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Bildungsgleichheit: Ein für immer unerfüllt bleibender Traum?

Wie der Titel schon anprangert, sollte in diesem Artikel die Chance auf Bildungsgleichheit in österreichischen Schulen thematisiert werden.  Dabei sollten auch die Hintergründe für die derzeit herrschende Ungleichheit näher beleuchtet und mögliche Lösungsansätze aufgestellt werden.

Falls Sie, liebe Leser und Leserinnen, der Meinung sind, es herrsche doch überhaupt keine Bildungsungleichheit, dann muss ich sie leider enttäuschen. Denn an Österreichs Schulen entwickelt sich zunehmend eine Kluft zwischen leistungsstarken und -schwachen Schülern und Schülerinnen.

Nun werden Sie sich sicherlich fragen, wieso dem so ist. Die Antwort lässt sich nun jedoch nicht nur mit einem einzigen Blogeintrag erklären, da viele untereinander verknüpfte Aspekte als Ursache für diese Debatte ausfindig gemacht werden können. Dennoch wird Ihnen hier ein Einblick in die Thematik gewährt.

Gründe für Bildungsungleichheit

  • Sozioökonomischer Hintergrund
  • Kultureller Hintergrund
  • Wirtschaftliche und politische Interessen
  • Schultyp und -Struktur

Auf die oben angeführten Punkte werde ich in diesem Abschnitt genauer eingehen. Rothmüller und Schnell nennen in ihrem Artikel sozioökonomisches und kulturelles Kapital als Termini, die mir persönlich sehr am Herzen liegen. Was bedeuten diese Begriffe? Unter diesen Kapitalen versteht man die ersten zwei der oben genannten Punkte, die einerseits den bildungstechnischen Hintergrund und andererseits die kulturelle Herkunft beinhalten.

Es mag sich ein wenig realitätsfremd anhören, aber ihren sozioökonomischen Hintergrund können Kinder nicht beeinflussen, da dieser ihnen quasi als Privileg in die Wiege gelegt wurde bzw. wird. Das bedeutet vereinfacht gesagt: Je gebildeter -gemessen an den Abschlüssen- die Eltern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Kinder einen hohen (Aus)Bildungsabschluss erreichen. Das liegt einerseits daran, dass sozioökonomisch privilegiertere Eltern das österreichische Schulsystem und deren Struktur besser kennen und andererseits können sie ihre Kinder finanziell, sowie bildungstechnisch besser unterstützen. Dieser sozioökonomische Status ist zudem auch mit dem kulturellen Kapital verknüpft, da das Schulsystem ihre eigene Kultur mehr oder minder prägt und somit „andersartige“ Kulturen -ob bewusst oder unbewusst sei nun dahingestellt- exkludiert und nicht bzw. nur vereinzelt akzeptiert.

Auch die wirtschaftlichen/ politischen Interessen und der Schultyp sind Punkte, die miteinander stark verbunden sind. Denn Politiker haben formuliert, dass der Output von Schulen verbessert werden müsse. Nüchtern betrachtet zielt die Politik demnach auf Schüler und Schülerinnen als hochleistungsorientierte Endprodukte, entwickelt in Großindustrien, ab. Als ein Phänomen, das mit diesem Aspekt einhergeht, kann man die vergleichsweise höhere Zahl an Schulanmeldungen von Kindern an Schulen mit geringerem Anteil an Schüler und Schülerinnen mit niedrigem Migrationshintergrund.

Nun noch näher zum Schulsystem, bei dem ich vor allem auf die doch schnelle Segregation (also Trennung von Schulkindern), die durch das Schulsystem bzw. durch die Schulstruktur auftritt, eingehe. Mit dieser Trennung ist der Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe I. Hierbei stehen die Kinder vor der Wahl: Gehen sie in eine Mittelschule oder in eine AHS?

Vor dieser Frage sind Sie vielleicht als Elternteil auch schon gestanden oder kennen im persönlichen Umfeld ähnliche Situationen.

Erstens sollte gesagt sein, dass nicht oder nur in den seltensten Fällen tatsächlich die Schulkinder eine Entscheidung treffen dürfen. Zweitens darf ich anmerken, dass durch diese Segregation der Grat der Bildungsungleichheit steigt und soziale Probleme vermehrt auftreten können, da dadurch durchaus Freundschaften zerstört werden.

Mögliche Lösungsansätze

Meiner Meinung nach muss das Schulsystem „renoviert“ werden. Dabei sollte man verstärkt auf Integration setzen und dies gegebenenfalls auch den Lehrpersonen vermitteln. Denn kulturelle „Andersartigkeit“ sollte nicht benachteiligt, sondern zum Vorteil umgemünzt werden. Von kultureller Diversität können alle Schulkinder einer Klasse profitieren, wenn jede/r SchülerIn akzeptiert sind und sich innerhalb einer Gemeinschaft bewegt. Leistungsschwächere bzw. Kinder mit sozialökonomisch schwächeren Status sollten hierbei besonders gefördert werden. Hier stellt sich mir allerdings die Frage, auf welche Weise diese Förderung stattfinden soll. Der wohl bekannteste Weg ist ein Modell eines Förderkurses, bei dem leistungsschwächere Kinder de facto vom übrigen Klassenverbund exkludiert sind. Durch diese Exklusion findet ja in einer schwachen Form eine Segregation statt, was Auswirkungen auf das Klima in der Klasse haben kann. Ein neueres Modell wäre ein altersstufenübergreifender Unterricht, der schon häufig in Schweden angewandt wird. Diese Unterrichtsform interpretiere ich persönlich als projektorientierter. Die Schüler und Schülerinnen erfahren also mehr Partizipation am Unterricht und stehen in einem Austausch zu älteren, vielleicht mehr wissenden Schulkindern. Daraus entwickeln sich im besten Fall „Peer-Buddys“ oder Lerngemeinschaften/ -freundschaften.

Weiters sehe ich die AHS Unterstufe eher skeptisch und halte diese für überflüssig. Was es gegen eine „Leistungskluft“ braucht, sind keine unterschiedlichen Schultypen der Sekundarstufe I, die um einen gewissen Status kämpfen. Vielmehr bedarf es an einem einzigen Mittelschultyp, dessen Niveau eventuell angehoben wird und (wie vorhin geschildert) auf Integration/ Inklusion baut.

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p style=“text-align: right“>Marcel Humer

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2019/20 gab es laut Statistik Austria 1.135.519 Schülerinnen und Schüler in Österreich, in Volksschulen waren es zuletzt 344.282. Diese Zahl steigt seit 2016 an und wird auf die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zurückgeführt (Statistik Austria, 2021a). Alle Schultypen und -stufen zusammengefasst gibt es 299.852 Schülerinnen und Schüler mit nicht-deutscher Umgangssprache (Statistik Austria, 2021b). Dieses Aufeinandertreffen vieler verschiedener Sprachen wirft die Frage auf: Stellt die Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in der Schule eine Chance oder ein Problem für die Schülerinnen und Schüler und für das Lernen in der Klasse dar und wie könnte man diese unterschiedlichen Sprachen und Kulturen effektiv in den Unterricht miteinbeziehen?

Die Chance. Mehrsprachigkeit ist ein wichtiges Gut in der heutigen Welt. Vor allem in Kontinenten wie Europa, wo es viele flächenmäßig kleine Länder mit ihren jeweils eigenen Sprachen gibt und (Völker-)Wanderungen geschichtlich gesehen der Normalzustand sind, ist es förderlich mehr als nur eine Sprache zu sprechen und verschiedene Kulturen kennenzulernen. In der Klasse Schüler und Schülerinnen zu haben, die aus verschiedenen Ländern kommen und unterschiedliche Sprachen sprechen, kann eine Chance für alle Kolleginnen und Kollegen darstellen, da so Kontakt zu anderen Kulturen und Traditionen hergestellt wird und der Horizont eines jeden erweitert werden kann. Die Lernenden sind mit verschiedenen Situationen konfrontiert und lernen wichtige soziale Fähigkeiten kennen – sich mit anderen Nationen und deren Kulturen vertraut zu machen, nicht aufgrund von Ethnizität voreilig zu urteilen oder auch „nur“ wie verschieden Sprachen und Kulturen sein können. Zudem kann auch das sprachübergreifende Lernen hilfreich sein, indem beispielsweise Vokabular in mehrere Sprachen übersetzt wird oder über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier oder mehrerer Sprachen zu diskutieren. Dadurch werden die Schülerinnen und Schüler dazu ermutigt, sich mit verschiedenen Sprachen auseinanderzusetzen und es wird die Authentizität dieser Begegnung mit einer anderen Kultur gestärkt, da die Lernenden eher Interesse daran zeigen, so Dausend und Lohe (2016).

Das Problem. Jedoch ist das österreichische Schulsystem defizitorientiert, die Mehrsprachigkeit und Multikulturalität wird wenig wertgeschätzt und es wird versucht, Schülerinnen und Schüler nach einem Schema zu erziehen, welches sich seit Zeiten Maria Theresias nicht grundlegend verändert hat. Seit Jahren wird davon gesprochen, Chancengleichheit für alle Kinder zu schaffen, trotzdem hat die deutsche Sprache und die Vermittlung mitteleuropäischer Werte und Normen die Priorität #1 in der Schule. Es kommt zu Regelungen, um die Benutzung fremder Muttersprachen im Unterricht einzuschränken und ausschließlich Deutsch zur Kommunikation im Unterricht (teilweise sogar in den Fremdsprachen) zu verwenden. Nicht-deutsche Kultur und Herkunft der Schülerinnen und Schüler wird dabei eher als Störung angesehen und sie werden „deutsch“ erzogen. So wurde der Begriff „illegitimes kulturelles Kapital“ von Bourdieu geprägt. Kulturelles Kapital bezeichnet dabei die sowohl kulturelle Güter der Schülerinnen und Schüler, als auch verinnerlichte Zustände (Bourdieu, 1983). Obwohl zahlreiche Studien zeigen, dass Mehrsprachigkeit förderlich ist, wird in der Schule starr auf Monolingualität beruht, bedingt zum Beispiel durch das fehlende Verständnis mancher Lehrpersonen. Gogolin (1994) spricht vom sogenannten monolingualen Habitus in einer multilingualen Schulumgebung. So kommt es, dass sogar in der heutigen, global vernetzten Zeit und Welt Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in der Schule oft als Herausforderungen und Probleme, die es zu bewältigen gibt, angesehen werden, anstatt der Chancen, die sie eigentlich für alle Involvierten darstellen könnten.

Die Möglichkeiten. Aber wie können Mehrsprachigkeit und Multikulturalität auch positiv in den Unterricht miteinbezogen werden, wenn die Schule so träge an ihren alten Formen festhält? Positiv wäre es jedenfalls die verschiedenen Umgangssprachen der Schülerinnen und Schüler in den Unterricht miteinzubeziehen. Das kann als Lehrperson, die beispielsweise nur eine oder zwei Sprachen spricht und keine persönliche Erfahrung mit anderen Kulturen hat, durchaus herausfordernd wirken, doch kann es meines Erachtens trotzdem auf verschiedene Arten umgesetzt werden. Schülerinnen und Schülern, denen mit Respekt begegnet wird, werden auch selbst mehr Respekt für die Lehrperson aufbringen und so können auch Fremdsprachen behandelt werden. Kleine Maßnahmen, wie beispielsweise das Grüßen am Morgen in allen Sprachen, die in der Klasse gesprochen werden, stellt schon einen ersten Schritt dar, die Herkunft der Lernenden zu würdigen. Es wird den Schülerinnen und Schülern vermittelt, man kenne und respektiere ihre Herkunft und Sprache. Auch mehrsprachiges Vorlesen von Aufgaben oder Texten durch Lernende oder Lehrende kann dem weiterhelfen. Die Schülerinnen und Schüler würden so lernen, mehrere Sprachen miteinander zu kombinieren und das könnte auch das Verständnis für Linguistik und Sprachgebrauch allgemein fördern. Größere Maßnahmen wären beispielsweise das Einführen von Fremdsprachenunterricht in eben jenen stärker vertretenen Muttersprachen, zum Beispiel türkisch oder kroatisch anstelle von oder (besser noch) zusätzlich zu Spanisch oder italienisch. Die Kultur und Sprache von Kindern mit Migrationshintergrund kann nicht nur im Sprachunterricht selbst eingebaut werden, es kann auch im Rahmen des Geografie- oder Geschichteunterrichts darauf eingegangen werden. Die Schülerinnen und Schüler könnten zum Beispiel die Möglichkeit bekommen über ihre Heimat zu erzählen und es kann ein Lehrervortrag oder ein Ausschnitt aus einem Lehrbuch durch persönliche Erfahrungen der Kinder erweitert werden. Sollen Brücken zwischen verschiedenen Fremdsprachen geschlagen werden, müssen sich auch die jeweiligen Lehrpersonen besser untereinander absprechen, um zu klären, welche Themen wie und wann im Unterricht behandelt werden.

Deutsch zu lernen ist in einer Schule in einem deutschsprachigen Land mit deutschsprachigen Tests keinesfalls zu vernachlässigen, aber die Art und Weise, wie deutsch gelernt wird und wie fremde Umgangssprachen und Kulturen behandelt werden, kann und muss in der heutigen Zeit verbessert werden.

(Elena Schüssling)

Literatur:

Bourdieu, P. (1983). Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: R. Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt Sonderband 2. Originalbeitrag, übersetzt von R. Kreckel. (S.183-198). Göttingen.

Dausend, H., & Lohe, V. (2016). Die Studie „Fundament mehrsprachiger Unterricht“ (FuMU) – Was Schülerinnen und Schüler zum Einsatz ihrer Familiensprache im Fremdsprachenunterricht sagen. In: A. Wegner, & I. Dirim (Hrsg.), Mehrsprachigkeit und Bildungsgerechtigkeit: Erkundungen einer didaktischen Perspektive. (S.224-238). Opladen: Barbara Budrich. Doi: 10.2307.

Gogolin, I. (1994). Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster u.a.: Waxmann. ISBN: 3-89325-219-3.

Statistik Austria (2021a). Schulbesuch. Zugriff am 16.10.2021. Verfügbar unter https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bildung/schulen/schulbesuch/index.html   

Statistik Austria (2021b). Schülerinnen und Schüler mit nicht-deutscher Umgangssprache im Schuljahr 2019/20. Zugriff am 16.10.2021. Verfügbar unter https://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=029650

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(von Annemarie Schaffer)

Ein wichtiger – wenn nicht der wichtigste – Faktor, der nun seit einigen Jahrzehnten in der westlichen Welt Politik und Gesellschaft prägt, ist die Wirtschaft bzw. das stetige Streben nach Wirtschaftswachstum. Dass davon auch Schul- und Bildungssysteme nicht unberührt bleiben, ist bei der engen Verknüpfung zwischen Schule und Gesellschaft ganz klar.

Was für einen (absurd) dominanten Platz die Wirtschaft und ihr Wachstum in unserer Gesellschaft eingenommen hat, ist mitunter an einer Einschaltung ersichtlich, die u.a. am 24. April 2021 im Lokalteil der Tageszeitung Salzburger Nachrichten im Zuge einer Kampagne einer Salzburger Oppositionspartei abgedruckt wurde. Die Überschrift dieser Einschaltung lautet: „Wirtschaft wieder leben lassen“. Unter dieser wird angeführt, dass laut einer Umfrage im November 2020 mehr als die Hälfte der gefragten Personen die Maßnahmen der Regierung und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen für das Schlimmste an der Covid-19 Pandemie erachteten. Darauffolgend heißt es weiter, dass das der stärkste Wirtschaftseinbruch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sei. Abgeschlossen wird die Einschaltung mit der fettgedruckten Frage „Ist es das wirklich wert?“. Meine Antwort darauf: Ja, ist es! Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Covid-19 Virus haben der Form von Wirtschaft, wie sie in der westlichen Welt betrieben wird, bestimmt geschadet, aber immerhin dienten sie (und dienen immer noch) dazu Menschenleben zu retten. Denn im Unterschied zur Wirtschaft – auch wenn die oben zitierte Überschrift Gegenteiliges suggerieren mag – leben Menschen tatsächlich und können infolgedessen ihr Leben durch Krankheiten wie die, die vom Covid-19 Virus ausgelöst wird, verlieren. Dass ein Rückgang der Wirtschaftsleistung das Leben der Menschen derartig negativ beeinflussen kann, zeigt uns weniger, was uns diese Einschaltung weismachen wollen zu scheint, nämlich wie schlecht die Maßnahmen gegen die Pandemie waren, sondern, dass der Wirtschaft in unserer Gesellschaft wesentlich mehr Platz und Bedeutung beigemessen wird, als es gesund für uns ist.

Ähnliches stellt auch Maja Göpel in ihrem 2020 erschienenen Buch Unsere Welt neu denken fest, wenn sie schreibt, dass sich „[n]icht nur in den sozialen Medien – aber nirgends besser als da – […] sehen [lässt], wie die Idee des Verkaufens und des Wettbewerbs in Lebensbereiche vorgedrungen ist, in denen das Gesetz von Angebot und Nachfrage zuvor intrinsischen Werten nachgelagert war.“ (Göpel 2020, 69) Dabei bezieht sie sich darauf, dass es mittlerweile Menschen geben soll, deren „Gefühl für die eigene Existenz und Präsenz“ (Göpel 2020, 69) an der Anzahl ihrer „Follower[], Likes und Freundschaftsanfragen“ (Göpel 2020, 69) hängt. Dass das für die menschliche Psyche nicht gesund sein kann, scheint mir mehr als einleuchtend zu sein. Der Mensch in der heutigen Gesellschaft aber hat sich dem herrschenden Wirtschaftssystem dermaßen unterworfen, dass man es nicht einmal als sehr übertrieben empfinden kann, wenn Göpel schreibt: „Wir sind […] alle Humankapital und müssen darauf achten, unseren Marktwert zu steigern.“ (Göpel 2020, 69) Jetzt mag man einwenden, dass das oben zitierte Beispiel Göpels ja nur für die Welt von Social Media relevant sei, aber dagegen kann mit Göpel angeführt werden, „dass das ökonomische Denken in Lebensbereiche eingewandert ist, die ursprünglich nichts mit Wirtschaft zu tun hatten. Die Fürsorge für andere Menschen, kranke, alte und Kinder, ist in diese Logik genauso eingespannt worden wie die Ausbildung, die Partnerwahl oder der eigene Körper.“  (Göpel 2020, 68)

Diese Lebensbereiche sind absolut in der realen Welt zu verorten und ihre Unterordnung unter wirtschaftliche Prinzipien führt – um Göpels Beispiel der Ausbildung herauszugreifen – zu Phänomenen wie der in einem früheren Beitrag behandelten Selektion von Schüler*innen nach Schulnoten, damit man sie als Erwachsene wirtschaftlich möglichst sinnvoll in einem Beruf(sfeld) zuordnen kann. Das heißt dann, dass Wohlergehen der Menschen ihrem eigenen wirtschaftlichen Wert untergeordnet werden. So sollte eine Gesellschaft, die aus Menschen besteht, eigentlich nicht funktionieren wollen.

Da regt es zum Nachdenken an und lässt einen auch hoffen, wenn man im Wirtschaftsteil der Salzburger Nachrichten vom 26. Mai 2020 folgende Schlagzeile liest: „Im fairen Handel gab es keine Coronakrise – im Gegenteil“ (Kretzl 2021). Dass ausgerechnet ein Wirtschaftszweig, der nicht nur auf Profit aus ist, sondern dabei auch auf das Wohl der Menschen achtet, in einer Zeit, in der so viele andere Branchen Verluste erleiden mussten, seinen Umsatz steigern konnte, sollte uns, nicht nur als angehende Lehrkräfte, sondern auch als Mitglieder unserer Gesellschaft dazu ermutigen fair zu handeln.   

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(von Annemarie Schaffer)

Während der erste Teil dieses Beitrags den Fokus mehr auf einen möglichen praktischen Umgang mit dem Thema in Unterricht und Schule gerichtet hat, soll nun die historische Entwicklung vom Umgang mit sprachlicher Heterogenität in der Schule und auch die der dazugehörenden Forschung beleuchtet werden. Außerdem soll auch ein Blick darauf geworfen werden, inwiefern österreichische Lösungen dem aktuellen Stand ent- bzw. widersprechen. Die Grundlage dafür bietet Heidi Röschs Deutschunterricht in der Migrationsgesellschaft. Eine Einführung, erschienen 2017 im Metzler-Verlag.

Rösch stellt in ihrem Kapitel über Bildungskonzepte in der Migrationsgesellschaft (137ff.) die Entwicklung der durch die „Anwerbung sogenannter Gastarbeiter in die Bundesrepublik Deutschland (1955-1973)“ notwendig gewordenen „pädagogische[n] Konzepte zum Umgang mit den veränderten Gruppenkonstellationen in Bildungseinrichtungen“ zunächst verkürzt und überblickshaft folgendermaßen dar: „von der Ausländerpädagogik (in den 1980er Jahren) über die interkulturelle Pädagogik (in den 1990er Jahren) zur Migrationspädagogik (seit 2004)“. Diese Entwicklung ist angetrieben durch die Kritik, die an den einzelnen Konzepten laut wurde und durch einen stetigen Wechsel zwischen „Mehrheitsperspektive“ und „Minderheitenperspektive“. Konkret bedeutet das, dass – nachdem vonseiten der Minderheitenperspektive aufgrund der Defizitorientierung der Ausländerpädagogik Kritik laut wurde – fast zeitgleich das Konzept der Minderheitenpädagogik entwickelt wurde, das einen ressourcenorientierten Ansatz verfolgte. Der Fokus lag dabei statt auf der Deutschförderung eher auf dem Recht auf Muttersprachenunterricht. Während aber gegenüber dem Ziel der Ausländerpädagogik (Integration) die Befürchtung bestand, dass es zur Assimilation der Minderheit an die Mehrheitsgesellschaft führen könnte, musste sich die Minderheitenpädagogik mit ihrem Emanzipationsgedanken der Kritik der möglichen Segregation stellen. Auch auf der Seite der Mehrheitsperspektive entwickelte sich als Reaktion auf die Ausländerpädagogik ein Gegenkonzept: Mit der interkulturellen Pädagogik verfolgte man einen Ansatz, der sich nun hauptsächlich auf die gesellschaftliche Mehrheit der Einheimischen als Zielgruppe fokussierte. Ziel dieses neuen Konzepts war es, durch „Begegnung zwischen Einheimischen und Eingewanderten […] Empathie vor allem von den Einheimischen für die Eingewanderten“ zu erzeugen. Aber auch hier ließ Kritik nicht lange auf sich warten. Denn „[v]or allem auf Grundlage eines statischen Kulturbegriffs entstanden zwei sich gegenüberstehende Kulturen, was die Kulturalisierung der Eingewanderten befördert und sie zu Anderen macht.“ Der Differenzorientierung der interkulturellen Pädagogik stellte die antirassistische Pädagogik ihre Diskriminierungsorientierung entgegen. Dabei ging es der Kritik zufolge aber teilweise zu sehr um die Fokussierung „individuelle[r] (statt strukturelle[r]) (Alltags-) Rassismen“, was zu einer pauschalen Einordnung der Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft als rassistische Täter*innen „und der Minderheitenangehörigen als Opfer von Rassismus“ und damit zur Verstärkung der „Wahrnehmung von Differenzen“ führen könnte. Um dem entgegenzuwirken, wird auch heute noch versucht, „einen konstruktiven Umgang mit Differenzlinien zu entwickeln, der über Zuschreibungen hinausgeht, Mehrfachzugehörigkeiten bewusst macht und die dahinterstehenden Konstruktionen und Auswirkungen reflektiert.“ Anfang der 1990er entwickelte die Erziehungswissenschafterin Annedore Prengel die Pädagogik der Vielfalt. Dabei geht es ihr darum, die „bestmögliche[] Bildung für jedes Individuum“ zu ermöglichen und „eine[] egalitäre Differenz in einer demokratischen Gesellschaft“ zu entwickeln. Unterschiede – sei es im Geschlecht oder in der (kulturellen) Herkunft – sollen darin „nicht als Defizit oder Bedrohung, sondern als Bereicherung wahr[genommen werden]“. Allerdings ergab sich hier – wohl aufgrund der Tatsache, dass dieses Konzept aus der Mehrheitsperspektive gedacht wird – das Problem, „dass die Umsetzung in eine ›Multi-Kulti-Idylle‹ mit kulturalistischen Zuschreibungen mündete.“  Paul Mecherils in den frühen 2000ern entwickelte Migrationspädagogik darf nicht als eine Migrant/innen-Pädagogik missverstanden werden und muss von einer solchen scharf abgegrenzt werden. Denn bei seinem Konzept handelt es sich nicht um eine Zielgruppenpädagogik, sondern sein Fokus liegt auf der „Beschreibung und Analyse der dominanten Schemata und Praxen der Unterscheidung zwischen natio-ethno-kulturellem ‚Wir‘ und ‚NichtWir‘ und zielt auf die Stärkung und Ausweitung der Möglichkeiten der Verflüssigung und Versetzung dieser Schemata und Praxen.“ Damit funktioniert seine Argumentation im Vergleich zu Prengels Pädagogik der Vielfalt eher auf struktureller Ebene, „stellt einem additiven Verständnis von Diversität die integrative Reflexion von Differenzordnungen gegenüber“ und rückt damit Intersektionalität statt Diversität zum Mittelpunkt seiner Betrachtungen und seines Konzepts. Allerdings läge dabei seinen Kritikern zufolge der Schwerpunkt zu sehr auf dem Bereich der Migration, wodurch „andere Gesellschaftsbereiche oder          -konzepte aus[ge]klammert“ würden. Dieser Kritik sieht sich Cristina Allemann-Ghionda mit ihrem Konzept der Bildung für alle nicht ausgesetzt. Denn bei allen Gemeinsamkeiten, die ihre Pädagogik mit der Mecherils aufweist, verzichtet sie aber auf jegliche Schwerpunktsetzung und schaff es damit, dass sich in ihrem Konzept „die an der Mehrheits- und Minderheitenperspektive orientierenden Argumentationsmuster […] treffen.“ Als kleinen Kritikpunkt merkt Rösch dazu an, dass – auch wenn dieser Ansatz „längerfristig sicher zielführend(er)“ sei – darin die Gefahr läge, „dass die Spezifik der Migrationssituation aus dem Blick gerät und sich dominanzkulturelle Perspektiven jenseits der Differenzlinie Migration in den Vordergrund schieben.“

Bei Betrachtung dieser Vielfalt von Konzepten fällt auf, dass Einigkeit nur darin besteht, dass auch die Pädagogik auf die durch das Migrationsgeschehen veränderte und sich immer weiter verändernde Gesellschaft reagieren muss. Dazu, in welcher Weise das aber am besten geschehe sollte, gibt es viele, sich zum Teil widersprechende Ideen. Bei jedem der oben vorgestellten Konzepte lässt sich – wie es Rösch deutlich darstellt – bei genauerem Hinschauen der eine oder andere Kritikpunkt finden. Bei aller Uneinigkeit aber haben diese theoretischen Konzepte das gemeinsame praktische Ziel, in einer (sprachlich) heterogenen Gesellschaft einen gerechten Zugang zu (institutioneller) Bildung für alle Mitglieder dieser Gesellschaft zu ermöglichen. Dass ein solcher – nicht nur, aber insbesondere auch – für Personen mit einer Migrationsgeschichte oft nicht gegeben ist, und welche Maßnahmen diesbezüglich unternommen werden (können oder sollten), stellt Rösch in den Unterkapiteln 4.4 Differenzlinie Sprache (198ff.) und 4.5 Sprachliche Bildungsangebote (202ff.) ihres Buches dar:  

Ein Phänomen, mit dem sich vor allem Menschen mit einer gesellschaftlich weniger anerkannten Erstsprache häufig konfrontiert sehen, ist der Linguizismus. Diese „Diskriminierung der Sprachen eingewanderter oder autochthoner Minderheiten und ihrer Sprecher/innen“ lässt sich speziell im Bildungsbereich daran beobachten, „dass Migrationssprachen keinen Einzug in Bildungseinrichtungen finden oder dort verboten werden, dass ihre Sprecher/innen auf ihre Kompetenz in der Amtssprache reduziert werden und ihre Zwei- oder Mehrsprachigkeit nicht wahrgenommen wird.“ Als konkretes Beispiel dafür muss man sich nur in Erinnerung rufen, wie in den vergangenen Jahren in Österreich (und auch in Deutschland) immer wieder der Ruf nach einem Deutschgebot auf den Schulhöfen laut wurde. Dieses höchst umstrittene angestrebte de-facto-Verbot der eigenen Muttersprache ist etwas, womit sich Schüler*innen mit Migrationshintergrund immer wieder von Neuem konfrontiert sehen. Das zeigt auch eine schnelle online-Suche zum Thema, bei der sich mitunter zwei Artikel der Tageszeitung der Standard aus den Jahren 2011 und 2016, ein Artikel der Tageszeitung Die Presse aus dem Jahr 2018 und einer der Zeitschrift Focus ebenfalls aus dem Jahr 2016 finden lassen. Zwar widerspricht ein allgemeines Deutschgebot, wie es beispielsweise die schwarz-blaue Regierung Oberösterreichs angestrebt hat, auch einem Gutachten, das – wie es der oben erwähnte Presse-Artikel berichtet – bereits 2015 „vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes erstellt“ wurde, aber das hält Verfechter dieser Maßnahme genauso wenig davon ab, sie immer wieder durchzusetzen zu versuchen, wie zahlreiche widersprechende Expertenmeinungen. Dabei lässt ein Blick in die europäische Geschichte schnell Zweifel daran aufkommen, ob ein Sprachverbot das Ziel, das Befürworter*innen eines solchen verfolgen, überhaupt unterstützt. Denn angenommen, dass die Forderung nach einem Deutschgebot auf Schulhöfen tatsächlich dem Wunsch entspringt, dass mehr und besser (vielleicht sogar auch lieber) Deutsch gesprochen wird, sollte man sich die Frage stellen, ob Verbote jemals dazu führen können, dass das, was verboten wird an Attraktivität verliert bzw., ob etwas, das den Menschen aufgezwungen wird, jemals positiv konnotiert sein kann. Das konkrete Beispiel des Katalanisch-Verbots während der Franco-Diktatur in Spanien, das Anita Malli unter anderem in ihrem Beitrag im Standard anführt, lässt Gegenteiliges vermuten: So berichtet Malli, dass es auch Jahrzehnte nach dem Ende der Diktatur immer noch Katalan*innen gäbe, die „das Spanische emotional [ablehnen]“. Ist es das, was wir uns für unsere Schüler*innen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch wünschen? Wohl eher nicht, denn erfolgreiche Integration sollte anders aussehen.

Wie konstruktive und wertschätzende Unterstützung von Schüler*innen, die Deutsch ‚nur‘ als Zweitsprache haben, aussehen kann oder sollte, legt auch Heidi Rösch dar. Zunächst aber zeigt sie anhand von Anette Müllers Modell, in welchen Dimensionen sich die „Differenzlinie Sprache“ offenbaren kann, und auf welche Weise sie in den Schul- und Unterrichtsalltag hineinspielen können. Dafür analysiert sie ein Fallbeispiel, indem sie „die vier von [Müller] genannten Dimensionen auf die Differenzlinie Sprache/n an[]wendet“: Im Beispiel geht es um eine Grundschülerin türkischer Herkunft, der als Reaktion auf einige Fehler in einem Aufsatz von einem ihrer Mitschüler schlechtere Deutschkenntnisse attestiert werden. Die Begründung, die er dafür gleich mitliefert, ist, dass sie „zuhause Türkisch sprich[]t“. Nachdem das Mädchen sich verteidigt, dass sie zuhause Deutsch spreche, greift die Lehrkraft ein und weist darauf hin, dass es ganz natürlich sei, dass das Mädchen, dadurch, dass sie zweisprachig ist, mehr Fehler macht als ihr vermeintlich einsprachiger Mitschüler. Außerdem weist sie wertschätzend darauf hin, dass der Aufsatz dafür inhaltlich sehr gut sei. Allerdings erweist sich die Zuschreibung der Lehrkraft, dass der Junge einsprachig sei, später als falsch, da sich im Gespräch mit der Mutter herausstellt, dass er zweisprachig (Deutsch/Russisch) aufwächst, was ihm allerdings unangenehm ist, da er Einsprachigkeit für besser erachtet als Zweisprachigkeit. Bezüglich Müllers verinnerlichter Dimension merkt Rösch an,

             dass auch im Blick auf Mehrsprachigkeit Offenheit gegenüber dem Selbstverständnis und Multiperspektivität hinsichtlich unterschiedlicher Identitätskonzepte zu gewährleisten ist. Manche empfinden die Fokussierung auf Zwei- oder Mehrsprachigkeit – aus welchen Gründen auch immer – als Zuschreibung, die nicht mit ihrer Selbstwahrnehmung übereinstimmt, andere erkennen darin eine hohe Wertschätzung.       

Die beiden Kinder aus dem Beispiel stehen (ihrer jeweiligen) Mehrsprachigkeit negativ gegenüber, was Rösch mitunter darin begründet sieht, dass sie „keine positiven Erfahrungen mit Zweisprachigkeit gemacht haben, vielleicht keine zweisprachigen Identifikationsfiguren kennen und deshalb bislang auch keine positiv besetzte zweisprachige Identität ausbilden (konnten).“ Hier würde sich die Schule als möglicher Raum für positive Erfahrungen anbieten. Wenn nämlich bezüglich Müllers interaktionaler Dimension nicht nur – wie es im Zuge eines klärenden Gesprächs in Röschs Fallbeispiel geschehen ist – die „Einstellung zu Mehrsprachigkeit“ in Schule und Unterricht in den Blick genommen, sondern auch die DaZ (=Deutsch als Zweitsprache)-Perspektive miteinbezogen wird, ergibt sich die Situation, dass DaZ-Lernende nicht mehr „mit den Maßstäben für Deutsch-als-Erstsprache-Lernende gemessen werden und deshalb benachteiligt sind.“ Das kann beispielsweise geschehen indem „man den Fokus […] auf einen DaZ-spezifischen Sprachgebrauch im Umgang mit ‚kleinen Wörtern‘ (Proformen), Vergangenheitsformen, der Verbklammer oder ähnlichem [legt]“, wodurch „den Schüler/innen ihr DaZ-Lernstand bewusst [würde] und sie […] Anregungen zum Weiterlernen [erhielten].“ Dagegen „[verfestigt die] Nicht-Thematisierung dieses im Bildungssystem hochrelevanten Lernbereichs […] die negative Sicht auf DaZ-Lernende, statt ihre besonderen Sprachlernleistungen sichtbar zu machen.“ Im Bezug auf Müllers epistemische Dimension merkt Rösch an, dass es wichtig sei,

die Diskurse um sprachliche Bildung [nicht] als Kontroverse zwischen DaZ und Mehrsprachigkeit zu führen. Denn es handelt sich um unterschiedliche, aber keine gegensätzlichen Zugänge zur sprachlichen Bildung in der Migrationsgesellschaft. Die Vorstellung, DaZ könne durch ein mehrsprachiges Konzept ersetzt werden, erscheint unsinnig, da niemand die Sprachkompetenz in der zweiten durch den Gebrauch seiner ersten entwickeln kann. Gleichzeitig ersetzen DaZ-Angebote aber auch den konstruktiven Umgang mit lebensweltlicher Mehrsprachigkeit in keiner Weise.

Müllers institutionell Dimension bespricht Rösch zunächst kurz konkret mit Bezug auf ihr Fallbeispiel: Hier „wäre der nächste Schritt gewesen, die DaZ-Perspektive im Unterricht systematisch zu verankern, mit allen Schüler/innen über Mehrsprachigkeit zu sprechen und mit ihnen gemeinsame Strategien zu entwickeln, ihre und die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit in der Schule sichtbar zu machen.“ Ausführlicher behandelt sie sie im oben bereits erwähnten Unterkapitel 4.4 Sprachliche Bildungsangebote. Darin stellt sie ein-/ und zweisprachige Bildungsangebote vor, beschreibt (inklusive konkreter Vorschläge zur Anwendung in den verschiedenen Unterrichtsgegenständen) das Prinzip der Language Awareness, dessen Ziel es ist „Akzeptanz der Migrationssprachen“ und „Offenheit für Mehrsprachigkeit“ herzustellen, als Mittel zwischen den beiden ersteren und spricht mit dem 2011 vom ÖSZ (=Österreichisches Sprachkompetenz-Zentrum) herausgegebenen Curriculum Mehrsprachigkeit auch die Ebene der sprachlichen Bildung für Lehrer*innen aller Unterrichtsfächer an. Dass dieses Thema mittlerweile immerhin Eingang in die pädagogische Ausbildung findet, lässt hoffen, dass sich mit der Zeit auch der Alltag an Österreichs Schulen diesbezüglich ändert, sodass nicht Sprachverbote, sondern Sprachbewusstheit ihn prägen und Schüler*innen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch gleichzeitig Unterstützung beim (Deutsch-)Lernen und Wertschätzung gegenüber ihrer Mehrsprachigkeit erfahren.  

 

 

 

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Es waren einmal zwei Säuglinge, auf den ersten Blick unterschied sie bis auf das Geschlecht rein gar nichts. „Gesunde Kinder“ bekundeten die Kinderärzte den jeweiligen Eltern, die sich – erleichtert ob der ebenso glücklichen wie erwarteten Nachricht (Warum sollte gerade unser Kind NICHT gesund sein?) – nun beruhigt in das Abenteuer Elternschaft stürzen konnten. Zum Glück nicht das erste Mal, man wusste ja jetzt, worauf zu achten sei, dass schon alles seinen gewohnten Gang nehmen werde, man müsse nur stillen und wickeln und lieben. Natürlich würde das eigene Kind schon groß und stark werden und den Widrigkeiten dieser Welt trotzen, schließlich werde man es nach Kräften dabei unterstützen.

Dann krachte die Realität wie ein Meteorit in die Idylle: Der Mutter des Mädchens, einer Ärztin, fiel nach zwei Monaten auf, dass das Kleine nur mit einer Seite Massenbewegungen ausführte und mit rechts nicht nach dem ausgestreckten Finger griff. Der mütterlichen Besorgnis Folge tragend wurde das Mädchen dem Kinderarzt vorgestellt, der die Mutter entnervt „als „typisch hysterische Ärztemutter“ abtat, „die die Flöhe husten höre“, was diese nicht davon abhielt, darauf zu beharren, dass etwas nicht stimme. In Eigenregie suchte die Mutter die Neuropädiatrie auf, war ja die Frau Kollegin, da geht das. Rasch stand die Diagnose fest – schlimmer als erwartet –: Spastische Halbseitenlähmung, selbständiges Gehen mehr als ungewiss. Für die Eltern des kleinen Mädchens brach eine Welt zusammen (Warum gerade das eigene Kind?), aber diese rafften sich schnell auf. Jahre voll Therapien – dreimal die Woche plus jeden Tag die Übungen, dabei das Geschwisterkind nicht vergessen – vergingen.

Die Eltern des Buben hingegen waren Gastarbeiter, einfache Menschen, der Sprache nicht hinreichend mächtig. Deshalb wurde die niederschmetternde Diagnose – spastische Halbseitenlähmung – erst gestellt, als der Kleine mit drei Jahren immer noch nicht imstande war zu laufen. Therapien ließ man dem Buben kaum angedeihen, geübt wurde nicht, wie auch, weitere Geschwister folgten rasch und die Mutter war mit der Aufzucht aller beschäftigt.

Im privaten Kindergarten (Der Junge war auf Intervention des Jugendamtes dort.) lernten sich die Kleinkinder kennen. Zwei Kinder, geeint durch ihre Diagnose, getrennt durch ihre Herkunft.

Das Mädchen konnte vielleicht nicht ihren Freundinnen kletternd auf Bäume folgen, es hatte aber tatsächlich das Laufen und die behinderte Hand als Hilfshand einzusetzen gelernt. Der Bub hingegen schleppte sich immer noch mühsam vorwärts und der gelähmte Arm war dabei, an den Oberkörper gepresst zu versteifen.

Die Kleinkinder wurden älter und der „Ernst des Lebens“ rückte unaufhaltsam näher. Das Mädchen sollte eine Regelschule besuchen, was der Direktor der betreffenden Volksschule nach Kräften zu verweigern trachtete: „Behinderte Kinder gehören in die Sonderschule, aber nicht in meine Regelschule!“ Die Eltern, Akademiker, fackelten nicht lange und drohten mit dem Landesschulrat. Ganz plötzlich lenkte der Direktor ein und das Mädchen wurde mit 23 gesunden Kindern eingeschult. Der Bub hingegen kam – wie gewünscht – in die Sonderschule, wo er – trotz rein körperlicher Einschränkung –sein ganzes Schulleben verbleiben sollte.

Während der Volksschulzeit verschlechterte sich das Gangbild beider Kinder massiv. Durch die Spastik hatten sich die Füße fast bis zur Unkenntlichkeit verkrümmt. Die verzweifelten Eltern des Mädchens wandten sich an die Orthopädie, was man denn tun könne, keine Schuheinlage, keine Schiene helfe mehr, man könne die Schmerzen des Mädchens beim Auftreten, die stummen Tränen, das unterdrückte Wimmern, die bitterlichen Klagen am Ende des Tages nicht mehr ertragen. Die konsultierte Orthopädin empfahl den Eltern, sich einen guten Psychologen zu suchen, wenn jene nicht ertragen könnten, dass das Mädchen zeit seines Lebens auf einen Rollstuhl angewiesen sein werde. Die Mutter, die Ärztin, wandte sich in ihrem Elend hilfesuchend an Kollegen und bekam einen Orthopäden in einer anderen Stadt empfohlen, der sich auf die orthopädischen Probleme körperlich behinderter Kinder spezialisiert hatte. Dieser operierte das Mädchen in einer langwierigen Operation tatsächlich erfolgreich. Die Kleine konnte wieder schmerzfrei laufen, erst in speziellen Schuhen, später in ganz „normal“ käuflich erwerblichen. Und der Bub? Bekam einen Rollstuhl verschrieben.

Die ersten vier Schuljahre verflogen. Das Mädchen kam ins private Gymnasium, der Junge verblieb in der Sonderschule. Nach der Pflichtschulzeit wollte das Mädchen etwas „Lebenspraktischeres“ erlernen und in eine katholische HLW mit Öffentlichkeitsrecht wechseln. Beim persönlichen Anmeldungsgespräch wurde vom Direktor kundgetan: „Wir nehmen keine Behinderten.“ Beim ungläubigen Blick der Eltern plötzlich: „Außer… Welches Parteibuch haben Sie?“ Damit konnten die politisch nicht engagierten Eltern nicht dienen, sie waren mit Beruf und behindertem Kind bekanntlich ausgelastet, worauf sich der Direktor genüsslich zurücklehnte und salbungsvoll sprach: „Wäre Ihre Tochter die Tochter des Bürgermeisters, dann – ja dann – wäre ein Platz bei uns kein Problem!“ Fassungslos brachen die Eltern das Gespräch ab, aber nicht ohne die Drohung, dies an die Medien weiterzuleiten, wenn er – der Direktor – sich nicht persönlich um einen alternativen Platz an der zweiten katholischen HLW der Stadt kümmern würde. Was tatsächlich geschah und wo das Mädchen problemlos maturierte. Der Bub hingegen kam mit 15 Jahren in eine berufsfördernde Einrichtung für geistig behinderte Jugendliche.

Nach der Matura wurde das Mädchen Mutter eines Sohnes, welcher ebenfalls primär als gesund betitelt wurde. Der Bub hingegen wurde an einer Behindertenwerkstätte angestellt.

Während das einstige Mädchen zu studieren begann, wurde dem jetzigen Kleinen – wieder nach zähem Ringen – schlussendlich ADHS und Autismus attestiert.

Heute hat die inzwischen erwachsene Frau mit den gleichen Problemen wie ihre eigenen Eltern zu kämpfen: Wehrt man sich nicht beharrlich gegen vermeintliche „Obrigkeiten“ und antiquierte, aber gesellschaftlich verfestigte Ansichten, hat das eigene Kind verloren.

 

Nachwort:

Der obige Blogartikel ist leider nicht erfunden, sondern behandelt autobiographisch meine eigene Lebensgeschichte, die meines alten Kindergartenfreundes, der nie ganz aus meinem Leben verschwunden ist, und die meines eigenen psychisch behinderten Sohnes. Zeitlich ist das Beschriebene seit meiner Geburt Mitte der 1990er geschehen. Zu verorten ist es in der Stadt Salzburg.

 

von Christina Schöppl

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Der Migrationshintergrund ist, ähnlich wie die soziale Herkunft, ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht welchen Bildungsstand ein junger Mensch erreichen kann. Die Meisten glauben, dass „Ausländer“ schlechter in der Schule sind, keinen oder „nur“ einen Hauptschulabschluss erreichen können und im Grunde weniger intelligent sind. Zwar sind solche Vorurteile in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen und die kulturelle Vielfalt in Deutschland, Österreich bzw. generell in Europa ist fast schon zur Normalität geworden aber Studien zeigen, dass es durchaus noch Unterschiede im Bildungsniveau gibt, die mitunter auch auf einen Migrationshintergrund zurückzuführen sind. Familien, die in ein neues Land kommen, müssen sich in diesem auch eine neue Existenz aufbauen, viel arbeiten und haben daher oft nicht das Geld, die sprachlichen Fähigkeiten oder die Zeit, um ihre Kinder ausgiebig in der Schule zu unterstützen. Aber vielleicht sollten Viele auch einen Blick in den Spiegel werfen. Denn Fremdheit ist eine Zuschreibung sozialer Prozesse. Sie wird erzeugt, indem man den Anderen als fremd definiert. Wir machen den Anderen erst fremd, wenn wir ihn in Kategorien einordnen. Das Fremde, Andere oder „Ausländische“ kommt nur in Relation zu etwas Anderem zustande. Mit dem Fremden wird quasi eine Grenze zum anderen gezogen, denn es konfrontiert einen jeden von uns mit der eigenen Beschränktheit und der nicht realisierten Möglichkeit, anders zu sein.

Wird Kindern mit Migrationshintergrund möglicherweise von vornherein suggeriert, dass sie es nicht schaffen?

Am Ende der Grundschulzeit erhalten sie wesentlich öfter eine Empfehlung für die Hauptschule oder maximal für die Realschule, als Kinder ohne Migrationshintergrund – übertrieben ausgedrückt: Die „eigenen“ Leute soll auf die „besseren“ Schulen gehen.
Auch ich kann mich noch gut daran erinnern, dass man mich, gemeinsam mit allen anderen „Ausländer-Kindern“ aus dem Ort, bereits in der Grundschule pauschal in einen Deutsch-Förderkurs schicken wollte. Ohne überhaupt zu beobachten, wie gut oder schlecht ich mich in der Schule machen würde, wurde ich in eine Schublade gesteckt. Sehr einprägsam war auf der anderen Seite aber die Erinnerung, dass meine Mutter sich vehement weigerte mich in den besagten Förderkurs zu schicken, weil ich, laut ihr, besser deutsch sprechen könne, als die deutschen Kinder an der Schule. Doch das Vorurteil blieb. Als die Grundschulzeit sich dem Ende zuneigte und die Wahl der weiterführenden Schule anstand, war die Entscheidung für mich klar – das Gymnasium muss es sein. Der Notendurchschnitt dafür war gut genug und auch der Wille und das Interesse viel zu lernen waren da. Trotzdem legte mir meine Klassenlehrerin recht dringlich ans Herz zur Hauptschule zu gehen. Das Gymnasium wäre für mich zu anspruchsvoll und auf der Hauptschule hätte ich (zumindest) eine Chance gute Noten zu erzielen. Obgleich man nicht leugnen kann, dass es auch Kinder mit Migrationshintergrund gibt, die durch fehlende Sprachkenntnisse wirklich Probleme in der Schule haben und von einem Förderkurs sicherlich profitieren würden, gibt es auch die andere Seite der Medaille. Nämlich jene, dass SchülerInnen auch schlechter in der Schule abschneiden können, weil genau das von ihnen erwartet wird. Dieses Phänomen beschreibt z.B. der Pygmalion-Effekt. Er geht zurück auf eine Studie, in der LehrerInnen suggeriert wurde, dass einige Kinder in ihrer Klasse intelligenter wären, als der Rest. Tatsächlich förderten die Lehrkräfte jene SchülerInnen unterbewusst deutlich mehr, weshalb sie am Ende bessere Ergebnisse in der Schule erzielten.

Es ist daher nicht genug, (wenn auch wichtig!) SchülerInnen mit Migrationshintergrund nur sprachlich zu fördern. Die soziale Einbindung und die Betrachtung der Kinder, nicht nach polnischem, türkischem oder syrischem Migrationshintergrund, sondern ganz allgemein nach ihren individuellen Bedürfnissen, hat eine ebenso große Bedeutung. Denn wenn eine Lehrkraft, die besonders für Kinder eine große Autoritätsperson ist, einer Schülerin/ einem Schüler sagt, sie/ er sei nicht klug genug, um eine höhere Schule zu besuchen, kann das große Auswirkungen haben. Vielmehr sollte man SchülerInnen mit Migrationshintergrund eine entsprechende Förderung anbieten, wenn diese benötigt wird, so wie auch ein Kind ohne Migrationshintergrund, eine solche benötigen kann und jenen mit Ambitionen helfen, ihre Ziele zu erreichen, anstatt sie klein zu machen.

Quellen:
– Solga, Heike, Rosine Dombrowski: Soziale Ungleichheiten in schulischer und außerschulischer Bildung. Stand der Forschung und Forschungsbedarf, Düsseldorf 2009.
– Baudson, Tanja Gabriele: Pygmalion in der Schule. Wie mächtig sind Lehrerwartungen?, in: MinD-Magazin 82, Juni 2011.
– Olechowski, Richard: Die höhere Schule – eine Stätte sozialer Selektion, in: Erziehung und Unterricht, September/Oktober 7-8, 2008.
– https://mediendienst-integration.de/integration/bildung.html

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Wir leben derzeit in einer Gesellschaft, in der die Vielfalt zwischen Jungen und Mädchen sehr präsent ist, weshalb sie auch in den Klassenzimmern der Schulen eine wichtige Rolle besitzt. Dies lässt uns über die Wichtigkeit der Förderung interkultureller Bildung in den Klassenzimmern nachdenken.

Zuerst müssen wir wissen, was das Konzept der kulturellen Vielfalt für uns bedeutet, sowie die Bedeutung des Wortes Interkulturalität, da dies notwendig ist, um das angesprochene Thema zu verstehen.

Es ist auch wichtig zu wissen, dass die Existenz von Multikulturalität in den Klassenzimmern der Schulen unseres Landes auf das Phänomen der Einwanderung zurückzuführen ist. Die Gründe für die Einreise von Ausländern in unser Land können vielfältig sein: zur Arbeitssuche, alternativ zur Verbesserung, persönliche Bedürfnisse …

Die Rolle des Lehrers in einem Klassenzimmer mit Kindern aus verschiedenen Kulturen ist ein Faktor von großer Bedeutung. Von der frühkindlichen Erziehung an müssen wir tolerante Einstellungen, Werte und Wissen fördern, um ein günstiges Klima im Klassenzimmer zu schaffen. Das Hauptziel dieser Arbeit ist es, den Kindern diese Werte und Kenntnisse sowie den Respekt vor anderen Kulturen, die sich von ihrer eigenen unterscheiden, zu vermitteln. Auf diese Weise werden sie mit der Realität unserer Gesellschaft vertraut, wie ich bereits hervorgehoben habe, und die Kommunikation wird beim Aufbau von Beziehungen mit anderen gefördert.

Für den Lehrer ist es auch wichtig, die erzieherische Rolle der Familie zu kennen, denn für den Erwerb dieses Wissens reicht die Rolle des Lehrers nicht aus, sondern die Familie-Schule-Beziehung ist notwendig.

Die Gemeinschaft ist zum Ziel von Migrationsströmen geworden, was unsere zu einer multikulturellen Gesellschaft macht. Viele Menschen sind von der Notwendigkeit einer Erziehung zu Toleranz, Verständnis und Respekt zwischen Völkern, Gruppen und Individuen überzeugt, die unseren jungen Menschen hilft, in einer immer komplexeren Gesellschaft zu funktionieren, in der die Vielfalt immer offensichtlicher wird.

 

Kulturelle Vielfalt in den Klassenzimmern der frühkindlichen Bildung ist ein bereichernder Faktor für Jungen und Mädchen, wie in der Forschung bewiesen wurde, daher muss die Lehrkraft sie während des gesamten Lehr-Lern-Prozesses berücksichtigen. Als zukünftige Lehrerin glaube ich, dass wir den Kindern die Idee vermitteln müssen, dass der Unterschied keine Ungleichheit ist, sondern dass wir durch das Kennenlernen verschiedener Kulturen andere Sprachen, Bräuche, Traditionen etc. lernen.

Abschließend möchte ich sagen, dass die Lehrer weiterhin daran arbeiten müssen, eine tolerantere Gesellschaft zu schaffen, besonders in der Kindheitsphase, in der Kinder am meisten Wissen aufnehmen, Werte lernen und Erwachsene imitieren. Interkulturelle Bildung muss unsere Schüler darauf vorbereiten, als Bürger in einer einladenden, demokratischen Gesellschaft mit vielen Verschiedenheiten zusammenzuleben, indem sie den Erwerb von Fähigkeiten in verschiedenen, miteinander verbundenen Kulturen ermöglicht. Unsere Gesellschaft wird bereichert, wenn sie mehr und mehr Bürger hat, die in der Lage sind, normal mit Menschen aus anderen Kulturen zu interagieren.

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Die Norm, sich eindeutig einem der beiden sozial konstruierten Geschlechter (Mann oder Frau) zugehörig zu fühlen, löst bei Jugendlichen vermehrt Angstzustände und ein erhöhtes Stressrisiko aus.

Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler hat genau zu diesem Thema, 2009 ein Buch verfasst mit dem Titel: „Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen“, in dem sie ihre Erfahrungen mit Geschlechternormen teilt. Doch was genau sind Geschlechternormen? Die Norm, sich entweder Mann oder Frau zugehörig fühlen zu müssen. Die Norm, einen zu diesem Geschlecht, passenden Körper haben zu sollen und bei Nicht-Vorliegen operativ zu verändern. Die Norm, zum vorliegenden Körper ein zeitgemäßes geschlechtliches Ich-Gefühl entwickeln zu sollen. Die Norm, ein zu Körper und Geschlecht, passendes heterosexuelles Begehren entfalten zu sollen oder wollen. Eben diese letzte Norm, macht es für Transsexuelle, Intersexuelle und Homosexuelle sehr schwer sich in die Gesellschaft einzubringen, ohne benachteiligt oder „schief angeschaut“ zu werden.

Laut Butler ist das Geschlecht eine kulturelle Konstruktion, die vorfindbaren Körpern übergestülpt wird. Das heißt, dass man nicht als Mann oder Frau geboren wird, sondern als Mensch. Durch die Art, wie auf die Körper geblickt wird und welche Teile an ihnen geschlechtlich aufgeladen werden, wird ein männlicher oder weiblicher Körper in den Köpfen der Menschen konstruiert. Dies macht es uns einerseits leichter einer Gruppe anzugehören (da es nur zwei gibt), grenzt aber all jene aus, die sich keiner der beiden Gruppen anschließen können oder möchten. Diese Ausgrenzung und das ständige Gefühl irgendwo zugehörig zu sein, kann zum Einfallstor ausgesetzten Leidens werden und bis zum Verlust von Lebenssinn und der Auslöschung des „Ichs“ führen.

Darüber hinaus lösen die Geschlechternormen nicht nur bei der Findung der eigenen Sexualität Probleme aus. Die Art, wie Mann und Frau in Online-Medien und Fernsehen gezeigt werden, hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Es werden immer jüngere Personen sexualisiert und geben dadurch falsche Signale an die Jugend weiter. Beispiel: Die Umstellung der Biene Maja. Früher war die Biene noch leicht dick und sah fast wie eine echte Biene aus. Heutzutage hat sie einen flachen Bauch und etwas, das beinahe aussieht wie Schminke im Gesicht. Dadurch werden vor allem junge Mädchen dazu verleitet, sich schon im Kindes -und Jugendalter, mit den Schminkartikeln der Mutter zu bemalen. Die Vorstellung, dass man ohne Gesichtsbemalung nicht schön ist, wird immer mehr verfestigt in den Köpfen der Kinder.

Durch eben solche falschen Vorbilder und Normen wird es für die kommenden Generationen immer schwieriger werden sich einer sozialen Gruppe zuordnen zu können, in der sie sich wohl und verstanden fühlen. Sollte man nun eine Gemeinschaft finden, die im Einverständnis der aktuell konstruierten sozialen Normen lebt, so kann sich ein Gefühl von Sicherheit, Wohlgefühl und Halt einstellen, denn die Vorstellung über das eigene Geschlecht und das akzeptierte Gefühls- und Artikulationsrepertoire mit der Gruppe übereinstimmen. Sollte man aber seine Bestimmung in der Rebellion gegen die Norm sehen, so kann aus einem mehr oder weniger starken Leidensdruck, Veränderung erwachsen. Grenzen und Regeln können verschoben und überschritten werden und dadurch ganz neue Lebensmöglichkeiten zu Tage treten. Die Begrenzung durch vorhandene Normen übernimmt hier eine produktive Funktion als Impulsgeber für die Veränderung, weil sie weg vom Leid und hin zum lebenswerten Leben einen lenkt.

In den letzten Jahren hat sich allerdings bereits einiges in Bewegung gesetzt. Die sozial-traditionell konstruierten Normen, welche das Gefühls- und Handelsspektrum der Geschlechter eingeschränkt haben, wurden zum Teil aufgehoben und gelockert. Frauen haben sich, und den nachfolgenden Generationen von Mädchen und Frauen, Erfahrungs- und Entfaltungsräume erarbeitet und erkämpft, die ihnen bislang verschlossen geblieben sind und spielen immer offener und selbstbewusster mit Verhaltensweisen und Attitüden die bisher Männern und Jungen vorbehalten waren. Ebenso beginnen Jungen und Männer bereits mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte und auch das traditionelle Männerbild hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Männer dürfen mittlerweile ihre Gefühle offener zeigen und auch die Verbindung gleichgeschlechtlicher Liebender wird sozial immer stärker toleriert, schrittweise rechtlich gleichgestellt und auf diese Weise dann normalisiert.

Demnach, befinden wir uns bereits inmitten einer Veränderung, um die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen, und vor allem die Akzeptanz anders geschlechtlicher Personen, zum Guten hin zu wenden.

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Es ist wichtig, dass man sich als Lehrer oder Lehrerin über Gender Stereotypen und ihre Konsequenzen im Klaren wird, um Lebensentscheidungen basierend auf dem eigenen Willen treffen zu können. Für Lehrpersonen bedeutet dies, dass sie bei der Führung ihres Unterrichts darauf achten müssen, unvoreingenommen auf ihre Schüler und Schülerinnen zuzugehen. Jeder Mensch hat durch seine eigene Sozialisation bereits unbewusst Erwartungshaltungen und Verhaltensarten erworben, die ihm zwar nicht unbedingt bewusst sind, ihn aber dennoch im Umgang mit den Geschlechtern steuern und leiten.

Aufgabe der Lehrpersonen ist es auch, das Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler selbst dahingehend zu erweitern, dass sie erkennen, dass kein Geschlecht besser, beziehungsweise schlechter ist als das andere.

Die Position von Lehrinnen und Lehrern spielt dafür eine zentrale Rolle, da sie geeignet ist, Schülerinnen und Schüler in ihrer Weltanschauung zu beeinflussen. Alleine deshalb müssen sich Lehrpersonen zunehmend ihrer Aufgabe bewusstwerden.  Unterrichtsstunden bieten sich an, den professionellen Blick speziell auf die „Geschlechter“ zu richten und die Schüler und Schülerinnen altersgerecht an das Thema heranzuführen.

Es ist aber ebenso wichtig, den Blick für Unterschiede, die vorhanden sind, zu schärfen und den Unterricht entsprechend an den Bedarf der Schüler und Schülerinnen anzupassen. Ziel soll nicht die sture „Gleichmachung“ der Geschlechter sein, sondern das Erkennen von Geschlechterdifferenzen und dahingehende Minimieren dieser Differenzen durch gezielte Förderung.

Für die Praxis wird immer wieder ein monoedukativer, also geschlechtergetrennter, Unterricht diskutiert, um eine individuelle Förderung der Geschlechter möglich zu machen. Im Großen und Ganzen sieht die Schulforschung aber doch davon ab, da Klassen auch in anderen Aspekten wie etwa Religion, Herkunft und Ethnie, immer heterogener, diverser und gemischter werden und Schüler wie Schülerinnen gerade aus dieser Diversität profitieren können.

Als Möglichkeit zur Reflexion bietet sich für Schüler und Schülerinnen im Unterricht vor allem das Ausprobieren verschiedener Experimente dar, die auf dem Gebiet der Geschlechterforschung bereits stattgefunden haben. Zu wissen, wie man selbst der ein oder anderen Situation gehandelt hätte öffnet einem am ehesten die Augen dahingehend, wie viel eigenes Handeln tatsächlich von Sozialisation abhängt.

Außerdem bietet das Thema viel Gesprächsstoff ohne viel Hintergrundwissen haben zu müssen. Jeder Mensch ist in irgendeiner Form sozialisiert worden, auch im Hinblick auf Geschlecht. Deswegen können Gesprächsrunden, darüber was nach Ansicht der Schüler und Schülerinnen typisch weiblich oder typisch männlich ist, einen guten Einstieg ins Thema darstellen.Durch neue Medien im Unterricht ist es auch möglich, den Schülerinnen und Schülern durch Videos und Filme an das Thema heranzuführen und diese daraufhin mit ihnen zu besprechen und zu reflektieren.

Das Thema der Geschlechtsspezifischen Sozialisation sollte einen hohen Stellenwert haben, da es für jede Schülerin und jeden Schüler von persönlicher Relevanz ist, da es sowohl das eigenen Geschlecht, als auch das, aller Personen, mit denen die Schülerinnen und Schüler zu tun haben und haben werden, anspricht. So können die angehenden Erwachsenen dazu angeregt werden, darüber nachzudenken ob ihre persönlichen geschlechtsspezifischen Präferenzen angeboren sind, oder doch nur sozialisiert sind; zudem werden sie darauf sensibilisiert nicht vorschnell über etwas nicht Genderkonformes zu urteilen.

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Mädchen und Buben lernen die für ihre Geschlechter „typischen“ Rollen. Sie suchen sich Hobbys, die zu den von ihnen erwarteten Eigenschaften passen und wählen Berufe, die ihrer Geschlechterrolle entsprechen. So wählt ein Mädchen eher Tanzen und Reiten und ein Bub eher Fußball oder Computerspiele als Hobby aus. Mädchen werden später eher zu Friseurinnen oder Hausfrauen als zu Handwerkerinnen oder Technikerinnen. Für Burschen gilt das Gegenteilige. Die genannten Berufsfelder sind Beispiele für klassisch „geschlechtergetrennte“ Berufe. Wie kommt es aber dazu?

Die Geschlechtsspezifische Sozialisation

Die geschlechtsspezifische Sozialisation soll Antworten darauf liefen, wie solche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zustande kommen, um daraus Konsequenzen für die Praxis ziehen zu können.

Unter geschlechtsspezifischer Sozialisation ist jene Art von Sozialisation gemeint, die basierend auf dem spezifischen biologischen Geschlecht die Anpassung des Individuums an von der Gesellschaft vorgegebene typisch weibliche oder typisch männliche Rollen- und Verhaltensanforderungen bewirkt.

Für den Unterricht ist Geschlechtsspezifische Sozialisation deshalb von großer Bedeutung, weil „Doing Gender“, beziehungsweiße im Gegensatz dazu „Undoing Gender“, eine große Rolle in der Schulforschung spielen, wenn es darum geht Geschlechterdifferenzen zu erkennen und abzubauen. So sollte man die Unterschiede zwar bewusst wahrnehmen aber diesen keine Beachtung schenken.

Man weiß, es gibt entscheidende Differenzen zwischen Buben und Mädchen, die auch neurobiologisch erklärbar sind. Man weiß aber auch, dass Vorstellungen von „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ lang überholt sind.

Indirekt werden Mädchen und Buben aufgrund von Genderstereotypen von klein auf in unterschiedliche Richtungen gelenkt. Traditionelle Ideen darüber, was ein Junge, beziehungsweise ein Mädchen tun kann oder tun soll, sind dafür verantwortlich. Diese durchdringen die Gesellschaft und existieren unbewusst in einem jeden Menschen. Sie beeinflussen Mädchen und Buben auch bei der Fächerwahl. Von Mädchen wird beispielsweise erwartet, dass sie gut in Kunst zu sein hätten und von Burschen, dass ihnen Mathematik und wissenschaftliche Fächer lägen.

Umfangreiche Studien zur schulischen Sozialisation im Volkschulbereich zeichnen ein komplexes Bild der Entwicklung von Mädchen und Jungen während der Kindheit. Der Schwerpunkt liegt dabei im Leistungs- und Interessensbereich. Zum Beispiel das sogenannte „Faulpelz-Syndrom“ betrifft vor allem Buben. Sie haben eine höhere Anstrengungsvermeidung und geringeren Pflichteifer. Das Gegenteil gilt für Schülerinnen. Dafür leiden diese unter stärkerer Leistungsängstlichkeit und geringerem Zutrauen.

Das Interesse hat große Bedeutung für das Lernen. Geschlecht ist für das Interesse insofern relevant, als Kinder lernen, was sozial und gesellschaftlich akzeptabel für sie als Mädchen, beziehungsweise als Jungen ist. Doch was kann man als Lehrperson diesbezüglich machen?