf [1.7.2016].

 

 

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In den folgenden Zeilen sollen einige Themen zur Diversität im Kontext von Unterricht und Schule vorgestellt werden. Es handelt sich um exemplarische Statements und soll auf Aspekte dieser Thematik hinweisen.

Kappus (2017) diskutiert den Status der migrationsbedingten Heterogenität und hält einleitend folgendes fest:

Schriftzüge in unterschiedlichen Sprachen begrüßen den Besucher, Zitate an den Wänden fordern zu Toleranz und Anerkennung von Vielfalt auf, eine Landkarte zeigt die Herkunftsländer der Schülerinnen und Schüler. Mehr als fünfzehn Nationalitäten seien in der Schülerschaft vertreten, sagt die Schulleiterin mit stolzem Lächeln. Im Rahmen von Migration und Mobilität kommen Sprachen, Religionen und Kulturen „aus aller Welt“ im Klassenzimmer zusammen und stellen Schulen und Lehrpersonen vor neue Herausforderungen. Der Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität gehört in Deutschland, Österreich und der Schweiz in vielen Schulen zum ganz normalen Schulalltag. Dennoch gelten „multikulturelle Schulen“ in den Augen vieler nach wie vor als potenzielle Problemschulen. „Ja, ja“, bestätigt die Schulleiterin unserer Schule, „multikulturellen Schulen haftet häufig noch der Geruch von ,Gettoschulen‘ an.“ Dies habe jedoch, sagt sie, kaum etwas mit der Realität zu tun. „Wir sind eine ganz normale Schule mit ganz normalen Schülern und Schülerinnen unterschiedlicher Herkunft. Das ist kein Problem, sondern eine Chance, aus der Vielfalt zu lernen.“

Migrationsbedingte Heterogenität als Herausforderung, als Chance, als Problem? Der Beitrag geht Erklärungen der „Besonderheit“ und der „Normalität“ multikultureller Schulen nach. Er zeigt auf, dass es in der Diskussion um migrationsbedingte Heterogenität niemals nur um ethnokulturelle Vielfalt und Differenz, sondern stets auch um andere gesellschaftliche Differenzkategorien, vor allem jedoch um die Vorstellung gesellschaftlicher Norm/Normalität und Zugehörigkeit geht. (Kappus 2017)

In ihrem Artikel diskutiert Kappus (2017, S. 63–75) diese Thematik unter folgenden Überschriften:

  • Von Gastarbeitern zur Ständigen Wohnbevölkerung – oder: „Wer gehört dazu?“
  • Erklärung unterschiedlichen Bildungserfolgs (Kulturelle Herkunft, Soziale Zugehörigkeit, Institutionelle Einbettung)
  • Schule und Unterricht in der Migrationsgesellschaft (Kritische Revision gesellschaftlicher Schlüsselbegriffe, Entethnisierung von Wissen, Vernetzung von Ressourcen)

Den Geschlechterbezogenen Aspekt von Heterogenität wird bei Faulstisch-Wieland (2017) besprochen. Dabei wird unter anderem von folgenden Annahmen ausgegangen:

  • Jungen verhielten sich dominant und störten dadurch den Unterricht häufiger, sie nähmen explizit Mädchen Raum und Möglichkeiten zum Lernen – deshalb profitierten vor allem Mädchen, wenn sie getrennt von Jungen lernen könnten.
  • Jungen stünden unter ständigem Zwang, „cool“ sein zu müssen, sodass sie sich insbesondere in Anwesenheit von Mädchen stereotyp, das meint eher negativ, verhielten – deshalb sei es auch für Jungen günstig, wenn sie ohne Mädchen lernen könnten.
  • Lehrkräfte hätten nur bedingt Einfluss auf diese Prozesse, beziehungsweise es koste derart viel Kraft, in koedukativen Klassen Disziplin aufrechtzuerhalten, dass vor allem die Arbeit in Mädchengruppen einer Oase der Ruhe entspräche – was allerdings die Motivation für die Übernahme von Jungengruppen nicht gerade stärkt.

(Faulstisch-Wieland 2017)

Fischer  (2017) wiederum sagt, dass die Begabtenförderung zunehmend an Bedeutung gewinnt und führt dazu einleitend aus:

Das Aufgreifen dieses Themas erfolgt nicht zuletzt im Kontext der Diskussion um die Notwendigkeit eines verbesserten Umgangs mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen. Nachdem zunächst insbesondere außerschulische Institutionen die speziellen Bedürfnisse von besonders begabten Kindern aufgegriffen haben, gerät das Erkennen und Fördern von besonderen Begabungen in den letzten Jahren stärker in den Blick von schulischen und vorschulischen Einrichtungen. Diese Erkenntnis eines vermehrten Engagements insbesondere von Grundschulen, aber auch von Sekundarschulen im deutschsprachigen Raum konnte vor allem im Europa-Gutachten (Mönks/Pflüger 2005) zur Begabtenförderung belegt werden. Hiernach werden adäquate Diagnoseansätze sowie geeignete Förderangebote zunehmend auch im schulischen Kontext oftmals schon innerhalb des „regulären“ Unterrichts angeboten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der erforderlichen Schulentwicklung im Umgang mit Heterogenität. Die Ergebnisse Deutschlands, Österreichs und der Schweiz in den internationalen Schulvergleichsstudien wie PISA (Deutsches PISA- Konsortium 2001; Prenzel et al. 2004) oder IGLU (Bos et al. 2003) zeigen eine nicht hinreichende pädagogische Diagnostik und individuelle Förderung von Kindern in ihren unterschiedlichen Lernvoraussetzungen an. In Grundschulen gelingt dieser Umgang mit heterogenen Gruppen zwar schon besser als in weiterführenden Schulen, doch auch hier erweist sich vor allem bei hochbegabten Schülerinnen und Schülern ein deutlicher Nachholbedarf insbesondere an unterrichtlichen Förderangeboten.

(Fischer 2017, S. 52)

Joller-Graf (2017) thematisiert die Binnendifferenzierung und meint,

  • Innere Differenzierung soll …
  • der Zielsetzung optimaler Förderung aller Schüler bei der Aneignung von Erkenntnissen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten dienen;
  • die Entwicklung verschiedener Persönlichkeitsdimensionen und ihre wechselseitige Beziehung anregen und unterstützen;
  • die Selbständigkeit jedes einzelnen Schülers fördern, ihn also ,das Lernen lehren‘ oder besser: ,das Lernen lernen lassen‘;
  • die Fähigkeit der Schüler zu bewusstem sozialem Lernen und in diesem Rahmen ihre Kooperationsfähigkeit entwickeln (während der herkömmliche, undifferenzierte Klassenunterricht den einzelnen Schüler, ob gewollt oder ungewollt, weitgehend isoliert).“

(Joller-Graf 2017, 122f)

Elemente Kooperativen Lernens, so wie dies auch im Rahmen des Konzeptes Cool in österreichischen Schulen angewandt wird, werden von Traub (2017) vorgestellt. Zentrale Merkmale sind dabei:

  • positive Wechselbeziehungen: Die Gruppenmitglieder sind angehalten, zusammenzuwirken, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Erledigt ein Mitglied seine Teilauf- gabe unzureichend, bekommen alle die negativen Konsequenzen zu spüren. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Gruppenmitglieder lernen durch ihr häufiges Interagieren, Situationen aus der Perspektive anderer zu sehen.
  • individuelle Verantwortlichkeit: Alle Lernenden sind dafür verantwortlich, ihre Teilaufgabe zu erledigen; sie tragen Sorge für alle zu lernenden Inhalte und Teilgebiete und streben danach, diese zu beherrschen.
  • hilfreiche Face-to-Face-Interaktion: Obgleich einzelne Aufgabenbereiche differenziert und individuell erledigt werden, sind andere im Zusammenwirken aller Gruppenmitglieder zu erarbeiten. Dabei ist nur dann mit einem Erfolg zu rechnen, wenn die einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich gegenseitig anleiten und ermutigen.
  • Feedback: Lernen in Gruppen zeichnet Sich durch das Geben und Nehmen von Informationen aus. Austausch und Feedback geben den Lernenden Gelegenheit, ihr konzeptuelles Verständnis zu korrigieren und über die Klärung von Meinungsverschiedenheiten zu neuen Einsichten zu gelangen. Des Weiteren kann das Individuum sich selbst und die eigenen Lernmethoden und -techniken besser verstehen und so effektivere Lerntechniken beziehungsweise -strategien entwickeln.
  • angemessene Nutzung kooperativer Fertigkeiten: Lernende werden in ihren kooperativen Kompetenzen unterstützt. Dazu zählen ein angemessenes Führungsverhalten, Vertrauensbildung, Strategien der Entscheidungsfindung und Fertigkeiten des Konfliktmanagements.
  • Reflexion der Gruppenprozesse: Gruppenmitglieder setzen sich gemeinsame Ziele, überprüfen regelmäßig die Gruppenaktivitäten, identifizieren Veränderungen und Entwicklungen und entwerfen Strategien, um zukünftig effektiver zusammenarbeiten zu können.

(Traub 2017, S. 140)

Prinzipien für Individualisierung nennt Hofmann (k.A.) in seinen Ausführungen zum Thema Individualisierung im Unterricht. Dazu zählen folgende Empfehlungen:

  • Vereinbarungen treffen anstatt für andere entscheiden
  • Kurze Inputs – lange Übungszeiten – Selbstkontrolle fördern
  • Vereinbarungen zur Lernkultur auf Schulebene

Weitere thematische Anrisse sind in der Literaturdatenbank, welche den Student*innen zur Verfügung steht, zu finden.

(Autor: Josef Eisner)

 

Literatur

Faulstisch-Wieland (2017): Mädchen und Jungen im Unterricht. In: Alois Buholzer und Annemarie Kummer Wyss (Hg.): Alle gleich – alle unterschiedlich! Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. 3. Auflage. Seelze-Velber, Zug: Klett/Kallmeyer; Klett und Balmer Verlag (Lehren lernen), S. 16–26, zuletzt geprüft am 20.04.2018.

Fischer, Christian (2017): Begabung- und Hochbegabtenförderung. In: Alois Buholzer und Annemarie Kummer Wyss (Hg.): Alle gleich – alle unterschiedlich! Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. 3. Auflage. Seelze-Velber, Zug: Klett/Kallmeyer; Klett und Balmer Verlag (Lehren lernen), S. 52–60, zuletzt geprüft am 20.04.2018.

Hofmann, Franz (k.A.): „Ich kann mich als Lehrer/in nicht vierteilen“ – aber das ist auch nicht nötig. Maßnahmen zur Individualisierung im Unterricht, zuletzt geprüft am 20.04.2018.

Joller-Graf, Klaus (2017): Binnendifferenziert unterrichten. In: Alois Buholzer und Annemarie Kummer Wyss (Hg.): Alle gleich – alle unterschiedlich! Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. 3. Auflage. Seelze-Velber, Zug: Klett/Kallmeyer; Klett und Balmer Verlag (Lehren lernen), S. 122–136, zuletzt geprüft am 20.04.2018.

Kappus, Elke-Nicole (2017): Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität. In: Alois Buholzer und Annemarie Kummer Wyss (Hg.): Alle gleich – alle unterschiedlich! Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. 3. Auflage. Seelze-Velber, Zug: Klett/Kallmeyer; Klett und Balmer Verlag (Lehren lernen), S. 63–75, zuletzt geprüft am 20.04.2018.

Traub, Silke (2017): Kooperativ lernen. Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. In: Alois Buholzer und Annemarie Kummer Wyss (Hg.): Alle gleich – alle unterschiedlich! Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. 3. Auflage. Seelze-Velber, Zug: Klett/Kallmeyer; Klett und Balmer Verlag (Lehren lernen), 149-138, zuletzt geprüft am 20.04.2018.